Meinung

Lebensschutz aus den Augen, aus dem Sinn

Familienministerin Lisa Paus will Mahnwachen vor Beratungsstellen für Abtreibungen verbieten. Das wäre ein Eingriff in Grundrechte. Aber die Kritik an der Aktion ist nachvollziehbar.
Von Jonathan Steinert
Embryo, Lebensschutz, Abtreibung

Mit international koordinierten Kampagnen wollen Lebensschützer während der Fastenzeit Gebets-Mahnwachen vor Einrichtungen abhalten, wo Frauen sich zu Abtreibungen beraten und Schwangerschaftsabbrüche durchführen lassen können. „40 Tage für das Leben“ nennt sich die Initiative. Bereits 2007 wurde sie ins Leben gerufen. 22.855 Leben weltweit seien seitdem auf diese Weise gerettet worden, behauptet die Initiative auf ihrer Website.

In Deutschland beten und demonstrieren Christen unter dem Motto „40 Tage für das Leben“ in Frankfurt, Pforzheim, Stuttgart und München. Die Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) will das verbieten. Ihr Ministerium arbeite bereits an einem Gesetz, sagte sie. Mahnwachen vor solchen Einrichtungen seien „Grenzüberschreitungen und nicht hinnehmbare Eingriffe in höchstpersönliche Entscheidungen von Frauen“. Frauen müssten ungehindert Zugang haben zu Beratungsstellen.

Katja Mast, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, kritisierte an der Aktion der „radikalen Abtreibungsgegner“, es gehe ihnen nur um „psychischen Druck auf Frauen“. Von Ministerin Paus forderte sie, noch in diesem Jahr ein Gesetz vorzulegen.

Konflikt mit den Grundrechten

Dafür wird es einige juristische Akrobatik brauchen. Denn schon zweimal haben Verwaltungsgerichte Auflagen für nichtig erklärt, die die Städte Pforzheim und Frankfurt am Main für diese Mahnwachen angeordnet hatten. Die Beter sollten sich etwa während der Öffnungszeiten der Beratungsstelle weiter weg aufstellen, sodass sie vom Gebäude aus nicht gesehen werden können.

Sowohl der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg als auch das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main befanden: Die öffentliche Ordnung und Sicherheit ist durch die Gebets-Mahnwache nicht gefährdet, die Versammlungsfreiheit darf daher nicht eingeschränkt werden. Solange die Beteiligten niemanden bedrängten oder Frauen in eine „unausweichliche“ Situation brächten, müssten die Mahnwachen hingenommen werden – auch wenn sie Persönlichkeitsrechte betreffen und als stigmatisierend empfunden werden könnten.

Das Recht, sich zu versammeln und öffentlich eine Meinung und Glaubensüberzeugungen kundzutun, ist im Grundgesetz geschützt. Das per Gesetz einzuschränken, greift unmittelbar in Grundrechte ein. Dafür braucht es schon sehr schwerwiegende Gründe.

Sicher: Demgegenüber stehen Persönlichkeitsrechte. Deshalb dürfen Demonstranten Frauen nicht daran hindern, sich einen Beratungsschein für eine Abtreibung ausstellen zu lassen, dürfen sie nicht bedrängen oder den Weg blockieren. Das muss der Staat gewährleisten. Und das geschieht bei diesen Mahnwachen auch nicht, wie die Gerichte festgestellt haben.

Aber muss der Staat Menschen vor unangenehmen Situationen schützen oder davor, dass sie mit anderen Entscheidungsmöglichkeiten konfrontiert werden? Nein. Das gehört zu einer freien, pluralen Gesellschaft dazu. Zumal es hier nicht um irgendeine beliebige Streitfrage geht. Sondern um das zutiefst ethische Thema der Würde und Achtung des ungeborenen Lebens.

Die erwünschte Bannmeile für betende Demonstranten wirkt wie der Versuch, dieses ethische Gewicht sowie die Alternativen zur Abtreibung aus den Augen und aus dem Sinn zu halten.

Frauen in ihrer Not ernst nehmen

Nachvollziehbar ist es allerdings, dass Frauen sich von einer solchen Mahnwache angeprangert und stigmatisiert fühlen. Auch wenn das so nicht ausgesprochen wird, wird eine ungewollt schwangere Frau aus dieser Art des Protests vor allem Vorwürfe hören: „Du tust etwas Falsches, etwas Verwerfliches, du machst dich schuldig. Wir stehen auf der guten Straßenseite, du auf der bösen.“ Und das in aller Öffentlichkeit bei einem Thema, das eigentlich zutiefst intim ist.

Zweifel sind angebracht, ob das Frauen in einer Notsituation wirklich hilft. Mag sein, dass tatsächlich rund 23.000 Leben gerettet wurden und sich Frauen doch gegen eine Abtreibung entscheiden. Liebevoller wäre es jedoch, sich für das ungeborene Leben einzusetzen, ohne dass Frauen das Gefühl haben, am Pranger zu stehen. Ihnen stattdessen zu vermitteln: Ich nehme dich und deine Not ernst und helfe dir, eine Lösung zu finden – wie es in vielen christlichen Beratungsstellen auch geschieht.

Das ist auch eine Frage davon, wie das Anliegen des Lebensschutzes in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Denn die steht dem ohnehin skeptisch gegenüber. Solche Mahnwachen allerdings werden die Skepsis eher befeuern, als dass sie für das Anliegen werben. Dass sich diese Woche gleich zwei Bundespolitikerinnen zu dieser an sich lokal begrenzten Kampagne äußerten, zeigt: Für die Ziele der Koalition sind solche Aktionen eine Steilvorlage.

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