Meinung

Der moralische Kompass der EKD findet Katar nicht

Die Fußball-WM soll 2022 in Katar stattfinden. Das steht schon lange in der Kritik wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen in dem Land. Missstände, auf die der moralische Kompass der EKD jedoch nur unzureichend zeigt.
Von Martin Schlorke
Al Wakrah Stadium in Doha

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat für ihre Mitglieder verschiedene Funktionen. Sie ist Heimat, Repräsentant, Arbeitgeber und vieles mehr. Nicht zuletzt ist sie aber auch gesellschaftlicher Mahner. Sie warnt vor dem fortschreitenden Klimawandel, fordert ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen und wird aus Aspekten der Nächstenliebe und Menschlichkeit in vielen Bereichen ganz praktisch. Zu sehen ist das beispielsweise bei der Seenotrettung im Mittelmeer.

Die Bewertung dieses Engagements sei an dieser Stelle jedem selbst überlassen. Fakt ist: Die EKD sieht Missstände und versucht diese zu beheben oder zumindest darauf hinzuweisen. Doch aktuell scheint es so, als würde der moralische Kompass der EKD nicht ganz fehlerfrei funktionieren. So sicher er (sinnvollerweise) Themen wie den Klimawandel und Seenotrettung findet, so sicher verfehlt er aktuell das Thema Katar.

Dabei ist die Rechnung ganz einfach. Einem Bericht der britischen Zeitung Guardian zufolge sind seit der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft an Katar 2011 mindestens 6.500 Gastarbeiter auf Baustellen ums Leben gekommen. Eine Vielzahl dürfte in direktem Zusammenhang mit Infrastrukturprojekten für das sportliche Großereignis 2022 stehen. Hinzu kommen seit Jahren weitere gut dokumentierte Menschenrechtsverletzungen im Wüstenstaat. Die EKD schweigt sich dazu öffentlich aber größtenteils aus. Auf Nachfrage von PRO sagte der Sportbeauftragte der EKD, Volker Jung, dass die Kirche die Situation genau beobachte. Außerdem habe sich die Menschenrechtssituation bereits verbessert.

Christenverfolgung sollte bereits Boykottgrund sein

Für die Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch und Amnesty International gehen die Veränderungen aber nicht weit genug. Beide Organisationen prangern Katar weiterhin für die sklavenartige Ausbeutung ausländischer Arbeiter an. Viele Verbesserungen der Arbeitsbedingungen würden nur in der Theorie existieren, andere seien wieder zurückgenommen worden. Darüber hinaus würden Frauen und LGBT-Menschen weiterhin diskriminiert. Open Doors listet Katar auf dem Weltverfolgungsindex auf Platz 29. Allein das sollte schon Grund genug für einen Boykottaufruf der Kirche sein.

Während norwegische Erstligisten, die Sportarbeit der Evangelischen Kirche in Bayern und verschiedene Fanverbände, darunter die christliche Vereinigung „Totale Offensive“ in Dortmund, einen Boykott der WM fordern, findet die EKD einen solchen „schwierig“. Vielmehr solle „die Aufmerksamkeit für den Sport“ genutzt werden, um Verbesserungen zu erreichen, erklärt Jung.

Fußball zum Advent

Was auffällt: Scharfe Kritik an der WM wird vor allem an der Terminierung geübt. Bereits 2015 sagte der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm, dass er als „einer der vielen christlichen Fußballfreunde“ sich „nicht zwischen Advent und WM entscheiden“ wollen müsse. Auch Jung betonte im Interview mit PRO, dass er sich eine „Fußball-WM mit Adventskranz neben dem Fernseher“ noch immer nicht richtig vorstellen könne.

Dabei ist die Terminierung mit Abstand das geringste Problem an der Weltmeisterschaft. Jedes Jahr finden während der Adventszeit unzählige Sportereignisse statt. Deswegen sind weder dir Kirchen leerer, noch wenden sich Menschen vom Glauben ab. Was Menschen jedoch an der Kirche zweifeln lässt, ist das unerträgliche Schweigen, wenn es um Christenverfolgung und Menschenrechtsverletzungen wie in Katar geht. Die Fakten liegen auf dem Tisch. Mit einem öffentlichen Boykottaufruf könnte die EKD, hinter der sich 20 Millionen Christen versammeln, anderen gesellschaftlichen und politischen Playern Druck machen. Der Deutsche Fußballbund (DFB) als größter Sport-Fachverband der Welt und nicht zuletzt Katar wären zum Handeln gezwungen. In der Sprache des Fußballs ausgedrückt: Die Kirche hat einen Elfmeter, tritt aber gar nicht erst zum Schießen an.

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6 Antworten

  1. Als Christen haben wir die Verantwortung gegenüber unseren Schöpfer.
    Das beginnt mit der Würde des Menschen der von Gott geschaffen wurde.
    Auch die Arbeiter ,die für den Bau der Fussballstadien in den Wüstenstaat ausgebeutet weden und ihr Leben lassen . Ich bete dafür ,das die EKD eine klare Position einnimmt gegen Menschenrechtsverletzungen und
    Missstände in den Staat Katar. Weihnachten 2022 findet trotzdem statt auch mit der Fußball WM.
    Gott befohlen.

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    1. Lt. OPEN Doors leben in den 50 Ländern des Weltverfolgungsindex ca. 5,1 Milliarden Menschen, darunter über 760 Millionen Christen, „von denen rund 309 Millionen einem sehr hohen bis extremen Maß an Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt sind. Ich kann mich nicht erinnern, in einem der bedeutenden Medien in der BRD gelesen zu haben, dass sich die EKD mal energisch mit dieser Thematik auseinandergesetzt hätte. Viel wichtiger ist ja, dass das Rettungsschiff tollen Eindruck in der Bevölkerung macht und nicht zu vergessen: Das Gendern muss unbedingt nach vorne gebracht werden. Das sind
      die wichtigsten Dinge bei der Bewahrung unseres Glaubens in der Öffentlichkeit (letzteres ist ironisch gemeint!) Mit scharfer Kritik an der Christenverfolgung sind keine Orden zu gewinnen. Das könnte ja einige Parteien in der BRD verprellen.

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  2. Schon im neuen Testament wird zu Mitgefühl und Hilfe aufgerufen:
    „Denkt an die Gefangenen
    und nehmt an ihrem Schicksal Anteil, als wärt ihr selbst mit ihnen im Gefängnis.
    Habt Mitgefühl mit den Misshandelten,
    als wäre es euer Körper, dem die Schmerzen zugefügt werden.“
    (Hebräerbrief 13,3)

    Und was dort für alle Misshandelten und Gefangenen gilt, das gilt natürlich auch für die verfolgten Christen:
    „Helft Gläubigen, die sich in einer Notlage befinden; lasst sie mit ihrer Not nicht allein …“
    und direkt im Anschluss aber sogar: „Segnet die, die euch verfolgen; segnet sie, verflucht sie nicht.“

    Die Gläubigen sind aufgerufen, Friedensstifter zu sein.
    Wie gut täte es doch den Menschen, wollte man beginnen, Konflikte nicht mehr durch Macht oder Rache, sondern im Glauben an Christus zu lösen.

    Martin Luther King hat dafür ein Beispiel gegeben.
    https://www.brot-fuer-die-welt.de/themen/martin-luther-king/

    Und auch Nelson Mandela.
    https://www.ekhn.de/aktuell/detailmagazin/news/zu-mandela-vergebung-macht-unmoegliches-moeglich.html

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