Wird die katholische Kirche jetzt queer-freundlich?

Kardinal Marx predigt in einer Gemeinde vor Homosexuellen, entschuldigt sich und spricht sich dafür aus, dass das „Primat der Liebe“ das einzig Wichtige in einer Beziehung sei. Ein Einzelfall oder findet ein Umbruch in der katholischen Kirche statt?
Von PRO

Mitte März feierte Kardinal Marx mit einer katholischen Queer-Gemeinde in München ihr 20-jähriges Bestehen. Als „queer“ bezeichnen sich nicht-heterosexuelle Menschen beziehungsweise Menschen, die sich nicht mit dem traditionellen Rollenbild von Mann und Frau oder anderen gesellschaftlichen Normen rund um Geschlecht und Sexualität identifizieren.

In dem Gottesdienst entschuldigte sich der Erzbischof für das bisherige Verhalten der katholischen Kirche. Sie habe vielen lesbischen und schwulen Menschen das Leben schwer gemacht. Er forderte, dass die Kirche hinschauen müsse, welche Verletzungen sie angerichtet habe. Auch er hätte sich vor 15 Jahren noch nicht vorstellen können, an einem solchen Gottesdienst teilzuhaben. Er freue sich, dass die Kirche nicht stehen bleibe. Doch wie weit wird sie in diesen moralethischen Fragen gehen?

Klares „Nein“ aus Rom

Im katholischen Katechismus werden homosexuelle Handlungen als „in sich nicht in Ordnung“ beschrieben und sie seien „in keinem Fall zu billigen“. Deshalb sind homosexuell Empfindende „zur Keuschheit gerufen“, um innere Freiheit zu erlangen. Gleichzeitig ruft der Katechismus dazu auf, Menschen mit dieser „Veranlagung“ in „Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen“. Man solle sie in keiner Weise diskriminieren. Auch sie seien dazu berufen, in ihrem Leben Gottes Willen zu erfüllen.

Vor knapp einem Jahr kam auch die Stellungnahme aus Rom, dass die katholische Kirche homosexuelle Paare nicht segnen könne. Dass das Sakrament der Ehe nicht gespendet werden könne, war schon länger klar. Damals wurde vermutet, dass sich diese klare Stellungnahme auch vor allem an deutsche Gemeinden richtete, aus denen die Rufe nach einer Gleichstellung besonders laut waren. Dennoch gibt es auch weiterhin katholische Priester, die gleichgeschlechtlichen Paaren in ihren Pfarrgemeinden den Segen spenden.

Papst Franziskus äußerte sich in der Vergangenheit offener als seine Vorgänger gegenüber homosexuellen Menschen. Er sei zwar gegen eine gleichgeschlechtliche Ehe, aber für einen rechtlichen Schutz der Lebensgemeinschaften. Homosexuelle seien Kinder Gottes und mit Würde und Respekt zu behandeln – wie jeder andere Mensch auch.

An vielen Stellen eile die Praxis der Theorie jedoch inzwischen voraus, sagt Andreas Püttmann, Politikwissenschaftler, Publizist und selbst Katholik, auf PRO-Nachfrage. Erst im Januar dieses Jahres sorgte die Aktion #OutInChurch für Aufsehen. 125 queere Beschäftigte der Kirche zeigten sich öffentlich, „wie Gott sie schuf“, und sprachen sich gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz aus.

Änderungen nach „Kompostierprinzip“

Solche Initiativen und andere begrenzte Regelverletzungen versuchen, Druck zu machen, erklärt Püttmann. Außerdem solle dadurch eine Sichtbarkeit gleichgeschlechtlicher Paare in der Kirche in Gang gesetzt werden. Auf PRO-Nachfrage, welchen Einfluss dieser Druck auf Kardinal Marx Auftreten im Münchener Queer-Gottesdienst hatte, verwies das Erzbistum lediglich auf deren Pressemitteilung, in der es um die bereits zitierte Predigt aus dem Gottesdienst geht.

Ein Lehrwandel von Sittenfragen könne in der Kirche nicht abrupt von statten gehen, sondern geschehe nach dem „Kompostierprinzip“, wie Püttmann es nennt: „Ältere Lehren werden einfach nicht mehr wiederholt, inhaltlich neu akzentuiert, sprachlich neu eingekleidet und allmählich von einer neueren Schicht überlagert“. Dann erscheine es nicht als Bruch mit der Tradition, sondern als „behutsame Anpassung an eine veränderte Lebenswirklichkeit“. Die Änderung des Katechismus sei dann der letzte Schritt. Das hatte er auch bei der Todesstrafe so beobachtet.

In älteren Fassungen des Katechismus hatte die katholische Kirche die Todesstrafe nicht kategorisch ausgeschlossen. Schon Papst Johannes Paul II. und Benedikt XVI. hatten sich gegen die Todesstrafe ausgesprochen, den Katechismus aber nicht geändert. Erst 2018 kam dann die Änderung des Katechismus durch Papst Franziskus, dass die Todesstrafe nicht durch die katholische Kirche als legitim angesehen wird.

„Alle Beziehungen des Menschen müssen vom Primat der Liebe geprägt sein“

Auch Kardinal Marx sagte in seiner Predigt in dem Münchener Queer-Gottesdienst, dass die Kirche mit manchen Traditionen aufräumen müsse. Diese hätten mal einen Sinn gehabt, seien aber jetzt störend, weil sie nicht mehr dem entsprächen, was Jesus eigentlich gewollt hätte.

Den „Primat der Liebe“ könne er als Bischof nicht zur Disposition stellen. Wenn Beziehungen von diesem geprägt seien, können sie von Gott angenommen werden. Er zeigt sich vor alledem darüber erschüttert, wenn Diskriminierung durch Christen geschehe. Das sei nicht mit dem Evangelium vereinbar.

Er betonte: „Ich wünsche mir eine inklusive Kirche. Eine Kirche, die alle einschließt, die den Weg Jesu gehen wollen.“ Das Reich Gottes sei es, „zu entdecken, dass Gott die Liebe ist – in all ihren Dimensionen“. Dies schließe unter anderem auch die sexuelle Dimension mit ein. Ob Marx Auftreten in München auch ein Statement gegenüber Rom war, beantwortete die Pressestelle des Erzbistums nicht.

Reform des katholischen Arbeitsrechts noch dieses Jahr

Änderungen auf nationaler Ebene strebt die Deutsche Bischofskonferenz schon an. Das katholische Arbeitsrecht beinhaltet in aktueller Fassung eine Loyalitätsvorschrift für ihre Mitarbeiter, da diese die Kirche repräsentieren. Ein Verstoß kann ein Kündigungsgrund sein. Unter anderem ist das Eingehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft als solcher aufgezählt.

Püttmann sagt dazu: „das christliche Zeugnis vor der Welt speziell am sechsten Gebot festzumachen, während andere Verfehlungen keine disziplinarischen und ausgrenzenden Konsequenzen haben, geht natürlich nicht.“ Es seien eben alle Kirchenmitarbeiter Sünder, stellt er fest. Eine gewisse Autonomie des Privaten und der Gewissensentscheidung könne die Kirche schon anerkennen, ohne das kirchliche Selbstbestimmungsrecht grundsätzlich in Frage zu stellen.

Nun wird es eine Reform dieses Arbeitsrechts geben. Offenbar sollen dann mehr die Einrichtungen an sich die Kirche repräsentieren, als deren einzelne Mitarbeiter in ihrem Privatleben. Der Reformentwurf der deutschen Bischofskonferenz könnte noch dieses Jahr fertig werden. Dann liegt es an den einzelnen Bistümern diesen entsprechend umzusetzen.

Einige Bistümer kommunizieren schon klar, dass die sexuelle Orientierung ihrer Mitarbeiter kein Kündigungsgrund mehr sei. So beispielsweise die Bistümer Bamberg, Würzburg, Osnabrück und Essen. Auch Marx erklärt während der Jubiläumsfeier in München nach dem Gottesdienst in kleinerer Runde: „Ich kann Ihnen versprechen, bei uns wird deshalb niemand entlassen.“

Laut seiner Einschätzung sei auch eine „überwältigende Mehrheit“ der Bischofskonferenz für Veränderungen. Er spricht von einem Paradigmenwechsel in der Beziehungsethik. Das werde auch weltweit Thema werden.

Synodaler Weg in Deutschland als Ventil

Im September 2018 wurden die Ergebnisse eines groß angelegten Forschungsprojektes zum sexuellen Missbrauchs Minderjähriger in der katholischen Kirche veröffentlicht: die MHG-Studie. Als Reaktion darauf gründete sich im März 2019 der Synodale Weg – der Reformprozess der katholischen Kirche in Deutschland. Er schreibt sich auf die Fahne, Antworten auf die gegenwärtige Situation der Kirche zu suchen. Außerdem soll er die Frage klären, wie das christliche Zeugnis neu gestärkt werden kann.

Auch dort spricht sich eines der vier Synodalforen „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ für eine Modernisierung der kirchlichen Sexualmoral aus. Es fordert beispielsweise, dass Bischöfe in ihren Bistümern unter anderem für homosexuelle Paare Segensfeiern veranstalten sollen. Auch verlangt es eine Änderung der offiziellen Regelungen zur Empfängnisverhütung.

Außerdem empfiehlt es eine Neubewertung von Homosexualität durch den Papst. Diese gehöre zur Identität des Menschen dazu, wurde also auch von Gott geschaffen. Deshalb dürfe die Kirche Homosexuelle nicht diskriminieren. Auch der Katechismus solle entsprechend überarbeitet werden.

Entscheidungskompetenz habe der Synodale Weg in diesen moraltheologischen Fragen jedoch keine, erklärt Andreas Püttmann. „Er ist mehr ein Ventil, mit dem die deutschen Bischöfe nach dem Missbrauchsskandal etwas Druck aus dem Kessel lassen und Zeit gewinnen wollen.“ Was nicht heiße, dass nicht auch viele Bischöfe eine Revision der Sexualmoral befürworten würden.

Kirchenspaltung soll verhindert werden

Püttmann beobachtet die aktuelle Entwicklung in Teilen der katholischen Kirche nüchtern. Eine Reform, wie sie sich die liberalen Gesellschaften der westlichen Welt wünschen, würde es seiner Meinung nach nicht geben. In anderen Teilen der Welt stehen Katholiken eher kritisch, sogar feindselig gegenüber diesen Anliegen. „Einen harten Kern Konservativer“, die ein Umdenken klar ablehnen, gebe es aber auch in Deutschland.

Er schließt deshalb, dass der Papst eine Kirchenspaltung aufgrund dieser Themen nicht riskieren werde. Das heißt also, es werden wohl keine neuen Regelungen aus Rom für die Segnungen homosexueller Paare oder hinsichtlich Transsexualität kommen, vermutet Püttmann. Und er glaubt nicht, dass die deutschen Bischöfe ihre Einheit mit Rom aufs Spiel setzen werden, wenn per Mehrheit beschlossene, umstrittene nationale Eingaben im Vatikan scheitern.

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2 Antworten

  1. …und er schuf sie als Mann und Frau. Damit sie eine Familie gründeten. Es geht m.Mg.nach um die Auflösung der Familie, ihren Ordnungsrahmen und ihre Heiligkeit. Es ist die Unterschiedlichkeit der Geschlechter, die eine Ehe darstellt. Deshalb können zwei gleiche Geschlechter kein Ehepaar werden. Sie können nicht mal eine eheähnliche Gemeinschaft sein, weil sie gerade das Gegenteil einer Ehe darstellen.
    Vor 20 Jahren wurde gegen die Ehe allgemein gestänkert als altmodisches Relikt, heute will man das Gegenteil davon. Mal sehen, was in 20 Jahren für Verrücktheiten aufs Tapet kommen.

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  2. Es kommt nicht auf Meinungen an. Die ändern sich immer wieder. Im Schöpfungsbericht steht „Gott hat den Menschen geschaffen als Mann und Frau.“

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