Meinung

Transhumanismus: Technik-Glaube und Technik ohne Gott

Transhumanismus mag ein schwerfälliger Begriff sein. Dennoch lohnt sich ein Blick in das Buch des Theologen Oliver Dürr. Denn er zeigt, warum sich Menschen von Computern unterscheiden, und warum das gerade in aktuellen Fragen rund um KI wichtig ist.
Von Jörn Schumacher
Transhumanismus

Auch wenn es der etwas sperrige Begriff „Transhumanismus“ möglicherweise verschleiert: Das Thema dieses Buch ist hochaktuell. Nicht nur Elon Musk will mit seiner Firma „Neuralink“ mit Digitaltechnik dem menschlichen Gehirn zu Leibe rücken, Tech-Visionäre des Silicon Valley wollen den menschlichen Geist in die Cloud hochladen, andere versprechen mit Technologien die Heilung von allerlei Gebrechen und sogar ein ewiges Leben. Dahinter steht ein Menschenbild, das dem christlichen in seinem Kern entgegensteht.

Oliver Dürr, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum Glaube & Gesellschaft an der Universität Fribourg und Habilitand am Institut für Hermeneutik und Religionsphilosophie an der Universität Zürich, geht in seinem Buch glücklicherweise darüber hinaus, lediglich zu erklären, was Transhumanismus ist. Die Ansicht ist weiter verbreitet, als man denkt: Individuen sind im Grunde nicht mehr als „Informationsverarbeitungsprozesse“, und die könne man recht bald in Computer hochladen.

Wenn dann noch die restlichen Organe des Menschen durch Roboterbauteile ersetzt werden, ist die Transformation eines Menschen in einen Roboter abgeschlossen. Das strebt, konsequent zu Ende gedacht, der „Transhumanismus“ an. Viele sehen darin eine Erweiterung und Beschleunigung der Evolution. Doch der Theologe und gläubige Christ Dürr hat berechtigte Zweifel.

Kann der Mensch überhaupt verbessert werden?

Der Mensch ist nichts anderes als eine Uhr – schon im 17. Jahrhundert kam diese Sichtweise auf. Und Dürr erinnert an die Frage: Was ist Leben überhaupt? Können Maschinen leben? Über diese Frage wird bereits seit jener Zeit bis heute diskutiert, damals kamen ausgeklügelte Maschinen auf, die von außen betrachtet so agierten, als lebten sie. Heute geht es nicht mehr um Mechanik oder Dampfmaschinen, sondern um hoch entwickelte Digitaltechnik und Künstliche Intelligenz (KI).

Dürrs Buch rückt alte Missverständnisse, vom „Mind Upload“ über lebendige Roboter mit (Menschen-)Rechten bis hin zur menschenähnlichen KI, zurecht. Wertvoll ist etwa das Kapitel zur Frage: Kann der Mensch auf die Ansammlung von Information reduziert werden?

Er klärt darüber auf, was „Information“ eigentlich ist – gemäß den Mathematikern Claude Shannon und Warren Weaver – und konstatiert: „Information als Bedeutung setzt immer Personen voraus, für die sie etwas bedeutet. Deshalb ergibt es konsequenterweise auch keinen Sinn, bewusste Personen selbst als Informationen begreifen zu wollen beziehungsweise deren Bewusstsein auf Informationsprozesse zu reduzieren.“

Das subjektive Erleben, etwa das Hören von Musik, könne eben nie nur auf Informationsverarbeitung reduziert und in einen Computer hochgeladen werden.

Mit alldem ist natürlich ein grundlegendes Menschenbild verknüpft: Kann der Mensch überhaupt verbessert werden? Nach biblischen Maßstäben ist der Mensch bereits perfekt erschaffen. Die Evolutionstheorie geht vom genauen Gegenteil aus. Es sei auch kein Zufall, dass gerade bei den Menschenexperimenten in den Konzentrationslagern des 20. Jahrhunderts „im Namen der Wissenschaft“ dieselbe Logik vom „zu verbessernden Menschen“ auftrat, die uns beim Transhumanismus wieder begegnet.

„Meistens vermischen Transhumanisten unkritisch die Evolution der Lebewesen mit der Entwicklung der Technik“, schreibt Dürr und weiter: „Da Transhumanisten ihrem Weltbild geschuldet, sich nicht auf eine Würde der menschlichen Person berufen können, der deshalb auch unveräußerliche Rechte zukämen, haben sie kaum Ressourcen, um einer machtpolitischen Vereinnahmung des Einzelnen und einer sozialdarwinistischen Logik zu widerstehen.“ Philosophisch stand hier Friedrich Nietzsche mit seiner Vision vom „Übermenschen“ Pate.

Dürr warnt: „Die Geschichte der Eugenik ist bis heute nicht abgeschlossen. (…) In einer evolutionistischen Perspektive wird der Mensch nicht mehr als ‚Krone der Schöpfung‘ wahrgenommen, sondern zum bloßen ‚Übergang‘ von einer niedrigeren zu einer höher entwickelten Existenz.“ In einer Kultur der stets angestrebten Optimierung werde „das Normale, das Durchschnittliche und natürlich Gewachsene als mangelhaft empfunden“, so Dürr. Nichts anderes habe die „Eugenik“ oder die „Menschenzucht“ verfolgt – und angesichts der Möglichkeiten moderner Gentechnik (etwa durch CRISPR) stehe diese Gefahr wieder ganz neu im Raum.

Eine „neue Kreatur“ ganz ohne Gott?

Im letzten Kapitel gibt Dürr Antworten aus christlicher Sicht auf die aufgeworfenen Fragen. Denn: „Der Transhumanismus fordert die Religionen und spezifisch den christlichen Glauben heraus!“ Immerhin sind mit ihm Heilsvorstellungen und ein Leben nach dem Tod verbunden. Im transhumanistischen Denken sei das Gespür für den Sinngehalt von „Würde“ zunehmend verloren gegangen, stellt der Theologe fest. Und kann es etwa eine „medizintechnische Verbesserung der Moral“ geben, wie es ein australischer Philosoph tatsächlich vorschlug?

Im Transhumanismus sei der Mensch lediglich „bedeutungsloses und austauschbares Element“, das sich bitteschön nicht der allgemeinen Verbesserung der menschlichen Spezies entgegenstellen sollte; das Individuum und sein Sinn für Geist, Kultur, Schönheit und Moral, ja, das ganze Leben und der Sinn dahinter sei hier nicht mehr als ein „determinierter Prozess physikalischer Teilchen bzw. genetischer Variationen“.

Dem entgegen stehe der christliche Glaube: „Er rechnet damit, dass der Mensch nie alles berechnen und beherrschen kann – und das auch nicht muss! (…) Weil Gott in die Gestaltung unserer Zukunft involviert ist“.

Theologisch betrachtet, stelle sich zudem die Frage, „ob nicht gerade in der freiheitsbegabten Person indirekt etwas Transzendentes aufleuchtet“, ja, in biblischer-christlicher Tradition sei der Mensch ja gerade in seinem freien Willen Gott ebenbildlich, so Dürr. Der Mensch werde auch nach christlichem Verständnis neu geschaffen, aber eben durch die Auferstehung Jesu und die Hoffnung auf eine „neue Kreatur“.

Doch während diese neue Kreatur durch Glaube an den Auferstandenen möglich wird, geschieht dies beim Transhumanismus allein durch Menschenhand, durch Technik. Hier also: Abhängigkeit von Gott; dort: der Versuch, sich aus eigener Kraft und ohne Gott zu einem besseren Sein emporzuschwingen. Wer sich hier an den Turmbau von Babel erinnert fühlt, liegt vielleicht gar nicht so falsch.

Oliver Dürr: „Transhumanismus – Traum oder Alptraum?“, Verlag Herder, 208 Seiten, 22 Euro, ISBN: 978-3-451-39753-0

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