Kern: „Pietismus und Populismus sind sich ihrem Wesen nach fremd“

Pietismus und Rechtspopulismus hätten von ihrem Wesen her nichts miteinander zu tun, sagt Gnadau-Präses Steffen Kern. Einzelne Akteure sorgten aber für Irritationen.
Von Norbert Schäfer
Steffen Kern, Gnadau, Pietismus, Präses

Der Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, Pfarrer Steffen Kern, hat jede wesensmäßige Verbindung zwischen Pietisten und Rechtspopulisten zurückgewiesen. „Pietismus und Populismus sind sich ihrem Wesen nach fremd“, schreibt Kern in seinem Bericht an die Mitgliederversammlung seines Verbandes.

„Der gelegentlich formulierte Verdacht, die Querdenker-Bewegung speise sich primär aus dem deutschen ‚Bible-Belts‘ in Schwaben und Sachsen, mithin aus den Milieus des Pietismus, hat sich als falsche Verdächtigung erwiesen“, schreibt der Präses. Dass Pietisten bei Querdenkern aber kaum eine Rolle spielten, sei empirisch belegt.

Der Gnadauer Präses ging in rund einem Drittel des insgesamt 29-seitigen Berichts auf das Verhältnis von Rechtspopulismus und Pietismus ein, auch auf die Corona-Impfungen. In jüngster Zeit seien zwei „ungleiche Größen“ in Debatten über „Rechtspopulismus und Kirche“ in einer Reihe „beachtenswerter Publikationen“ in Verbindung gebracht worden, schreibt Kern. In seinem Bericht verweist er unter anderem auf das Buch von Liane Bednarz unter dem Titel „Die Angstprediger. Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern“, sowie einen Text der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen von Martin Fritz, erschienen unter dem Titel „Im Bann der Dekadenz. Theologische Grundmotive der christlichen Rechten in Deutschland“, und andere. Gelegentlich werde der Pietismus „ungeachtet aller tiefgreifenden Unterschiede zwischen Pietismus, Evangelikalismus und Fundamentalismus“ in die Nähe des Populismus gerückt. Dagegen wehrte sich der Theologe.

Warnung vor „rechtspopulistisch verfremdeten Christentum“

Er nehme die „übergroße Mehrheit der Gemeinschaftsbewegung als sehr besonnen, behutsam und verantwortlich wahr“, schreibt Kern. Das gelte für den gesamten innerkirchlichen Pietismus, aber auch für weite Teile der Evangelischen Allianz. „Dennoch gibt es einzelne Akteure, die gelegentlich mit ihren Äußerungen irritieren“, gestand Kern ein. Der Präses attestierte „einer Minderheit der evangelikalen Bewegung“ und dem „Rand des pietistischen Spektrums“ eine „gewisse Anfälligkeit für populistische Politisierungen und ideologische Verfremdungen des christlichen Glaubens“. Die Unterschiede von christlich geprägter, bestimmter und gelebter Gemeinschaft auf der einen Seite und rechtspopulistischen Identitätskonstruktionen auf der anderen Seite seien jedoch „fundamental“.

Kern warnte vor einem „rechtspopulistisch verfremdeten Christentum“, das die Mehrheit der Gesellschaft als „fehlgeleitet“ ansehe und den „Mainstream“ als „verdächtig und böse“. Als Merkmal „rechtspopulistisch überformten Christentums“ nannte Kern eine „grundlegende Skepsis gegenüber etablierten Institutionen“ wie Parteien, der Wissenschaft, den Medien und der Kirche. Populisten definierten sich selbst über Abgrenzung und Anti-Haltung, die gepaart mit nichtchristlichen Weltanschauungen in einer Gegen-Bewegung mündeten. Das Christliche sei dabei nicht das eigentlich Identitätsstiftende, sondern gemeinsame Feindbilder, die sich im Antiislamischen, Antiliberalen und Antisozialistischen zeigten. Dem stünden Pietismus und Kirche mit einer Pro-Haltung gegenüber. „Die Kirche ist nicht anti-islamisch, anti-modernistisch, anti-europäisch …. Sie empfängt sich aus dem Pro Gottes in Christus“, schreibt Kern.

Der Impfstatus ist kein Bekenntnisstatus“

In seinem Bericht ging Kern auch auf die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Herausforderungen für Gemeinden und Gemeinschaften ein. „Es gibt nicht ‚die‘ Gnadauer Position zu den Fragen einer Impfung“, stellte der Präses fest. Persönlich sei er dankbar für Impfstoffe. Er warb für grundlegendes Vertrauen gegenüber rechtsstaatlichen Ordnungen, wissenschaftlichen Errungenschaften und den Medien. „Ein grundsätzliches Misstrauen […] halte ich für gänzlich unangebracht“, schreibt der Theologe.

„Ich werbe dafür, möglichst viele Menschen mit Argumenten für eine Impfung zu gewinnen“, erklärte Kern an seine Verbandsmitglieder gerichtet. Eine generelle Impfpflicht sehe er jedoch kritisch. Als „letztes staatliches Mittel zur Bekämpfung einer Pandemie“ sei diese zwar „denkbar und grundsätzlich ethisch legitim“, aber mit vielen offenen Fragen verbunden. Kern spricht sich dafür aus, die Debatten „emotional zu entschärfen“ und „zu versachlichen“. Der Eifer mancher Akteure in der Impfdebatte wirke auf ihn befremdlich. „Der Impfstatus ist kein Bekenntnisstatus“, konstatierte der Verbandschef.

„Gemeinschaftsbewegung ist Hoffnungsbewegung“

Der Präses-Bericht steht 2022 unter dem Titel „Die Hoffnungsbewegung“. An die Mitgliedes des pietistischen Dachverbandes gerichtet sagte der Präses: „Nichts brauchen wir in den Krisen unserer Zeit mehr als Menschen, die Hoffnung haben und Hoffnung leben.“ Der Präses ermutigte dazu, „selbstbewusster oder besser Christus-bewusster“ zum Glauben zu stehen. Die Gemeinschaftsbewegung sei „wesenhaft und wirklich eine Hoffnungsbewegung“, die als „belebende Kraft“ in Kirche und Gesellschaft hineinwirke.

Zuletzt hatte Kerns Vorgänger im Amt, Michael Diener, aktuell Dekan des Pfälzer Kirchenbezirks Germersheim und Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die Ansicht vertreten, dass unter evangelischen Pietisten und Evangelikalen viele dem Impfen skeptisch bis ablehnend gegenüberstünden. Diener hatte sich auf persönliche Erfahrungen gestützt, dabei aber betont, dass Impfgegner unter den theologisch konservativ gesinnten Christen eine Minderheit darstellen.

Die Mitgliederversammlung des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes tagt vom 17. bis zum 18. Februar digital. Der Verband hat seinen Sitz in Kassel. Der Dachorganisation des Pietismus und der Gemeinschaftsbewegung gehören mehrere Landes- und Jugendverbände an sowie missionarische und diakonische Werke und Ausbildungsstätten. Der Gnadauer Verband gilt als die größte eigenständige Bewegung innerhalb der EKD. Steffen Kern ist seit 2021 Präses des Verbandes, Generalsekretär ist Frank Spatz.

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7 Antworten

  1. Dass es einen sehr sehr kleinen Kreis von Leuten gibt, die die Evangelikalen in die rechte Richtung wie in den USA treiben wollen stimmt. Diese Leute kommen aber in der Regel von außerhalb der Evangelikalen. Wenn man das ausblendet wirft Kern alles munter durcheinander: es war immer ein Zeichen für Evangelikale nicht von dieser Welt zu sein und damit neben der grundsätzlichen Einordnung in bestehende Strukturen denen auch generell auch kritisch gegenüber zu stehen. Wären sonst die Bewegungen wie “ kein anderes Evangelium “ usw. entstanden? Kern macht zudem selbst, was er anderen vorwirft: er grenzt bestimmte Haltungen und Meinungen für Evangelikale als nicht regelkonform aus und verengt damit die Sichtweise die erlaubt ist. Wenn ein Staat die Homoehe oder die Demontage der Familie durchführt sollen Christen dann da zuschauen und gegen das Evangelium dem Staat nur wohlwollend gegenüber stehen. Da ist doch Vorsicht angebracht. Nein , Kern macht nur mit anderen Worten das gleiche wie Diener: er bricht genauso immer mehr vom Evangelium ab, damit die Evangelikalen kein Salz mehr sind in dieser Welt, sondern in der allgemeinen Suppe des Mainstreams mitschwimmen. Man muss also nicht nur vor dem Staat vorsichtig sein sondern auch vor manchem christlichen Leiter.

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    1. Sehr gute Anwort, sehe ich genauso. Matze. „Er warb für grundlegendes Vertrauen gegenüber rechtsstaatlichen Ordnungen, wissenschaftlichen Errungenschaften und den Medien. „Ein grundsätzliches Misstrauen […] halte ich für gänzlich unangebracht“, schreibt der Theologe.“ Mal wieder legen sich die Kirchen mit dem Mächtigen ins Bett. Widerlich. Bei uns im sächsichen Bible-Belt rufen jedenfalls die Kirchenglocken zum montäglichen Coronaprotest. Und das ist sehr gut so!

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      1. Hallo Lilly, genauso ist es und sogar Wikipedia gibt Steffen Kern unter dem Begriff Pietcong, eine Abwandlung zu Vietkong und Pietismus nicht Recht. Dort wird steht ein Zitat von Michael Lüthmann:
        „Die Kirchen sind hier immer noch sehr gut gefüllt und ein bedeutender gesellschaftlicher Akteur.“ Stuttgart sei eingebettet in einen historisch gewachsenen Pietismus. Er bezeichnete diese Regionen wie auch Teile Sachsens als „Bible Belt“ der Bundesrepublik, in denen „Renitenz und Protest“ seit Jahren reiften und die zudem zuletzt zu Hochburgen der AfD geworden seien. Herr Kern, wie ich aus dem Schwäbischen, müsste das doch einfach wissen. So sind wir halt. Das ist auch einer der Gründe warum mir die Sachsen so sympathisch sind.

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      2. „Bei uns im sächsichen Bible-Belt rufen jedenfalls die Kirchenglocken zum montäglichen Coronaprotest.“
        Ernsthaft? Welch eine schreckliche Anbiederung an den ostdeutschen Mainstream… Die Kirchen gehen mal wieder mit den lautstarken Wortführen ins Bett.
        Merken Sie eigentlich nicht, wie sehr Sie sich verrennen mit Ihren Vorurteilen und Verurteilungen? (Und, ja, ich weiß, dass der „ostdeutsche Mainstream“ ebenfalls ein Vorurteil wäre, wenn ich es hätte.)

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    2. Hallo Matze, Hallo Lilly,
      alles richtig erkannt und auf den Punkt gebracht. Es tut gut festzustellen, dass es noch Menschen gibt, denen der Mainstream und die tägliche Propaganda, nicht den Verstand weggeblasen haben.

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  2. Da drängt sich der Eindruck auf, die Sachsen und die Schwaben sind die Rettung Deutschlands !?
    Kann ich auch so sehen. Es lebe der Pietismus !

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  3. Und nun noch eine Ergänzung mit dem Stichwort Augenzwinkern: das süddeutsche leichte Grantlertum hat auch zu der Frage geführt “ wie kann man was besser machen “ und dann zu vielen technischen Innovationen, wobei der Pietismus auch eine Rolle gespielt hat. Die Innovationskraft des Südens hat auch im Form eines Liedes der Gruppe “ Fuenf“ (“ mir im Süden“) in die deutsche Musikgeschichte Eingang gefunden. Die Fuenf sind zudem sogar vor einigen Jahren beim Kirchentag in Stuttgart aufgetreten.

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