Meinung

Wissenschaft ist auch Glaube

Wer John Lennox kennt, weiß: Er lässt an der modernen, materialistisch geprägten Wissenschaft kein gutes Haar. In einem neuen Buch fasst der Mathematiker und großartige Apologet seine Argumente gegen den Atheismus zusammen.
Von Jörn Schumacher
Der emeritierte Professor für Mathematik der University of Oxford, John Lennox

Wer die Bücher oder Vorträge des britischen Mathematikers John Lennox kennt, wird in „Kosmos ohne Gott?“ vielleicht nicht allzu viel Neues finden. Lennox, der auch promovierter Philosoph ist, präsentiert in „Kosmos ohne Gott?“ eine Neufassung seines Bestsellers „Hat die Wissenschaft Gott begraben?“ aus dem Jahr 2007, angereichert mit neusten Forschungsergebnissen.

Der 78-Jährige war Dozent in Oxford, Würzburg, Freiburg, Wien, Russland und in den USA. Lennox diskutierte bereits oft mit bekannten Vertretern des „Neuen Atheismus“ wie Richard Dawkins, Christopher Hitchens oder Lawrence Krauss.

Im Vorwort bringt der deutsche Biophysiker Alexander Fink, Leiter des Instituts für Glaube und Wissenschaft, einen Vergleich: Ist das Universum wie ein riesiger Escape-Room für uns Menschen? „Es liegt uns Menschen offenbar im Blut, unsere Umgebung nach logischen Mustern abzusuchen in der Annahme, dass sich dahinter ein tieferer Plan verbirgt, den wir entdecken wollen.“ Fink erscheint es plausibel anzunehmen, dass hinter allem ein Plan steht, den herauszufinden wir aufgerufen sind.

In diese Kerbe schlägt Lennox auf gewohnte Weise. Das Buch „Kosmos ohne Gott?“ ist komplex und umfangreich. Jedoch lohnt sich die Lektüre, weil Lennox mit dem Leser zusammen logisch nachvollziehbar Schritt für Schritt gemeinsam geht. Das Ganze bleibt verständlich, auch wenn hier Jahrzehnte von Forschung und Debatten zum Thema kulminieren.

Atheismus ist erkenntnistheoretisch nichts anderes als Glaube

Für die meisten großen Wissenschaftler sei der Glaube an einen Schöpfergott nicht hinderlich, sondern eher positiv motivierend gewesen, schreibt Lennox. Ob Galilei, Kepler, Pascal, Boyle, Faraday, Babbage, Mendel, Pasteur, Kelvin und Clerk Maxwell: „Für sie waren es die dunklen Ecken des Universums, die tatsächlich erhellt durch die Wissenschaft mehr als genug Belege für Gottes Existenz und Erfindergeist lieferten.“

Aber Lennox geht noch weiter: Atheismus selbst sei streng erkenntnistheoretisch gesehen auch nichts anderes als Glaube. Dawkins stelle den Glauben, den er angreift, stets völlig falsch dar. „Es gehört nicht zur biblischen Sicht der Dinge, dass etwas geglaubt werden soll, wofür es keine Beweise gibt. Genau wie in der Wissenschaft gehören Glaube, Vernunft und Beweise zusammen“, argumentiert Lennox. Dawkins’ Definition des Glaubens erweise sich als das genaue Gegenteil der biblischen Definition.

Lennox räumt mit der Vorstellung auf, Wissenschaft könne „jeden Aspekt der Existenz behandeln“ (Szientismus). Das klinge beeindruckend, sei aber nicht nur falsch, sondern logisch inkohärent. „Denn die Aussage ist selbst keine naturwissenschaftliche Aussage, und wenn sie wahr wäre, wäre sie daher falsch, weil sie ja nicht aus der Naturwissenschaft abgeleitet werden kann.“ Der Mathematiker erklärt: „Gödels zweiter Unvollständigkeitssatz ist ein weiterer Beweis dafür: Man kann nicht einmal Mathematik betreiben, ohne an ihre Konsistenz zu glauben. Man kann keine Wissenschaft betreiben, ohne an ihre Voraussetzungen zu glauben.“

Umgekehrte Führung der Argumente

Die Evidenzen der Wissenschaft deuteten auf vielfältige Weise immer wieder auf ein Design des Universums hin, bemerkt Lennox. Das seien – wohlgemerkt – keine Beweise, aber Hinweise. Lennox dreht gewissermaßen die Führung der Argumente um: Nicht Atheisten stehen in der Position, den Gläubigen einen „Wahnsinn“ (Dawkins) und einen blinden Glauben vorzuwerfen, sondern umgekehrt hingen sie selbst einem blinden Glauben an, der nicht auf Fakten basiert.

John Lennox: „Kosmos ohne Gott? Warum Glaube und Wissenschaft zusammengehören“, SCM R.Brockhaus, 494 Seiten, 34,90 Euro, ISBN: 978-341724178

Dass der Glaube an die Naturgesetze eben ein Glaube sei, erklärt Lennox unter anderem so: „Das offenbart sich in unserem Glauben, dass das, was heute geschehen ist, morgen wieder geschehen wird.“ Weil es Natur-„Gesetze“ heißt, glaubten viele, es seien Regeln, an die sich die Natur halten müsse. Dabei sind es nur menschliche Beschreibungen dessen, was regelmäßig passiert. Aber wer garantiert, dass sich die Natur nicht auf einmal anders verhalten könnte?

Spätestens die Quantenphysik zeige mittlerweile, dass auf die rationale Schlussfolgerung aus beobachtbaren Daten nicht mehr bis zur aller letzten materialistischen Konsequenz geschlussfolgert werden könnte. Für Lennox ist es „völlig rätselhaft“, wie Wissenschaftler angesichts der Quantenmechanik an materialistischen Ansichten festhalten können.

Im Kapitel „Gehirn, Geist und Quantenwelt“ legt Lennox dar, dass das Konzept der Information annehmen lasse, dass das Universum auf Worten beruht, ein „Sprachwerk“ sei. „Information ist nicht materiell und Wörter sind mentale Konzepte. Wörter existieren nicht in einem Vakuum. Ihre wichtigste Quelle, mit der wir vertraut sind, ist der menschliche Geist und das mit ihm verbundene physische Organ, das menschliche Gehirn.“

Argumente gegen ein überholtes Weltbild

Wie zuverlässig ist aber die Aussagekraft eines Denkorgans, das noch nicht einmal ganz verstanden ist? Der atheistische Philosoph John Gray brachte es so auf den Punkt: „Die Humanisten setzen darauf, dass die Menschheit durch die Wissenschaft zur Wahrheit finden kann – und damit zur Freiheit. Falls aber Darwins Theorie der natürlichen Auslese zutrifft, ist dies unmöglich. Der menschliche Geist ist auf Evolutionserfolg gerichtet, nicht auf Wahrheit.“

Oder um es mit dem Philosophen Alvin Plantinga zu sagen: „Nietzsche, Nagel, Stroud, Churchland und Darwin, allesamt Nichttheisten, scheinen sich einig zu sein: Die (naturalistische) Evolution gibt Anlass zu Zweifeln daran, dass die menschlichen kognitiven Fähigkeiten größtenteils wahre Überzeugungen hervorbringen.“ Lennox: „Es scheint bemerkenswert, dass, obwohl die Quantenmechanik fast ein Jahrhundert alt ist, relativ wenige Menschen zu begreifen scheinen, dass sie das materialistische Weltbild mit seinem mechanistischen Determinismus zerstört hat.“

Im Epilog führt Lennox noch einmal im Schnelldurchgang die wichtigsten Argumente gegen das überholte materialistische Weltbild ins Feld: Es kann nicht erklärt werden, wie Leben entstanden ist. Natürliche Auslese und Mutation reichen als Erklärung zur Entstehung des Lebens nicht aus. Die Raumzeit hatte einen Anfang, somit muss sie eine Ursache gehabt haben. Die Feinabstimmung des Universums für das Leben untermauert einen Rückschluss auf eine zielgerichtete Schöpfung.

Lennox weiter: Es gibt keine Beweise für die immer wieder postulierte „Ursuppe“. Information ist eines der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale zwischen Leben und Nichtleben, der sprachähnliche Charakter des Informationsgehalts der DNS zeigen aber: Leben baut auf Information auf. Information entsteht jedoch nicht aus dem Nichts. Denken kann kein rein natürlicher Prozess sein, wenn unsere Gedanken rationale Geltung beanspruchen können sollen. Quantenmechanik ist unvereinbar mit dem Materialismus.

Dem stellt Lennox entgegen: „Es spricht viel dafür, dass Wissenschaft und Gott zusammen eine rationale, sich gegenseitig verstärkende Erklärung bilden.“ Das sowohl philosophisch als auch naturwissenschaftlich anspruchsvolle Buch ist ein Gewinn für jeden, der mehr wissen will über den Streit zwischen Glaube und Naturwissenschaft. Für Lennox gilt: Leben ohne Gott ergibt naturwissenschaftlich keinen Sinn.

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