Verzweiflung und Hoffnung: Spielfilm über Jochen Kleppers letzte Tage

Der christliche Dichter Jochen Klepper wählte 1942 mit seiner jüdischen Frau und Stieftochter angesichts der Verfolgung durch die Nazis den Freitod. Der Film „Schattenstunde“, der am Holocaust-Gedenktag in die Kinos kommt, stellt die letzten schweren Stunden der Familie nach.
Von Jörn Schumacher
Jochen Klepper, „Schattenstunde“

Dass dieser Film keine leichte Kost sein kann, ist von vornherein klar. Jochen Klepper (Christoph Kaiser), seine Frau Johanna (Beate Krist) und ihre Tochter Renate (Sarah Palarczyk) sahen im Dezember 1942 keinen anderen Ausweg mehr, als sich mit Schlaftabletten und Gas gemeinsam das Leben zu nehmen. Was der deutsche Regisseur Benjamin Martins da für die Kinoleinwand erschaffen hat, ist erwartungsgemäß so düster, dass es nichts für schwache Nerven und erst recht nichts für Kinder ist; gleichzeitig schafft er es aber, die erlösende Botschaft von Jesus Christus, von der der evangelische Christ Klepper fest überzeugt war, nachvollziehbar zu machen.

Erstaunlich, dass es bisher keinen Spielfilm über diesen Mann gab, der einer der bedeutendsten Dichter geistlicher Lieder des 20. Jahrhunderts war. Lieder von ihm wie „Die Nacht ist vorgedrungen“, „Der du die Zeit in Händen hast“, „Er weckt mich alle Morgen“ und „Ja, ich will euch tragen“ sind bis heute fester Bestandteil von Gottesdiensten in der evangelischen und in der katholischen Kirche.

Ein Leben ohne Familie oder der eigene Tod

Der Pfarrerssohn studierte Evangelische Theologie, brach das Studium jedoch ohne Abschluss ab. Er wurde nie Pfarrer – wohl auch in dem Wissen um seinen eigenen labilen Gesundheitszustand. Klepper litt unter Kopfschmerzen und Schlafstörungen. Er arbeitete als freier Autor und war dann angestellt beim Evangelischen Presseverband für Schlesien (EPS) in Breslau. Klepper schrieb zudem Beiträge für das kirchliche Wochenblatt Unsere Kirche sowie für das Radio. Da seine Frau Johanna und ihre Tochter Juden waren, wurde Klepper 1933 aus dem Rundfunk entlassen. Eine anschließende Anstellung beim Ullstein Verlag wurde aus denselben Gründen 1935 beendet.

Die Tagebuchaufzeichnungen Kleppers, die 1957 unter dem Titel „Unter dem Schatten deiner Flügel“ erschienen, zeugen von Kleppers unerschütterlichem Glauben und von seinem Suchen nach einer Lösung angesichts der immer bedrohlicheren Welt um ihn herum. Stieftochter Brigitte konnte sich vor Kriegsausbruch über Schweden nach England retten. Als die Nazis den Ausreiseantrag der zweiten Tochter Renate ablehnten, wurde klar, dass ihr und Kleppers Frau die Deportation bevorstand. Klepper hätte sich von seiner Familie trennen und eventuell unbehelligt weiterleben können. So musste er sich der unerträglichen und nahezu unmöglichen Entscheidung stellen: entweder ein Leben ohne seine Familie oder ebenfalls Festnahme und Ermordung.

Der Film „Schattenstunde“ setzt an jenem 10. Dezember 1942 an, an dem alle drei entschieden, lieber den Freitod zu wählen. Was muss in ihrem Inneren vorgegangen sein in jenen letzten Stunden? Regisseur Martins legt auf erschreckende Art die Angst und die Selbstanklage frei, die den Christen Klepper zur Verzweiflung gebracht haben müssen. Er tut dies auch durch allerlei dramaturgische Kniffe, die eher aus dem Theater bekannt sind und die über das eine oder andere Wegbrechen der schauspielerischen Leistung hinwegsehen lassen. So schieben sich die Wände der Wohnung im Laufe des Films immer weiter aufeinander zu.

Zudem wählte der Regisseur für das Bildformat bewusst nicht die sonst übliche ganze Breite der Leinwand, sondern ein Quadrat. Der Zuschauer spürt geradezu, wie die Luft zum Atmen immer knapper und das Fragen immer dringlicher wird. Ist es vor Gott richtig, sich selbst das Leben zu nehmen, um so der Qual durch die Nazis zu entgehen?

Schwarzer Dämon am Küchentisch

„Der Krieg ist eine Art Hölle auf Erden, die die ungeduldige Menschheit sich eingerichtet hat, damit sie nicht erst auf die Zeit nach dem Tod warten muss.“ Sätze wie diese, die der Film aus den Tagebucheinträgen Kleppers entnimmt, machen Lust, mehr vom Autoren zu lesen. Zwischen 20 und 30 Selbstmorde habe es in jenen Tagen unter den Juden allein in Berlin gegeben, sagt Klepper im Film. Und der Zweifel nagt an ihm, ob der Freitod nicht doch einfach nur egoistisch ist und verhindert, dass Gott, der doch das Leben will, das letzte Wort hat. Dass Klepper bis zuletzt auch noch Hoffnung hatte, zeigen seine letzten Tagebucheinträge. So zitiert er aus 2. Petrus 1,19 das Wort Gottes als Licht, das an einem dunklen Ort scheint, „bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen“. Und Klepper fügt hoffend hinzu: „Wir wissen auch von Gottes Macht, dass er den Selbstmord noch in der Ausführung hindern kann.“

Eine der eindringlichsten Szenen ist wohl die, in der alle drei an diesem Dezembertag eine letzte Andacht abhalten und gemeinsam Kleppers bekanntes Weihnachtslied „Die Nacht ist vorgedrungen“ singen. Das Lied handelt vom Weihnachtsgeschehen, vom Erscheinen des menschgewordenen Gottes als „Kind und Knecht“. Klepper notierte kurz vor der Entstehung dieses Gedichts: „Gott will im Dunkel wohnen, und das Dunkel kann nur durchstoßen werden durchs Gebet.“

Kleppers inneren Konflikt stellt Regisseur Martins meisterlich dar durch eine dunkle Gestalt, die in Kleppers Fantasie auftaucht und irgendwann mit am Küchentisch sitzt. Dieser Dämon hält ihm alle Anklagen, alle Verdammnis und die Angst entgegen, das Falsche in Gottes Augen zu tun. Doch Klepper stellt sich dem Gast aus der Unterwelt und weiß ihm zu antworten: „Gott kennt uns. Er weiß um unser Herz und unsere Seele. Er weiß, dass wir ihn lieben und dass er uns alles ist. Er kennt auch unsere Ängste und Schwächen.“ Der Dichter ist überzeugt: „Unsere Nacht wird zum Morgen. Ich weiß nur die eine Antwort: Dass Jesus Christus unser Erlöser ist.“ Dem furchteinflößenden schwarzen Ankläger stellt sich Klepper schließlich mit einem urchristlichen Glaubensschritt entgegen und sagt ihm mit fester Stimme: „Mein Kampf ist ausgefochten. Mit den Menschen und mit dir. Hier hat das Hadern ein Ende. Du hast keine Macht mehr über mich.“

Der letzte Tagebucheintrag Kleppers lautet: „Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott – Wir gehen heute nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.“

„Schattenstunde“, 79 Minuten, Regie: Benjamin Martins, ab 27. Januar im Kino

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10 Antworten

  1. Danke ! Jörn Schumacher, für diese einfühlende Rezension ( Film) über Jochen Klepper , seine Frau und Tochter und über ihr schweres, aber verständliches Ende. Ich habe noch Tränen in meinen Augen, nachdem ich das eben gelesen habe, bin sehr berührt !

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  2. Es kann eigentlich nicht sein, dass Kleppers Frau Hanni ebenfalls deportiert werden sollte. Sie lebte in „privilegierten Mischehe“. Der gemeinsame Suizid erfolgte mit.W. nur wegen Renerle, die Klepper und seine Frau nicht allein in den Tod gehen lassen wollten.

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    1. Nun wie es zu diesem Zeitpunkt war habe ich nicht nachgeforscht. Ich erinnere mich aber an den Film „Rosenstraße“ in der Männer aus solchen Ehen in der Rosenstraße in Berlin inhaftiert waren. Die Deportation wurde anscheinend nur durch die nichtjüdischen Frauen verhindert.
      Der östererreichische Standard veröffentlicht dazu, dass die Deportation nach der Wannseekonferenz gefordert wurde und nichtjüdische Partner zur Scheidung gedrängt wurde – so wäre der Schutz nicht mehr vorhanden.

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  3. Die Geschichte von der Aktion in der Rosenstr. zeigt doch gerade, dass die Männer NICHT deportiert worden waren (was „man“ gern getan hätte), sondern „nur“ gefangen saßen und darum die Aktion der mutigen Frsuen Ergolg hatte. Es gibt Beispiele, dass nichtjüdische Ehepartner dem Druck standhielten und dadurch den jüdischen Partner retten konnten.

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  4. Liebe Frau Heun,

    sehen wir es mal mit dem Informationsstand von Jochen Klepper. Er ging davon aus sie nicht schützen zu können. Man muss eher davon ausgehen, wenn es nicht so viele Frauen in der Rosenstraße gewesen wären, dann wären diese Männer auch in der Shoah umgekommen.
    Ich zitiere ungern wikipedia. „Die Historikerin Beate Meyer kommt zusammenfassend zum Urteil, dass die Mischehe in der Zeit des Nationalsozialismus „keine sichere Überlebensgarantie“ bot. Die Mischehe verschaffte jedoch dem Großteil dieser Gruppe den notwendigen Zeitaufschub zum Überleben. Wenn der Krieg noch länger gedauert hätte, so hätten die Machthaber „zweifelsohne auch diese letzten verbliebenen Juden in ihr Mordprogramm einbezog“

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  5. „Eine sichere Überlebensgarantie“ gab und gibt es nie, schon gar nicht i. Nationalsozialismus – Das ist vollkommen unwidersprochen
    Aber damit wir nun mal im „Fall Klepper“ zu einem Schluss kommen, lesen Sie doch bitte „Unter dem Schatten deiner Flügel“ , dem Tagebuch von Jochen Klepper nach. Gegen Ende beschreibt er auch seinen letzten Besuch bei Eichmann. Da war das Schicksal von Hanni zwar unklar, aber zumindest stand eine Deportation nicht unmittelbar bevor. Der Suizidentschluss kam nur durch die nicht anwendbare Deportation von Renerle zustande.

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