Wirtschaftsethiker: „Geld ist ein Werkzeug, das segnend wirken soll“

Der evangelikale Christ und Fondsmanager Bill Hwang verspielte mit seinem Investmentfonds „Archegos“ Milliarden und verursachte so im März hohe Verluste bei internationalen Banken. Der Wirtschaftsethiker Harald Bolsinger sagt: Die Grenze zur Habsucht ist schnell überschritten.
Von Norbert Schäfer
Wirtschaftsethiker Harald Bolsinger

20 Milliarden US-Dollar – auf diese Summe hat das Wall Street Journal den Verlust beziffert, den der evangelikale Christ und Fondsmanager Bill Hwang verursacht haben soll.

Betroffen war unter anderem die schweizerische Großbank Credit Suisse. Das Bankhaus musste innerhalb kurzer Zeit einen Verlust von geschätzt rund 3,4 Milliarden Euro verkraften. Auch bei anderen Bankhäusern geht der entstandene Schaden in die Milliarden.

Hwang ist Nachkomme eines koreanischen Pastors. 2018 hatte er in einem Video erklärt, er mache Finanzgeschäfte, um Gott zu gefallen und die Welt zu verbessern. Medienberichten zufolge machte Hwang mit seinen Geschäften ein Vermögen. Allerdings hatte er bereits 2008 durch Spekulationen mit Derivaten und „exorbitanten Kredithebeln“ im zweistelligen Milliardenbereich beinahe eine Katastrophe herauf beschworen. 2012 war Hwang aufgrund von Insidergeschäfte in Verruf geraten. Die US-Finanzaufsicht hatte gegen Hwang ermittelt und die Börsenaufsicht SEC untersagte dem Fondsmanager, Anlagekapital für Investoren zu verwalten.

PRO: Bill Hwang hat sein missratenes Geschäft aus einem „Family Office“ heraus getätigt. Was verbirgt sich dahinter, Herr Bolsinger?

Harald Bolsinger: Als „Family Office“ bezeichnet man Gebilde, die ein privates Großvermögen verwalten. Für die Verwaltung einzelner, sagenhaft großer Vermögen braucht es mittlerweile ganze Teams. Die „Family Offices“ sind wie Hedgefonds teilweise dem Schattenbankenbereich zuzurechnen.

„Family Offices“ verwalten also privates Vermögen. Was ist Aufgabe eines Hedgefonds?

Die Grundidee von Hedgefonds war die Absicherung von Wertpapieren gegen Kursschwankungen. Finanzgeschäfte, die Hedgefonds tätigen, sollen beispielsweise bei fallenden Kursen von Aktien den Kursverlust ausgleichen. Das ist eigentlich eine gute Idee zur Risikobegrenzung. Allerdings haben sich viele Akteure im Markt von der ursprünglichen Idee weitestgehend verabschiedet und benutzen nun ihre Hedgefonds primär zum „Zocken“ ohne grundlegendes Interesse an den Firmen oder Staaten, mit deren Wertpapieren sie hantieren. In Deutschland können Privatanleger keine Anteile an solchen Hedgefonds erwerben – im Gegensatz zu normalen Publikumsfonds, die man in konventionellen Banken angeboten bekommt. Vor allem Banken, Versicherungen und Pensionsfonds treten als  Partner von Hedgefonds auf, mit dem Ziel Kurssicherung und Ertragssteigerung zu betreiben.  

Das klingt doch positiv …

Zumindest nicht ganz negativ. Die Akteure gehen teilweise selbst Risiken ein, die mehr als fragwürdig sind. Und da beginnt das Problem! Der Schattenbankenbereich ist nur sehr spärlich reguliert. Das erlaubt, dass diese Großanleger massive Risiken eingehen können, mit der Aussicht auf gigantische Gewinne. Im Endeffekt holt sich der Geldgeber so praktisch neben sagenhaften Renditeaussichten in bestimmten Konstellationen auch mal ein theoretisch unbegrenztes Verlustrisiko in die Bücher, wenn er nicht schnell genug aus dem Geschäft aussteigen kann. Bei Leerverkäufen zum Beispiel droht theoretisch nicht nur der Totalverlust des eingesetzten Geldes, sondern das Verlustrisiko ist bis zum Ausstieg grenzenlos. Öffentlich wird es meistens, wenn große Summen verzockt wurden.

Wie bewerten Sie Hedgefonds – und auch den Fonds von Hwang – aus wirtschaftsethischer Sicht?

Es ist immer eine Frage, mit wessen Geld ich was warum mache. Ist es mein eigenes oder das Geld mir fremder Menschen? Was ist das Ziel meiner Geschäftstätigkeit? Je mehr fremdes Geld ein Investor benutzt, desto höher ist aus meiner Sicht der Verantwortungsgrad, auch Risiken zu begrenzen und sinnvoll zu managen. Beim konkreten Fall von Hwang – und auch bei vielen anderen – ist zudem Verschleierung ein Teil des Geschäftsmodells. Es gibt zu wenig Transparenz und es mangelt an Integrität in dem gesamten Markt. Das ist auf jeden Fall zu bemängeln.

Woran ist Hwang gescheitert?

Wenn jemand die Chance hat, aufgrund seiner Finanzkraft und entsprechender Partner ein Geschäft extrem hoch zu skalieren, um Marktpotenziale auszukaufen, dann macht das sicher jeder. Es ist rational, so groß zu skalieren, wie es im vorherrschenden Rahmen nur geht, um sich das maximale Ertragspotenzial zu erschließen. Dieser Versuchung ist vermutlich auch Hwang erlegen und sie ist leider systemisch bedingt. Der normative Rahmen liefert einfach zu wenig Schranken für solche Geschäfte, an deren zunehmende Größenordnung man sich immer mehr gewöhnt.

Ist das verwerflich?

Da kommt für Christen die Grenze zur Geldliebe, zur Habsucht, ins Spiel. Als Christen wissen wir um die Aussage in Timotheus 6,10: „Die Wurzel allen Übels ist die Habsucht.“ Wer stellt sich auf den Finanzmärkten noch die Frage, ob ein Geschäft wirklich Menschen dient, es ihnen zu Wohlstand verhilft oder zum Segen in der Realwirtschaft mit positiven Auswirkungen gereicht? Die Finanzbranche wird heute zum Großteil von der Frage getrieben: Dient es mir? Dient ein Geschäft der Maximierung meines Gewinns? Darum herum baut man dann andere vermeintlich höhere Motive, um das zu verstecken. Andere Aspekte sind aber oft nicht wirklich entscheidungsrelevant. Das ist aus meiner Sicht tatsächlich die Wurzel des Übels, das wir an Finanzmärkten beobachten können. Deswegen ist eine kluge Regulierung genauso notwendig wie integre Akteure.

Wie kann man sich gegen die Habsucht stemmen?

Ganz einfach. Als Christ würde ich sagen: Wir brauchen dazu den richtigen Geist. Nämlich Gottes Geist. Er kann uns zusammen mit Mitchristen davor bewahren, in diese Geldliebe, in diese Habsucht abzudriften, die die Sinne vernebelt und keine verantwortungsvollen Entscheidungen mehr zulässt. Das Vermehren von Geld als Selbstzweck ist eines der übelsten Lebenszeitverschwendungen, die man machen kann.  Eigentlich ist Geld ein Werkzeug, das segnend wirken soll. Und unser Auftrag als Christen ist es, dafür zu sorgen, dass es das auch wirklich tut.

Ein Geheimnis liegt darin, nicht zum Werkzeug der Gier zu werden. Das Spannende ist dabei, dass es einen fließenden Übergang gibt. Geschäfte, die gut laufen und verantwortungsvoll geführt werden – was auch mit Hedgefonds möglich ist – beginnen irgendwann dunkler zu werden. Derjenige, der alleine drin steckt, merkt nicht, dass es schleichend in Richtung Schwarz geht. Das ist ein ganz großes Problem. Ich könnte mir vorstellen, dass es bei Hwang ähnlich gelaufen ist.

Da schwingt jetzt Moral mit …

Die Nationalökonomen seit Adam Smith waren Moralphilosophen und gingen der Frage nach, wie Gesellschaft und Wirtschaft gestaltet werden müssen, damit Wohlstand geschaffen wird und alle Menschen in Gerechtigkeit gemeinsam leben können. Davon haben sich die Wirtschaftswissenschaften massiv entfernt. Sie sind weitgehend mathematisiert worden. Das sieht man auch in der Finanzmarktbranche und an den Börsen dieser Welt.

Trifft Hwang im konkreten Fall alleine die Schuld?

In diese Überlegung müssen zumindest die Banken, die das Geschäft von Hwang über Kredite mitfinanziert haben, auch einbezogen werden. Wenn Banken solche enorme Risiken mitgehen, ohne ausreichend Sicherheiten zu verlangen, dann trifft sie eine Mitschuld. Und für die Schuld muss letztlich der Steuerzahler aufkommen. Entweder wenn Banken gerettet werden oder weil Banken durch immense Abschreibungen keinen Gewinn mehr ausweisen und dann keine Steuern mehr zahlen. Hwang darf also nicht alleine die Schuld in die Schuhe geschoben werden, das ist wesentlich vielschichtiger. Außerdem wissen gerade wir Christen, dass selbst Milliardenschulden nicht ohne Vergebung bleiben müssen und jederzeit eine Neuorientierung möglich ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Eine Antwort

  1. Auf Stolz folgt Sturz, nach Übermut kommt Untergang. Sprichwörter 16,18

    Apropos Reichtum, mein Freund Ari sagte mehrmals zu mir „Wer reich werden will muss sonnengebräunt sein“. Ich aber sagte zu Ari Onassis, dass Reichtum bei Gott das Entscheidende ist, vergänglichen Reichtum in unvergänglichen Reichtum zu investieren.
    Haben Sie schon mal einen Leichenwagen mit Lastenanhänger gesehen?

    Und noch ein paar Bibelaussagen:

    Sammelt keine Reichtümer hier auf der Erde! …Sammelt lieber Reichtümer bei Gott. Matthäus 6,19.20

    Aber viele, die die Ersten sind, werden die Letzten und die Letzten werden die Ersten sein. Matthäus 19,30

    Schärfe denen, die es in dieser Welt zu Reichtum gebracht haben, ein, ncht überheblich zu sein und ihre Hoffnung nicht auf etwas so Unbeständiges wie den Reichtum zu setzen… 1.Timotheus 6,17.18

    Und Otto von Bismarck:
    Die erste Generation schafft Vermögen,
    die zweite verwaltet Vermögen,
    die dritte studiert Kunstgeschichte
    und die vierte verkommt vollends.

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