Auch am anderen Ende der Kette stehen Menschen

Kaum jemand denkt daran, dass die Baumwolle für ein T-Shirt Kinder in Indien geerntet haben, der Rohstoff in Bangladesch in baufälligen Fabriken verwebt und in Pakistan von Frauen unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen und zu Niedrigstlöhnen vernäht worden sein könnte. Das „Lieferkettengesetz“ soll diese Zustände nun verbessern.
Von Norbert Schäfer
T-Shirts, Kleiderbügel, Kleidung, Textil, anziehen

Den wenigsten Konsumenten ist bewusst, unter welch miesen Arbeitsbedingungen ihre Kleidung und Smartphones teilweise entstehen – und dass dabei die Umwelt zerstört wird. Das soll sich ändern. Noch vor der Bundestagswahl im September 2021 will die Regierung nach zähen Verhandlungen der beteiligten Ministerien ein „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“, das sogenannte Lieferkettengesetz, im Parlament verabschieden. Am Donerstag beriet der Bundestag in Erster Lesung darüber.

Das Gesetz soll ab dem 1. Januar 2023 gelten und Unternehmen dazu verpflichten, alle direkten Lieferanten auf die Einhaltung sozialer und ökologischer Mindeststandards hin zu überprüfen – ob sie also menschenwürdig und umweltverträglich arbeiten. Auch mittelbare Zulieferer müssen bei Kenntnis von Problemen genauer unter die Lupe genommen werden. Das soll Kinderarbeit und unfaire Löhne verhindern und die verschiedenen Prozesse, Dienstleistungen und Tätigkeiten in der Lieferkette transparenter machen. Zunächst soll das für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten gelten, ab 2024 soll die Grenze auf mehr als 1.000 Mitarbeiter verschoben werden, so dass dann insgesamt rund 3.500 Unternehmen in der Pflicht stehen.

„Arbeitsbedingungen rauben Menschen Würde“

Verstoßen in Deutschland ansässige Unternehmen dagegen, dann drohen ihnen Bußgelder und sie können zusätzlich von öffentlicher Auftragsvergabe ausgeschlossen werden. Der Würzburger Wirtschaftsethiker Harald Bolsinger, Professor an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt, betont den christlichen Kern des Gesetzes. Er verweist dazu auf die Präambel des Grundgesetzes. „Die Verantwortung vor Gott und den Menschen gilt nicht nur den Menschen hier, sondern allen Menschen weltweit, die in einer Lieferkette beteiligt sind.“

Dies gelte auch für die Würde des Menschen, die durch die Akzeptanz untragbarer Arbeitsbedingungen beeinträchtigt werde. Die Unternehmen müssten deshalb Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und der Menschenrechte umsetzen. Ähnlich sieht es auch Frank Heinrich, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Er erklärt im Gespräch: „Gott als Schöpfer der Welt hat den Gedanken der Nachhaltigkeit in der Schöpfung angelegt. Da steckt ein Auftrag für uns drin, wie viel, wie verantwortlich und wie dankbar wir konsumieren.“

2019 bildete sich die „Initiative Lieferkettengesetz“ aus mehr als 100 zivilgesellschaftlichen Organisationen, zu der auch christliche Werke gehören wie „Brot für die Welt“, die „Micha Initiative“ und die „International Justice Mission“ (IJM). Die Organisationen wollen erreichen, dass „unser Wohlstand nicht auf Sklaverei und ausbeuterischer Kinderarbeit beruht“, und der Umweltzerstörung Einhalt gebieten. Basis sind die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO schätzt, dass aktuell mehr als 150 Millionen Fünf- bis 17-Jährige international geächtete Kinderarbeit leisten. Allein in Afrika sollen mehr als 70 Millionen Kinder als Zwangsarbeiter schuften. In Asien müssen mehr als 60 Millionen Menschen täglich als Sklaven arbeiten.

Haftung nicht berücksichtigt

Mit dem neuen Gesetz müssen Unternehmen dokumentieren – nicht garantieren –, dass ihre Lieferketten keine Menschenrechte oder umweltbezogene Pflichten verletzen, und dass sie bei Verstößen angemessene Maßnahmen eingeleitet haben. Auch Umweltrisiken, die Menschenrechte beeinträchtigen, müssen dabei betrachtet werden. Zivilrechtliche Haftung der Unternehmen sieht das Gesetz nicht vor. Das bemängeln vor allem Menschenrechtsorganisationen. Zwar könnten Betroffene von ausbeuterischer Arbeit und Menschenrechtsverletzungen wie bisher vor deutsche Gerichte ziehen und Schadenersatz fordern. Allerdings werde der Fall nach dem jeweiligen Recht des Staates beurteilt, in dem sich die Fabrik oder Plantage befindet. Das bringe viele Unwägbarkeiten mit sich.

Unternehmen erst ab einer bestimmten Mitarbeiterzahl auf eine faire Lieferkette zu verpflichten, hält EU-Justizkommissar Didier Reynders für wenig sinnvoll. „Die Größe der Unternehmen sagt nichts aus“, sagte Reynders gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die EU-Kommission plant ihrerseits, im Juni einen Vorschlag für ein Lieferkettengesetz vorzulegen, das alle Unternehmen mit einbeziehen soll, egal welcher Größe. Denn die Einfuhr von Produkten, an denen Zwangsarbeiter beteiligt waren, könne auch ein kleiner Betrieb organisieren. Das Gesetz soll dann auch für ausländische Unternehmen gelten, die im Gebiet des EU-Binnenmarktes ihre Produkte verkaufen.

„Wer als Christ bestimmte Dinge kauft, hat eine Mitverantwortung für das, was er kauft.“

Frank Heinrich, CDU

Der Wirtschaftsrat der CDU lehnt einen nationalen Alleingang ab, weil Wettbewerbsnachteile zu fürchten seien und die Wirtschaft wegen der Corona-Pandemie ohnehin in einer „extrem schwierigen“ Lage stecke. Auch die FDP lehnt die nationale Lösung ab, weil die zusätzliche Bürokratie die kleinen und mittleren Unternehmen mit Kosten belaste. Dagegen argumentiert Bolsinger: Investoren achteten mittlerweile sehr genau darauf, ob Unternehmen Nachhaltigkeitsaspekte ausreichend berücksichtigen. Die Unternehmen würden in Zukunft aus eigenem Antrieb auf nachhaltiges Wirtschaften setzen müssen, um an genügend finanzielle Mittel zur Wachstumsfinanzierung heranzukommen. Auch die Kosten bei der Umsetzung des Gesetzes hält Bolsinger für überschaubar. Bestehende Controllinginstrumente könnten mit überschaubarem Aufwand für das neue Gesetz angepasst oder erweitert werden.

Konsumenten tragen Teil der Verantwortung

CDU-Politiker Heinrich möchte auch erreichen, dass Wirtschaft und Gesellschaft von „zukunftsfähigen Nachhaltigkeitsgedanken“ geprägt werden: „Wer als Christ bestimmte Dinge kauft, hat eine Mitverantwortung für das, was er kauft.“ Christen sollten sich von doppelten Standards verabschieden. Es bringe nichts, 50 Euro zu spenden und auf der anderen Seite so einzukaufen, dass dabei für 80 Euro Schaden entstehen. Christen dürfe das Leid ausgebeuteter Kinder und Frauen nicht egal sein.
„Greenpeace“ und „World Wildlife Fund“ (WWF) kritisieren, dass nicht die gesamte Wertschöpfungskette in dem Gesetz berücksichtigt wird. Firmen müssten nur ihre direkten Zulieferer prüfen, aber nicht die gesamte, teils riesige Lieferkette. Außerdem setze das Gesetz keine Standards zum Umweltschutz und mache die Firmen nicht direkt für Umweltschäden haftbar.

Die Rohstoffgewinnung bewertet Bolsinger in einigen Branchen als durchaus kritisch. Beispielsweise belasteten Minen, in denen nach Rohstoffen zur Smartphone- oder Batterieherstellung geschürft werde, die Umwelt erheblich. Umweltschäden durch die Produktion oder als Folgekosten von Menschenrechtsverletzungen durch miese Arbeitsbedingungen seien bei den Produkten „nicht eingepreist“. Daran änderten auch die wenigen umweltbezogenen Pflichten im Gesetz – etwa der Schutz vor Quecksilber und langlebigen organischen Schadstoffen – wenig.

Der Wirtschaftsethiker bilanziert: „Die Zeche, etwa als Folgekosten der globalen Umweltzerstörung, werden wir alle zahlen.“ Deutsche Unternehmen seien bereits in der Lage, sauber und innovativ zu produzieren, wenn sie nur wollten. Er sieht deshalb in nachhaltig produzierten Gütern einen zunehmenden Wettbewerbsvorteil. „Das Gesetz führt dazu, dass sich die Unternehmen öffentlich rechtfertigen müssen. Daraus kann ein Wettbewerb entstehen um besonders sauber und nachhaltig produzierte Produkte und Dienstleistungen. Dieser Wettbewerb um wirklich gute Produkte und Dienstleistungen ist das, was wir tatsächlich brauchen.“

Dieser Text ist in der Ausgabe 2/2021 des Christlichen Medienmagazins pro erschienen, das Sie kostenlos unter der Telefonnummer 06441/5667700 oder hier bestellen können.

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Eine Antwort

  1. Was nutzt ein neues Lieferkettengesetz wenn die Arbeiten derzeit gänzlich weggebrochen sind weil in den westlichen Bundesländern die grossen Geschäfte alle im Lockdown sich befinden ?`
    Vorher konnten sie wenigsten ihren gröbsten Hunger etwas stillen, wenngleich sie dabei ausgebeutet waren, aber jetzt geht nicht einmal mehr das…..

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