Theologen fordern Suizid-Assistenz mit klaren Grenzen

Drei Theologen haben sich erneut für einen verantwortlichen, restriktiven Umgang mit der Suizidbeihilfe ausgesprochen. Der assistierte Suizid müsse dabei die Ausnahme bleiben – aber dürfe in kirchlichen Einrichtungen kein Tabu sein.
Von Johannes Blöcher-Weil
Tödliches Medikament

Als sich im Januar führende evangelische Theologen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für assistierten Suizid in kirchlichen EInrichtungen aussprachen, löste das eine kontroverse Debatte aus. Nun haben sich die Autoren jenes Textes, Reiner Anselm, Isolde Karle und Ulrich Lilie, noch einmal in der Zeitung geäußert und ihre Positionen präzisiert. Sie plädieren dafür, in kirchlichen Einrichtungen eine restriktive und verantwortliche Öffnung für assistierte Selbsttötung zuzulassen: mit klaren Grenzen.

Kirche und Diakonie dürften das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht ignorieren, auch wenn manches davon diskussionswürdig sei. Deswegen müssten diakonische Einrichtungen prüfen, wie sie den gegebenen Spielraum praxistauglich und lebensnah nutzten, „um Suizide möglichst zu verhindern und gleichzeitig eine Suizidhilfe in gut begründeten Einzelfällen zu ermöglichen“.

Die Verfasser legen den Fokus auf ein Schutzkonzept, die eine mögliche Suizidassistenz ausschließlich auf die Situation schwerst- und sterbenskranker Menschen bezieht. Das Konzept müsse verhindern, dass Menschen unter Druck gesetzt würden, die eine Suizidassistenz in Anspruch nähmen. Es bedürfe auch einer behutsamen Beratung und Seelsorge: für Suizidwillige und deren Angehörige.

Sensibel für menschliche Schwächen sein

Aus christlicher Sicht gebe es zwar ein uneingeschränktes Recht auf Leben, aber keine Pflicht zum Leben. Eine Person dürfe nicht gegen ihren ausdrücklichen Willen zum Weiterleben gezwungen werden, erklärten die Verfasser: „Sterbewünsche und Suizidabsichten sind ernst zu nehmen und weder zu moralisieren noch generell zu pathologisieren.“

In der emotionalen Debatte schwinge immer noch die moralische Missbilligung des Suizids mit. Ein assistierter Suizid müsse nicht als Akt der Lebensverneinung interpretiert werden: „Der Wunsch, das Leben zu beenden, kann auch Ausdruck eines spirituellen Einverständnisses, der Akzeptanz des Todes und der Endlichkeit sein.“ Gerade Christen sollten hier sensible für menschliche Schwächen sein, fordern die Autoren.

Eine gute Seelsorge verurteile niemanden und nehme Bedenken ernst. Diakonie und Seelsorge müssten „jede Form der Belehrung und jede Attitüde moralischer Überlegenheit“ vermeiden. Es könne auch ein Akt christlicher Barmherzigkeit sein, den Sterbewunsch anzuerkennen. Dass die „Akzeptanz einer Suizidhilfe im Einzel- und Ausnahmefall“ zu einem Dammbruch führen könnte, befürchten die Autoren nicht: „Geregelte Verfahren sind nicht mit Regelmäßigkeit gleichzusetzen.“

Zuwendung zum konkreten Einzelfall muss Vorrang haben

Sie plädieren für eine restriktive und verantwortliche Öffnung mit klaren Grenzen. Dass kirchliche und diakonische Einrichtungen eine besondere Verantwortung hätten, sei ihnen bewusst. Der konkrete Einzelfall sollte immer Vorrang vor den Interessen der Institution haben. Der assistierte Suizid gehört in den Augen der Theologen nicht in das reguläre Aufgabenportfolio der Diakonie. Er könne immer nur äußerster Grenz- und Ausnahmefall sein und dürfe niemals von der Einrichtung selbst ausgehen.

Die Diakonie sollte Menschen in ihren vermutlich schwierigsten Situationen nicht allein lassen. Gerade Sterbehilfeorganisation hätten „eine gewisse Eigendynamik und Programmatik, die es eher unwahrscheinlich macht, dass eine sterbewillige Person im letzten Moment noch den Mut findet, sich gegen den finalen Schritt zu entscheiden“.

Hilfe bei Suizidgedanken

Denken Sie darüber nach, sich das Leben zu nehmen? Holen Sie sich Hilfe, zum Beispiel bei der Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.

Die Autoren mahnen eine offene Diskussion zum Thema an. Kirche und Diakonie sollten diese komplexen und schwierigen Fragen „nicht vorschnell durch moralische Prinzipientreue oder unter Verweis auf den Fortschritt der palliativen Medizin und Pflege entziehen“. Auch viele Kirchenmitglieder wünschten sich, dass die Kirche toleranter und lebensnäher mit diesen Fragen umgehe. Weil Religion und Kirche das Unbestimmbare zum Thema mache, sei sie prädestiniert, „für Probleme und Zweifel im Umgang mit Sterben und Tod zu sensibilisieren und eine Polarisierung in den Grauzonen des Lebens zu vermeiden“.

Reiner Anselm lehrt Theologische Ethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Isolde Karle Praktische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Ulrich Lilie ist Präsident der Diakonie Deutschland. Die Autoren hatten im Januar bereits einen Beitrag in der FAZ publiziert, in dem sie forderten, dass sich kirchliche und diakonische Einrichtungen der Suizid-Assistenz nicht verweigern sollten. Im Zuge dessen hatten sie „anschlussfähige Argumente“ für einen assistierten Suizid auch in diakonischen Einrichtungen präsentiert. Das löste eine Kontroverse in der Evangelischen Kirche aus. Hintergrund der Vorstoßes ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom vorigen Jahr. Das hob das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe auf und forderte die Politik dazu auf, Sterbehilfe gesetzlich neu zu regeln.

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7 Antworten

  1. Guten Tag, ich lebe alleine und habe keine Familie mehr. Schon als sehr junger Mensch wollte ich über das Ende meines Lebens bestimmen können. Das der Staat oder die Kirche ( aus der ich ausgetreten bin) über mein Lebensende zuständig ist bzw. bestimmen kann, ist mir unverständlich und unerträglich. Ich will selbst entscheiden, wann ich aus dem Lebn gehen möchte, auch wenn ich nicht krank bin. Ich bin weit über 80 und habe ein sehr reiches und glückliches Leben geführt, allerdings auch von vielen Dramen unterbrochen. Dadurch bin ich stark geworden und will auch über das Ende meines Lebens bestimmen können.

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  2. Die Kirche sollte für das Leben eintreten. Ausnahmslos. Alles was „Grenzfälle“ sind, sind Themen für eine warmherzige, professionelle Seelsorge. Wenn jemand unbedingt aus dem Leben scheiden will, ist das seine persönliche Entscheidung, die es zu respektieren gilt. Daraus leitet sich aber aus meiner Sicht in keinster Weise ab, dass sich hierfür die Kirche inklusive ihrer sozialen Institutionen zur Verfügung stellen muss. Im Gegenteil. Die gleiche Argumentation gilt für Abtreibung.

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  3. Hat nicht Gott uns das Leben gegeben? Und sollte er nicht das Recht haben, es auch wieder zu nehmen, wenn Er die Zeit für gekommen hält? Gerade wir als wiedergeborene Christen sollten es doch vorleben, was es heißt, Gott in allen !!!! Dingen zu gehorchen. „Ich will bestimmen“, bedeutet doch nichts anderes als: „Gott, ich brauche dich nicht. Ich kann sehr wohl über mein Leben selbst bestimmen.“ Können wir das wirklich? ich wage das zu bezweifeln.

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  4. Kürzlich wurde gemeldet, dass in den Niederlanden – wo Selbstmord erlaubt ist und gefördert wird, man denkt auch über das Erlauben von Suizid bei Kindern nach – über 4% aller Todesfälle Suizide sind. Das erscheint mir nicht erstrebenswert.
    Wenn alte Menschen den Lebenswillen verloren haben, werden sie üblicherweise nicht mehr viel essen oder trinken und daran irgendwann sterben. So war es auch bei meiner Schwiegermutter.

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  5. In der wichtigsten Frage, wie mein Leben gut und richtig enden kann, mischen sich Regierung, Kirchen und Funktionäre von Berufs-
    verbänden ein. Wobei das allein und einzig meine Angelegenheit ist. In dieser Selbstverantwortung habe ich gelebt, gearbeitet und
    bin nun über 80 Jahre nicht bereit, mich entmündigen und zum Objekt fremder Interessen machen zu lassen. Im Gegenteil: ich will
    meinen Weg nach meiner Auffassung beenden und dabei auch Beistand und kompetente Unterstützung ohne Diskriminierung einholen dürfen und erhalten.

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  6. Eine Reformation unserer Kirche ist längst überfällig – auch was das Thema selbstbestimmtes Sterben und Sterbehilfe betrifft!
    Als Martin Luther vor über 500 Jahren gewisse – bis dahin auch gültige und unumstößliche- Glaubenssätze „über den Haufen warf“, weil sie seiner Meinung nach unmenschlich, ungerecht waren und nicht „Gott-gewollt‘ sein konnten, folgten ihm immer mehr Menschen und wandten sich von der „alten“ katholischen Kirche ab. So wie heute von beiden Kirchen mittlerweile. Zuerst war auch die Entrüstung der „Obrigkeit“ groß und es wurde mit harter Hand dagegen gekämpft.

    Doch heute sind wir froh darüber, dass jemand gewagt hatte, selbst nachzudenken, was „gut und richtig ist“ und einiges im Sinne der Menschen und des „Menschseins“ zu ändern. Das verstehe ich unter „Seelsorge“ – nicht stures Festhalten an Regeln, durch die viele Todkranke sich zu Ende quälen- und ihre Angehörigen das mit ansehen und mit durchleiden müssen! Das kann nicht der Wille eines Gottes sein, der „seine “ Menschen liebt. Daran ändert auch die Palliativmedizin nichts! Es ist gut und schön, dass man damit Schmerzen lindern kann. Doch wenn jemand todkrank ist und ihm der weitere Weg einfach unerträglich ist, dann sollte er auch sterben dürfen und ihm dabei geholfen werden können.
    Ich glaube nicht, dass es Gott erfreut, einen Menschen länger leiden zu sehen. Dann wäre er nämlich nicht der „liebe Gott“, sondern ein Sadist und Tyrann, dem es nur um die Macht geht, wer den Todeszeitpunkt bestimmen darf.

    Und sowas….. kenne ich nur von einigen Menschen auf der Welt…

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