Urgestein der Filmkritik

Welchen Film kann ich mir anschauen, um welchen mache ich besser einen Bogen? In Sachen Filmkritik kommt man am „Filmdienst“ und dem dazugehörigen „Lexikon des Internationalen Films“ fast nicht vorbei. Es ist eine kirchliche Einrichtung.
Von Jörn Schumacher
Kino

Wer sich mit der Geschichte der Filmkritik in Deutschland beschäftigt, stößt unweigerlich auf den „Filmdienst“. „Eine der bedeutsamsten filmkritischen Quellen in Deutschland“ nennt sie der Filmkritiker David Steinitz. Die Zeitschrift erscheint seit 1947 ohne Unterbrechung bis heute, seit 2018 in Form eines Internet-Portals. Auch das unter Filmfans sehr geschätzte „Lexikon des internationalen Films“ wird von den Film-Experten der katholischen Medienarbeit herausgegeben.

Kino sei schon immer seine Leidenschaft gewesen, sagt Josef Lederle, der langjährige Chefredakteur des Magazins, gegenüber PRO. Er studierte Theologie und Philosophie und schrieb über den sowjetischen Filmemacher Andrei Tarkowski seine Diplomarbeit. „Und ich habe schon immer Filmkritiken gelesen“, so Lederle, der seit über 20 Jahren für den Filmdienst arbeitet und seit 2018 dessen Redaktion leitet. In diesem Jahr feiern er und seine Kollegen das 75-jährige Bestehen dieser Institution in Sachen Filmkritik.

Filme für ein gutes christliches Leben

Angefangen hatte es 1947 als studentische Initiative: Klaus Brüne leitete in Düsseldorf christliche Jugendgruppen und beäugte das Aufkommen der ersten amerikanischen Kriegsfilme kritisch. Zur Frage, welche Filme für die Jugendlich gut sind, und welche nicht, verfasste er Handreichungen im DIN-A4-Format für die Jugendleiter. Daraus entstand der regelmäßig erscheinende „Filmdienst der Jugend“. Der enthielt Kurz-Filmrezensionen, welche die Filme aber schon damals auch nach ästhetischen Gesichtspunkten bewerteten.

Die Kurie in Rom sah den Nutzen dieser Arbeit und wollte die Publikationsart auch in anderen Ländern etablieren, berichtet Lederer. „Damals setzte man Filme auch für die Seelsorge ein, das heißt, ein guter Film sollte den Menschen zu einem besseren christlichen Leben verhelfen.“ Ein Film, in dem ein Mann seine Frau verließ und mit einer anderen glücklich wurde, passte da nicht so gut ins Weltbild. Die Filme wurden benotet von 1 (gut) bis 4 (moralisch verwerflich). Doch immer mehr sah man in Filmen eine eigenständige Kunstform, die herausfordert, aber vielleicht nicht immer gleich eine Lösung mitliefert.

Ende der 50er Jahre entstand sogar eine Bewegung namens „Katholische Filmliga“, deren Mitglieder ein Gelöbnis ablegten, nur Filme anzuschauen, die von den katholischen Filmkritikern empfohlen wurden, berichtet Leder. „Kino war damals das eine große Medium, und Filme gehörten zum Tagesgespräch.“ Die katholischen Film-Bewertungen hingen in Schaukästen aus. Später gab es so etwas auch in Österreich, der Schweiz, in Frankreich und in den USA.

Blick aufs Film-Handwerk

In den 60er Jahren professionalisierte sich die Filmkritik, und es waren nicht mehr nur Geistliche, die Filme kritisierten, sondern auch zunehmend Journalisten. Damit aber stand die strenge ethisch-moralische Fixierung auf Kollisionskurs mit einer intensiveren Beschäftigung mit den Regeln der Ästhetik und den erzählerischen Eigenheiten von Filmen. Vor einer zu engstirnigen „Moralschnüffelei“ warnte schon der Gründervater Klaus Brüne. Stattdessen solle Filmkritik eine „ganzheitliche Schau des Films“ sein, zu der auch ein Blick auf Kameraeinstellungen, Set-Design, Filmmusik, Dramaturgie und die schauspielerische Leistung der Darsteller gehört.

Der Filmdienst löste sich immer mehr vom kirchlichen Milieu und sprach auch ein weltliches Publikum an, sagt Lederle und fügt hinzu: „Das gleiche passierte übrigens parallel genau so auch bei den evangelischen Pendants.“ Doch die Zahlen des Filmdienstes nahmen Anfang der 70er Jahre rapide ab, und die Bischöfe begannen den Dienst zu finanzieren.

Von 1991 an erschien dann der Filmdienst als Zeitschrift im Abo-System und an Kiosken. Nach einem großen Kino-Boom in den 80er und 90er Jahren sanken die Verkaufszahlen ab den 2010er Jahren wieder. Seit dem 8. Januar 2018 erscheint der Filmdienst nur noch digital. Der Besucher kann auf der Website auf die wichtigsten aktuellen Film-Informationen zugreifen, die Inhalte wandern nach einem halben Jahr hinter eine Bezahlschranke. Wer alle Dienste nutzen und auf die riesige Film-Datenbank online zugreifen möchte, muss ein Plus-Abonnement für 20 Euro im Jahr abschließen.

Mehr als 1.000 Film-Rezensionen im Jahr

Vor dem Internet-Zeitalter war das „Lexikon des Internationalen Films“, das zuerst 1987 im Rowohlt-Verlag und 2002 bei Zweitausendeins erschien, das wichtigste Nachschlagewerk zum Film im deutschsprachigen Raum. Nun ist es eine Online-Datenbank, die permanent aktualisiert wird. Weiterhin bringt der Filmdienst jedes Jahr das „Jahrbuch“ mit dem Überblick über die wichtigsten Filme des Jahres heraus.

Dabei versuchen die Experten neben dem Kino auch das stetig wachsende Angebot der Streamingdienste abzudecken. „So etwas wie die südkoreanische Serie ‚Squid Game‘, die viel Aufsehen erzeugt hat, taucht bei uns schon auf, bevor es für Furore sorgt“, sagt Lederle. Auch das Filmangebot der Fernsehsender haben die Kritiker im Blick. „Wir rezensieren im Jahr 1.000 Filme. Das ist machbar durch das große Netz unserer Autoren.“

Die Redaktion mit drei Festangestellten sitzt im Katholischen Medienhaus in Bonn, gegenüber der Deutschen Welle. Etwa 80 freie Autoren liefern Texte zu. Träger des Medienhauses ist der Verband der Diözesen Deutschlands, dazu gehören unter anderem die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) und die Film- und Fernsehproduktionsfirma „Alpha Entertainment“ mit Sitz in Köln, die Beiträge fürs Fernsehen produziert.

Herausgegeben wird der Filmdienst von der Katholischen Filmkommission, einem Gremium, das im Auftrag der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz arbeitet. Den Verdacht, die Katholische Kirche übe auch inhaltlich Einfluss auf die Redaktion der Filmkritiker aus, zerstreut Lederle jedoch: „Die Redaktion ist unabhängig. Natürlich können wir keine antikirchlichen Dinge schreiben, aber wir fragen bei den Autoren nicht nach, ob sie getauft sind oder wie sie ihr religiöses Leben gestalten.“ Dennoch sei die Arbeit vom christlichen Menschenbild geprägt, der Filmdienst erfülle einen kirchlichen Auftrag. Ja, gemäß dem Grundsatz der katholischen Film- und Medienarbeit sei der Filmdienst „im Auftrag Jesu Christi unterwegs“. „Den Satz tragen wir allerdings nicht permanent wie eine Monstranz vor uns her“, sagt Lederle. Bei den Film-Bewertungen gehe es um die Frage, ob die Filme Themen aufgreifen, die etwas über unsere Zeit aussagen, ob sie Orientierung anbieten, und natürlich fänden religiös fundierte Filme immer besondere Beachtung. Die amerikanischen sogenannten „faith-based movies“ stünden dabei allerdings nicht im Fokus, betont der Filmexperte. „Da geht es fast immer nur um die Message, die Qualität dieser Filme ist oft unterdurchschnittlich.“

Persönlich angepasste Film-Empfehlung

Der „Kinotipp der Katholischen Filmkritik“, der regelmäßig auf filmdienst.de veröffentlicht wird, hebt Filme hervor, die in besonderer Weise religiöse Themen aufgreifen, von menschlichen Nöten, Sorgen und Hoffnungen erzählen und Antworten auf existenzielle Fragen formulieren. Und unter der Kategorie „Spuren des Religiösen im Film“ schreiben Autoren über bewusst religiös konnotierte Filme. Da gibt es zum Beispiel kritische Auseinandersetzungen mit den amerikanischen faith-based movies, mit christlichen Erfolgsfilmen wie „Die Hütte“, aber auch mit der Serie „The Chosen“ und dem Netflix-Film „Die zwei Päpste“ oder „Das Neue Evangelium“ des Schweizer Regisseurs Milo Rau.

Wer also eine Antwort auf die Frage haben will, welche Filme er schauen kann und welche besser nicht, ist beim Filmdienst in guten Händen. Der Empfehlungscharakter der Website soll noch weiter ausgebaut werden, sagt Lederle. Eine App kann in Zukunft mit dem persönlichen Filmgeschmack gefüttert werden, und eine KI spuckt dann Filmempfehlungen aus, die auf diesem Geschmack basieren. Dann kündigt die App an, wenn ein interessanter Film im Fernsehen oder im Kino kommt. Und vielleicht führt der ja dann doch auch zu einem besseren Leben als Christ.

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