Meinung

Das Dilemma mit den Waffen

Steigt das Risiko eines Atomkrieges durch Waffenlieferungen – oder lässt er sich gerade dadurch verhindern? Kluges Handeln ist gefragt. Waffen sollten dabei nicht der einzige Weg sein.
Von Jonathan Steinert
Krieg, Stacheldraht, kämpfen

Eine Reihe Intellektueller und Kulturschaffender veröffentlichte kürzlich in der Zeitschrift Emma einen offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz. Darin fordern sie ihn dazu auf, keine weiteren schweren Waffen in die Ukraine zu liefern, um Putin kein Motiv für einen Atomkrieg zu geben. Der Brief rief schnell öffentlichen Widerspruch hervor.

In einem weiteren offenen Brief an Kanzler Scholz wenige Tage später auf Zeit Online heißt es, der Gefahr einer atomaren Eskalation müsse durch glaubwürdige Abschreckung begegnet werden. Deshalb seien Waffenlieferungen nötig.

An den Kirchen geht diese Diskussion natürlich nicht vorbei. Und auch dort gibt es nicht die eine Meinung zu dem Thema. Einige Bischöfe und führende Theologen halten Waffenlieferungen für legitim, andere sehen darin keine Option. Vor allem der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Friedrich Kramer, sorgte mit seiner pazifistischen Haltung für Schlagzeilen – und zuweilen Kopfschütteln. Und während Bild-Journalist Paul Ronzheimer einen Kirchenaustritt erwägt, weil einige Vertreter vor Waffenlieferungen warnen, treten andere wie der Podcaster und Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt aus, weil sich öffentlich nur wenige Kirchenvetreter so äußerten.

Indiz für die Zeitenwende

Dass in unserer Gesellschaft so vehement über Waffenlieferungen in einem aktuellen Konflikt gestritten wird, ist ein Indiz für die Zeitenwende, von der Kanzler Scholz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine sprach. Und dass der Tenor in vielen Medienkommentaren der vergangenen Wochen dahin ging, dass Deutschland harte Sanktionen bis hin zum Embargo von Öl und Gas verhängen und schwere Waffen liefern müsse, ebenso. Solche Forderungen wären noch vor wenigen Monaten in der Breite und Lautstärke kaum denkbar gewesen.

Kommentatoren kritisierten Scholz dafür, dass er hinsichtlich der militärischen Unterstützung der Ukraine zögerte. Liegt darin vielleicht aber auch so etwas wie Besonnenheit? Als sich Scholz endlich erklärte, betonte er im Spiegel unter anderem: Er wolle alles dafür tun, dass es nicht zu einem Weltkrieg kommt, womöglich einem nuklearen. Das betonte er auch in seiner Fernsehansprache am 8. Mai, dem Datum, an dem vor 77 Jahren der Zweite Weltkrieg zu Ende war. Und das erwarte ich auch vom Regierungschef meines Landes. Einig sind sich darin wohl alle. Aber über den Weg dorthin gehen die Ansichten auseinander – und der ist von vielen Unbekannten gesäumt. Das macht es so schwierig.

Der Krieg in der Ukraine ist eine grausame Realität, die uns etwas angeht. Denn es geht dabei um die sehr grundlegende Frage, wie die Länder Europas miteinander auf dem Kontinent leben wollen und können. Es geht um Freiheit und Souveränität. Darum, ob ein Land und ein Volk das Recht hat, zu existieren. In Putins Weltbild haben Macht und Militär einen völlig anderen Stellenwert, als das in unserer freiheitlichen, friedliebenden Gesellschaft der Fall ist. Das fordert uns umso mehr heraus, weil es unsere Grundüberzeugungen infrage stellt.

Die offene Frage ist, wie sich verhindern lässt, dass der regional begrenzte Krieg derart weiter eskaliert. Putins mögliche Reaktionen auf Waffenlieferungen oder Sanktionen sind nicht berechenbar. Ab wann er etwa Deutschland als Kriegspartei ansieht, weiß nur er selbst. Aber wie soll es zu einem Ende kommen, ohne dass entweder Russland zurückgedrängt oder Teile der Ukraine unterworfen werden? Und was würde geschehen, wenn die Ukraine kapituliert? Die baltischen Länder könnten die nächsten sein, denen ein Angriff blüht.

Ganz ehrlich: Dieses Dilemma macht mir Angst – dass eine militärische Unterstützung der Ukraine den Krieg sowohl beenden als auch verlängern, ihn gar weiter eskalieren könnte. Es bereitet mir Sorge, die Länder Europas könnten sich mit kurzfristigen Entscheidungen in einen langfristigen Krieg hineinmanövrieren mit unabsehbaren Folgen.

Kluges Handeln ist gefragt

„In der Welt habt ihr Angst“, sagt Jesus. Das spüren viele derzeit womöglich in einer Weise, wie sie sie bisher nicht kannten. „Aber seid getrost: Ich habe die Welt überwunden“, fügt er hinzu. Mit dieser Verheißung brauchen wir uns nicht von Angst leiten zu lassen. Die Bibel ruft dazu auf, Friedensstifter zu sein – aber sie spricht auch davon, klug und besonnen zu handeln.

Deshalb ist es gut, dass wie in den zwei offenen Briefen öffentlich kontrovers über sachliche Argumente und mögliche Folgen des Handelns gestritten wird. Wir dürfen nicht der Versuchung erliegen, uns aus vermeintlich sicherer Entfernung einer Kriegslust hinzugeben und Helden zu verehren, um moralisch auf der „richtigen Seite“ zu stehen. Ebensowenig wäre es richtig zu sagen: Das geht uns nichts an.

In der Diskussion um die Art der Unterstützung für die Ukraine sind Maximalforderungen und absolute Positionen fehl am Platz. Kluges Abwägen ist gefragt. Wenn es notwendig ist, mit Waffen dafür zu sorgen, dass es zu einem Ende der Kämpfe kommt, dann kann es klug und auch geboten sein, in diesem Krieg schwere Waffen zu liefern. Aber das darf nicht das alleinige Mittel der Wahl sein. Alle anderen Optionen auf politischer, wirtschaftlicher, ziviler Ebene sollten ebenfalls und vordringlich ausgeschöpft werden. Auch für eine Zeit nach dem Krieg und womöglich nach Putin.

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7 Antworten

  1. „Der Krieg in der Ukraine ist eine grausame Realität, die uns etwas angeht“

    Warum geht uns der Krieg in der Ukraine „etwas an“ und warum der Krieg im Jemen nicht?

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    1. Mensch könnte hier auch weiter formulieren: Warum werden entgegen GG, Art. 3 geflüchtete Menschen aufgrund ihrer Herkunft und letztlich auch Hautfarbe in Deutschland unterschiedlich behandelt? Warum werden „weiße“ geflüchtete Menschen aus der Ukraine sehr zuvorkommend behandelt – ABER: Schwarze geflüchtete Menschen aus der Ukraine an Bahnhöfen in Deutschland von der Polizei empfangen? Warum ersaufen Schwarze Menschen im Mittelmeer oder werden durch Mauern am Erreichen ihrer verständlichen Suche nach einem besseren Leben gehindert oder in Lager unter unmenschlichen Bedingungen gesperrt? Ich sehe hier klare Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz unseres Grundgesetzes

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  2. Es ist angenehm, so einen ausgewogenen Artikel zu lesen. Aber auch hier vermisse ich, dass zwischen dem Geschehen in der Welt und dem Reich Gottes unterschieden wird. In der Welt wird es immer wieder Kriege und Auseinandersetzungen geben. Regierungen müssen entscheiden, wie sie damit umgehen. Für uns Christen muss aber immer zuerst das Gebot Jesu gelten. Das bedeutet, dass wir uns nicht am Krieg beteiligen können. Militärische Gewalt widerspricht den Grundsätzen des Neuen Testaments.
    Nein, mit der Ethik der Bergpredigt kann man diese Welt nicht regieren, aber trotzdem gelten diese Grundsätze für jeden Nachfolger des Herrn Jesus Christus. Deshalb ist Kirche hier keine guter Ratgeber der Politik, weil sie die Ereignisse unter anderen Gesichtspunkten beurteilen muss. Als Christ kann ich den Waffengebrauch nur ablehnen. Wenn die Regierung anders handelt, ist das ihre Verantwortung, als Christ kann ich mich aber niemals daran beteiligen.

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    1. Ohne Natoeinsatz wäre der Balkan nicht befriedet worden, das ist ein Fakt! Ich bewundere die Arbeit unserer gegenwärtigen Politikerinnen und Politiker, weil sie ihre Entscheidungen insbesondere gegen ihre eigenen Überzeugungen treffen müssen.
      Aber unsere christliche Logik besteht nicht aus Überzeugungen, sondern in der Beziehung zu Jesus. Sie ist die der Nächstenliebe, nicht die der Kriegsstrategen.
      Zur Frage von Waffeneinsätzen haben Sie die Grenze für uns Christen klar mit wenigen Worten ausformuliert. Wenn Christen meinen, sie sollten an Entscheidungsprozessen teilhaben, welche im Widerspruch zu den Geboten Gottes stehen, sollten sie es jedenfalls nicht als Kind Gottes tun – und das dann auch klar bekennen.
      Wir dürfen als Christen unsere Position des Gewaltverzichts niemals aufgeben, sonst verlieren wir zu Recht an Glaubwürdigkeit, auch in Friedenszeiten. Es entspricht auch nicht der Botschaft des Evangeliums, Regierungsmacht anzustreben, wollen wir uns als Nachfolger Christi nicht scheitern sehen. Selbst Jimmy Carter hatte allergrößte Mühe, diesen Spagat zu schaffen. Die oft schwierige und z.T. wirklich schmutzige Arbeit von Regierungsmacht liegt tatsächlich völlig außerhalb unseres christlichen Auftrags und der besteht nicht darin, die Welt zu verbessern, sondern den Menschen Friedfertigkeit und Liebe vorzuleben.

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    2. Es wäre völlig falsch, zu sagen, daß christliche Werte in der Politik nichts verloren hätten. Wäre dies der Fall, müßten so einige große Parteien in Deutschland, Europa und anderswo ihre Namen ändern, weil sie dann das „C“ (oder äquivalente Buchstaben) zu Unrecht tragen würden. Hinzu kommt, daß wir als Europäer:innen nicht selten (und nicht zu unrecht) unserer Werte als (mindestens zum Teil) Erbe des christlichen Glaubens rühmen (auch wenn wir ihre Erfüllung in der Realität oft vermissen). Andererseits unterstütze ich Sie in der Ansicht, mehr Pazifismus im Handeln von Christ:innen zu fordern, was für mich auf Parteien, die das „C“ im Namen tragen, ausgeweitet werden müßte – ich kann Ihnen allerdings nicht vollständig zustimmen und von Christ:innen einen quasi 100%-igen Gewaltverzicht fordern, weil es manchmal aus Liebe nötig sein könnte, mittels Gewalt Schlimmeres zu verhindern. Auch Bonhoeffer hat als Christ mit der Gewaltfrage zu ringen, sich aber dafür zu entschieden, dass der Dienst an seinen Mitmenschen evtl. auch die Unterstützung eines Attentats auf Hitler bedeuten könnte

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  3. Unsere Gesellschaft ist es gewohnt, die Meinungsbildung den Medien zu überlassen. Für eine mündige Meinungsbildung – besonders für mündige Christen – ist es jedoch unerlässlich, sich selbst zu bilden, indem wir Bücher lesen.
    Wer sich mit der eng verflochtenen Geschichte von Russland und Ukraine eingehend auseinander gesetzt hat, bekommt ein deutlich umfassenderes Verständnis und dadurch u.U. sogar die nötige Distanz um besser mit der Kriegssituation umzugehen. Meine Empfehlung: Andreas Kappeler „Ungleiche Brüder, Russen und Ukrainer, vom Mittelalter bis zur Gegenwart“. Das Buch konzentriert sich auf das Wesentliche, ist gut verständlich und sehr aktuell. Ganz wichtig: Es bleibt sehr viel Freiraum für die eigene Meinungsbildung! Und ganz nebenbei erhalten wir Christen Erkenntnisse darüber, welch unselige Macht Kirchen ausüben können, wenn sie der Versuchung nachgeben, Regierungen zu beherrschen.

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  4. Lieber Jonatan Steinert, mir hat Ihr ausgewogener, gründlicher Kommentar, ohne zu vereinfachendes komplexen Zusammenhangs gut getan. Auch das Verständnis für die schwierige Situation unserer derzeitigen Regierung, die hier im Forum anfangs von „ besonders Frommen“ ( was immer man auch darunter verstehen mag ? !) „verteufelt“ wurde. Anerkennung und Dank!

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