Meinung

Der Glaube an Außerirdische

Dieses Buch ist anstrengend. Weil es von einer Niederlage zur nächsten führt. Es handelt von Außerirdischen, die nie gefunden wurden, hat dabei aber einen wissenschaftlichen Anspruch. Das geht völlig nach hinten los.
Von Jörn Schumacher
Unheimliche Stiller Cover

Bislang gab es keinen Nachweis für die Existenz von Außerirdischen. So vielversprechend manche Radio-Signale und die Aufregung auch waren: Es bleibt am Ende nur Spekulation und der sehnsüchtige Wunsch von Ufo-Gläubigen und Science-Fiction-Fans.

Natürlich ist es äußerst spannend, sich über außerirdisches Leben Gedanken zu machen. Wie sehen sie wohl aus? Wovon leben sie? Was denken, was wünschen und was glauben sie? Doch gleichzeitig besteht bei diesem Thema die Gefahr, sich lächerlich zu machen. Denn immer steht man mit einem Bein in der Science-Fiction-Literatur. Der Wissenschaftsautor Harald Zaun hat sich an das Thema gewagt und den bekannten Astronomen und Fernsehmoderatoren Harald Lesch als Co-Autoren gewinnen könnten. So zumindest behauptet es das Cover des Buches „Die unheimliche Stille“.

Es seien bislang 5.297 Exoplaneten entdeckt worden (Stand Januar 2023), stellen die Autoren fest. Es werden stetig mehr. Für viele bedeutet das, dass auch die Entdeckung von Leben gar nicht mehr weit sein kann. Mit Wissenschaft hat das aber rein gar nichts zu tun.

Das Thema ist hochspekulativ, und das beginnt bereits bei der Frage, was Leben überhaupt ist – und wie es entstand. Ohne diese Frage beantworten zu können, sind genügend Menschen überzeugt, dass es auf anderen Planeten, unter völlig anderen Bedingungen wie auf der Erde, entstanden sein MUSS. Und schon ist man mitten drin in Science-Fiction. „Wir konzentrieren uns nicht auf bakterielles Leben, sondern auf intelligentes.“ Ein Satz, der zu Beginn des Buches eher marginal daherkommt, aber den Kern des Problems aus der Debatte mit einem Schlag hinauskatapultiert. Man konnte bisher nicht einmal bakterielles Leben außerhalb der Erde nachweisen, die Autoren stürzen sich aber auf 336 Seiten munter auf ein vielfach komplexeres, nämlich intelligentes Leben im All, das Botschaften versenden kann.

„Organisches Material“ ist kein „Leben“

„Wir sind nicht allein in diesem gewaltigen Universum“, stellen die Autoren mutig fest und sprechen sich dabei „Chuzpe“ zu. Denn gefunden wurde noch nie etwas. Doch „Chuzpe“ wird hier leider verwechselt mit Unwissenschaftlichkeit. Nur wenige Zeilen später preisen die Autoren die „wissenschaftliche Methode“, die auf Experimente und einer möglichen Falsifikation der Annahmen aufbaut (der Poppersche kritische Rationalismus). Erst blenden sie grundlegende Fakten über lebende Zellen und die völlige Unklarheit über die Entstehung von Leben und wie groß die Wahrscheinlichkeit dafür war, aus, und philosophieren dann kapitelweise über intelligentes Leben, das ja so gut wie sicher da draußen existieren muss. Chuzpe würde bedeuten: Zugeben, dass man es nicht weiß und trotzdem dran glaubt.

Regelmäßig liest man bekanntermaßen in den Medien von einer angeblichen „zweiten Erde“, die Wissenschaftler angeblich entdeckt haben. Tage oder Monate später wird diese Aussage dann relativiert, die Ähnlichkeit zwischen dem Exoplaneten und der Erde bestehe lediglich in einer einzigen Eigenschaft. In Wirklichkeit (also bei Science, im Gegensatz zu Science-Fiction) hat die Wissenschaft bis jetzt über zwei Dutzend Faktoren der Erde und ihres Platzes im Sonnensystem identifiziert, von denen man bis jetzt annimmt, dass sie als Voraussetzung für Leben auf der Erde essentiell notwendig sind. Da wird die Wahrscheinlichkeit für Leben dann eben plötzlich doch rasch klein, sehr, sehr klein. Da kann es noch so viele Exoplaneten geben. Wahrscheinlichkeitsrechnung ist lästig.

„Organisches Material“ habe man hier und da in dieser oder jener außerirdischen Atmosphäre schon ausmachen können, schreiben die Autoren. Doch es ist ein weit verbreiteter (vollkommen unwissenschaftlicher) Irrtum: Nur weil man (Bau-)Steine gefunden hat, heißt das nicht, dass daraus so gut wie sicher auch etwas errichtet wurde. „Organisches Material“ meint meistens Elemente wie Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff und Kombinationen daraus; von „Leben“ ist man dabei noch geradezu absurd weit entfernt. Aber diese Tatsache blendet das Buch ja bewusst anfangs aus.

Exotheologie und Astrotheologie

In „Die unheimliche Stille“ gehen Lesch und Zaun viele der enttäuschenden Fälle durch, bei denen die Aufregung zunächst groß war, weil außergewöhnliche Radiosignale aufgenommen wurden, die sich dann jedoch alle als Irrtümer entpuppten. Da schrieb in den 70er Jahren ein Forscher neben seine Signalaufzeichnungen mit Kugelschreiber ein „Wow!“, weil er davon fasziniert war. Es entpuppte sich zwar auch hier als nichtssagend, doch anstatt, dass diese Episode in Vergessenheit geriet, holt es jeder Autor von Büchern über Außerirdische seit 50 Jahren pflichtbewusst immer wieder hervor. So auch Lesch und Zaun.

Aber angenommen, man würde eines Tages tatsächlich Signale von intelligenten Wesen empfangen: Das Versenden von Nachrichten würde Hunderte und Tausende Jahre dauern. Wie sollte da Kommunikation funktionieren? In den 70er Jahren sendete man tatsächlich einmal eine kodierte Botschaft per Radiowellen von der Erde ins All, und zwar an den Kugelsternhaufen M13, der 25.000 Lichtjahre entfernt ist. Wie stark wird das Signal dort wohl noch sein? Und selbst wenn es dort ankommen sollte, es müsste dort schon jemand die Antennen genau in Richtung Erde ausgerichtet haben und seine Geräte für die Dauer der drei Minuten auf „Aufnahme“ gedrückt haben. Und wer bekommt auf der Erde denn dann die Antwort, weitere 25.000 Jahre später? Und worüber genau sollte man sich unterhalten? Ist in den beiden Welten zweier Kommunikationsteilnehmer alles vollständig fremdartig, gibt es keine Grundlage, auf der man sich austauschen könnte.

Ein starkes Argument gegen Außerirdische ist das Fermi-Paradoxon: Wenn es so viel Außerirdische gibt, warum hört und sieht man von ihnen keine Signale? Inhaltlich entkräften können die Autoren es nicht wirklich, daher beschränken sie sich darauf: Fermi habe diese Bemerkung nur nebenbei in einer Kantine gemacht, daher brauche man sie nicht weiter zu beachten. Das ist nicht nur aus wissenschaftlicher Perspektive traurig, sondern auch, weil immerhin der Titel des Buches eine Antwort auf diese (gar nicht triviale) Frage verspricht.

Konsequenzen für das Christentum

Zum Schluss spekulieren die Autoren über die Frage, ob sich Außerirdische aus religiösen Gründen an die Mitbewohner des Kosmos richten könnten. „Eine von Missionseifer getriebene Gesellschaft könnte geneigt sein, den Zorn ihrer Götter dadurch zu besänftigen, andere Zivilisationen zu bekehren.“ So ist ja bekanntermaßen im ganzen Kosmos der einzige Zweck von Mission, „die Götter zu besänftigen“, wie man weiß. Umgekehrt könnte für die Religionen der Erde die Entdeckung einer außerirdischen Zivilisation „katastrophal“ sein, mutmaßen die Autoren. Sie greifen sich das Christentum heraus: „Die Lehre, dass ‚Gott den Menschen nach seinem Bilde geschaffen‘ habe, mutet an wie eine in den Fundamenten des Christentums tickende Zeitbombe“, zitieren die Autoren den Science-Fiction-Autor Arthur C. Clark.

Schließlich fragen die Autoren: „Welche Konsequenzen hätte es wohl für das Christentum (…), erführen wir ganz nebenbei, dass auf deren Welt noch kein Heiland, kein Befreier, kein Sohn Gottes erschienen ist (…)? Würde dies nicht aus christlicher Sicht der Allmächtigkeit und Allgegenwärtigkeit Gottes widersprechen?“ Hätte der Sohn Gottes nicht alle anderen Welten aufsuchen müssen? Oder könnte sich die Erlösung im Kosmos nur ein einziges Mal zugetragen haben? Die Autoren zitieren dazu den Münchener Theologen Armin Kreiner: Sollten Außerirdische auf der Erde landen und Kirchen, Sekten oder Prediger den Drang verspüren, die außerirdischen Gäste zum Taufbecken oder zum rechten Glauben zu führen, könne der Erstkontakt zum „Horrorszenario“ werden. Das Themenfeld, das die Autoren mal „Exotheologie“ nennen und mal „Astrotheologie“, ist offenbar noch ein unbekanntes Terrain. Die Autoren stellen in diesem Kapitel fast nur Fragen, die sie nicht beantworten, erwähnen dann aber noch (in Frageform) ein Gedankenexperiment des kanadischen Science Fiction-Autoren Robert J. Sawyer: Was wäre, wenn eine galaktische Botschaft anderer Welten uns klarmachen würde, dass es zwar einen Schöpfergott gibt, dieser aber nicht an eine irdische Religion gebunden sei? Lesch und Zaun fragen: „Wie groß wäre der Schock?“ Wieder lassen die Autoren diese Frage offen. So wie sie die eigentliche Frage ihres Buchtitels nur damit beantworten, was einem in Sachen Außerirdische am Ende eben als einziges übrigbleibt: Spekulation. Ist die Suche nach extraterrestrischem Leben am Ende nichts anderes als eine Religion?

Harald Lesch und Harald Zaun: „Die unheimliche Stille: Warum schweigen außerirdische Intelligenzen und Superzivilisationen?“, Verlag Herder, 336 Seiten, 24 Euro, ISBN: 978-3451392788

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