Meinung

Supreme Court zu Abtreibungen: Was heißt eigentlich Lebensschutz?

US-Evangelikale frohlocken, dass das Verfassungsgericht wohl enge Grenzen für Abtreibungen ziehen wird. Doch wer sich als Lebensschützer auf der Rechtsprechung ausruht, ignoriert etwas Entscheidendes.
Von Nicolai Franz
Abtreibungsbefürworter in den USA

Eine konservative Mehrheit am Supreme Court – das war ein zentrales Wahlversprechen von Donald Trump. Als er Präsident wurde, hielt er Wort. Die frei gewordenen Richterstühle besetzte er so, dass die liberalen Kräfte am obersten US-Gerichtshof das Nachsehen haben.

Bisher hat das kaum Auswirkungen gehabt. In Sachen Abtreibung könnten die Konservativen nun aber für eine Zäsur sorgen (hier lesen Sie mehr). Laut einem geleakten Urteilsentwurf wollen die Richter das wegweisende Urteil von 1973 abräumen, das als „Roe v. Wade“ in die Geschichte eingegangen ist.

Darin räumte der Supreme Court Frauen ein weitgehendes Recht auf Abtreibungen ein, sehr viel weiter als bei uns. Zu Recht war das Urteil Lebensschutz-Aktivisten lange ein Dorn im Auge. Es lässt sich viel über die Schwächen des Richterspruchs schreiben. Zur Befriedung Amerikas hat das Urteil – anders als die Fristenregelung in Deutschland – jedenfalls nicht beigetragen.

Zwei Fronten stehen sich seit fünf Jahrzehnten unversöhnlich gegenüber: Die einen wollen möglichst keinerlei staatliche Grenzen für Schwangerschaftsabbrüche, die anderen wollen sie möglichst komplett verbieten. Während manche auf der einen Seite des Spektrums Abtreibung als „Mord“ bezeichnen, sagen andere, niemand, auch kein ungeborenes Kind, habe das Recht, einen fremden Körper zu „benutzen“ – eine furchtbar gefühllose und egoistische Sichtweise auf die Würde des menschlichen Lebens.

Umgekehrt wird vielen „Pro-Life“-Aktivisten, darunter viele evangelikale Republikaner-Wähler, vorgeworfen, dass sie eigentlich gar nicht „für das Leben“, sondern nur „für Geburten“ („pro-birth“) sind. Da ist was dran. Wenn man im Namen Jesu einerseits Abtreibungen verbieten will, aber gleichzeitig gegen schärfere Waffengesetze und für die Todesstrafe wirbt sowie gegen den Sozialstaat opponiert, ist das vor allem eines: bigott.

Jede Abtreibung ist eine Tragödie. Aber wer sie verhindern will, darf sich nicht auf ein möglichst scharfes Abtreibungsrecht verlassen und meinen, damit sei der göttliche Auftrag erfüllt, Leben zu bewahren.

Mindestens genauso wichtig ist es, sich mit aller Kraft dafür einzusetzen, dass es Frauen leichter fällt, sich für ihr Kind zu entscheiden. Wenn eine Frau eine Schwangerschaft vor allem deswegen abbricht, weil sie für ihr Kind nicht sorgen könnte, dann hat nicht in erster Linie das Gesetz versagt. Sondern die Gesellschaft als Ganzes, die zu wenig gegen Armut getan hat.

Es ist fatal, dass weiße evangelikale US-Christen spätestens seit Trump fast ausschließlich als gefühlskalte Besserwisser wahrgenommen werden, die ihre Werte anderen per Gesetz aufoktroyieren und die die Schwachen mit ihrem Leid alleine lassen.

Trotzdem: Es ist zu hoffen, dass der Supreme Court einen gehörigen Schritt Richtung Lebensschutz machen würde. Doch damit dürfen sich Christen nicht zufriedengeben. Längst gibt es auch unter Evangelikalen jene, die sich nämlich „from womb to tomb“ für das Leben einsetzen: vom Mutterleib bis zum Grab. Das ist nicht nur konsequent, sondern auch zutiefst biblisch.

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9 Antworten

  1. Danke, Herr Franz! Ich bin da quasi voll und ganz Ihrer Meinung. Sehr gut ausgedrückt.

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  2. Der Artikel wäre gut, wenn auch der Aspekt der pränatalen Feststellung von Behinderungen ins Spiel gebracht worden wäre. Das finde ich schon eine grobe Unterlassung und nicht nur einen Schönheitsfehler.

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  3. Die Zusammensetzung des Richterkollegiums in Amerika ist nun mal so, wie sie ist; die Republikaner haben ihre Möglichkeiten ausgenutzt, wie früher die Demokraten. Zudem handelt es sich um juristisch kompetente, ausgewiesene Experten; wer sie immer noch als Trumps Marionetten versteht, liegt völlig falsch.
    Das Anliegen der ProLife-Bewegung als ProBirth abzuwerten, ist natürlich tendenziös und nur ein Argument der unsachlichen Auseinandersetzung. Es geht nun mal nicht anders, als dass man zunächst für Lebensschutz, vor einer sozialen Flankierung, sorgen muss. Was soll da die mehr oder weniger ausgesprochene Kritik, die Lebensrechtbewegung sei sozusagen nicht ‚ausgewogen‘ genug?
    Und noch dazu die Todesstrafe oder die Waffengesetzgebung in des USA ins Spiel zu bringen, ist unredlich und in der Sache daneben. Das miteinander zu vergleichen und christliche Lebensrechtgruppen, die nicht gleichzeitig gegen beides eintreten, als „bigott“ zu bezeichnen, ist wohlfeile Besserwisserei. Aber das kennt man aus manchen Medien: vom hohen Ross deutscher Vorstellungen auf andere herunterschauen! Dabei wird u.a. unterschlagen, dass es vor allem die Bundesstaaten der US sind, die hier eigene Regelungen erlassen können. Gegen eine solche Möglichkeit wenden sich in der Frage der Abtreibung die Befürworter, sie wollen genau das verhindern und fordern eine landesweite Regelung (wie in den letzten Jahrzehnten).
    Am Ende jedoch zu lesen, dass „weiße evangelikale US-Christen spätestens seit Trump fast ausschließlich als gefühlskalte Besserwisser wahrgenommen werden, die ihre Werte anderen per Gesetz aufoktroyieren und die die Schwachen mit ihrem Leid alleine lassen“, ist eine ungeheuerliche Behauptung! WER nimmt das denn so wahr, wie hier (im Passiv) dreist behauptet wird? Das ist eine Diffamierung vieler im Lebensschutz engagierter Christen in den USA; in der ZEIT wäre solch ein Satz nicht überraschend; bei einem Portal wie PRO vermag ich keinerlei Verständnis dafür aufbringen.

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  4. Es macht mich traurig, solche Meinungen in einem aus christlich bezeichneten Magazin zu lesen. Hier wird relativiert und ein Kompromiss gesucht, aber entscheidende Fakten außen vor gelassen: Abtreibung ist per Definition eine unnötige Tötung des Kindes im Mutterleib. Jede Relativierung und jeder Kompromiss hat zum Ziel, zu erlauben, diese Tötung durchzuführen. Es beginnt mit Ausnahmen (bei Vergewaltigung, Inzest usw.). Dabei bestraft man das Kind für die Vergehen anderer. Es geht weiter über Pränataldiagnostik und endet dann beim Recht auf Abtreibung bis zur Geburt. Manche gehen noch weiter und fordern das Recht auf „nachträgliche Abtreibung“, nach der Geburt.
    Sollte das Urteil von 1973 rückgängig gemacht werden, ist das sehr zu begrüßen. Damit sind Abtreibung übrigens nicht verboten, vielmehr liegt damit die Entscheidung wieder glasklar beim Gesetzgeber, den Parlamenten der einzelnen Bundesstaaten. Manche werden ihr liberales Abtreibungsgesetz beibehalten, andere werden die Möglichkeit verstärkt nutzen, Kinder vom Beginn ihres Lebens an, ab der Befruchtung, zu ehren und zu schützen.

    Warum die Fristenregelung in Deutschland für Frieden sorgen soll, ist mir unklar. Aus ProLifeSicht gibt es keinen akzeptablen Zeitpunkt, bis zu dem Abtr. in Ordnung wäre. Aus ProChoiceSicht ist die geltende Frist zu kurz. Die Spaltung gibt es auch hier.

    Gott kann eine Denkweise und eine Gesellschaft nicht gutheißen, die ihre Kinder tötet. Machen wir uns bewusst, wie heilig Gott ist und dass er über Leben und Tod bestimmt. Er tritt für die Schwächsten ein, wer will ihm entgegentreten?

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  5. Was hier einmal mehr besonders auffällt: Es sprechen nur Männer, und zwar über die Köpfe von Frauen hinweg, die in dieser Frage doch zweifelsohne eine Hauptlast tragen! Und das aus der Position eines äußerst selektiven [!] moralischen Rigorismus, der Konfliktsituationen noch einmal von ferne in den Blick bekommt!
    So ist eben, der ignorante patriarchale Fundamentalismus!
    PS Ich sage das als jemand, der ganz sicher kein Abtreibungsbefürworter ist, aber mit der bundesdeutschen Regelung leben kann, weil sie in einer Dilemmasituation versucht keine strafrechtliche „Lösung“ herbeizuführen!

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    1. Nach dieser Logik dürften nur die Fußballer über Abseitsregeln diskutieren.
      Nun ja, so kennt man ihn eben, unseren Welterklärer und Moralwächter Carvalho, der unbarmherzig und mit finalem Durchblick die Schubladen fein säuberlich stets bereithält, ein echter Don Quichote für aufgeklärtes Christentum und politisch korrekten Bürgersinn.!
      Und wer da eine andere Meinung hat, denkt „äußerst“ selektiv und moralisch rigoristisch, ignorante Fundamentalisten eben.
      Gut, dass wir nun wieder Bescheid wissen!

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      1. Der Fussballvergleich ist schlicht unsachlich und logisch sinnwidrig, denn von „nur“ war nie die Rede… Es ist ein elementarer ethischer Grundsatz, dass Betroffene – und das sind Frauen in ganz anderem Maße als Männer – insbesondere zu hören sind. Aber das Patriarchat hat Frauen immer zum Schweigen und zur Unsichtbarkeit verurteilt…
        Ignorante Fundamentalisten eben…. hinter Ihrem etwas mühsam kindischen Ironieversuch verbirgt sich ganz unfreiwillig Zutreffendes…

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        1. Guten Morgen Carvalho,
          verzeihen Sie eine kurze persönliche Stellungnahme: ich verfolge Ihre Kommentare in diesem Magazin jetzt seit etwa einem Jahr und versuche, mir aus Ihren Darlegungen ein Bild Ihrer Persönlichkeit zu machen, sofern dies mit diesen Mitteln überhaupt möglich ist. Es fällt natürlich auf, dass sie den Menschen hier, die die Bibel nach einem gewissen – biblizistisch geprägten – Literalprinzip verstehen und in ihren Schlussfolgerungen zu eher konservativen, fundamental anmutenden Aussagen kommen (etwa in der Frage der Homosexualität, Gernder, Rolle der Frau in der Gemeinde, die religiöse Rechte und der Kulturmarxismus, Synkretismus usw.) oftmals scharf angehen und sie der Naivität oder auch mangelnder Wissenschaftsorientierung bezichtigen. Die von Ihnen „gemaßregelten“ Leser reagieren dann oft auch entsprechend, so dass der Ton auf beiden Seiten oft gehässig wird. Andererseits haben Sie in Ihren Kommentaren ein wenig Ihre gemeindliche Herkunft durchschimmern lassen (endzeitorientiert, dispensationalistisch), dann aber auch Details zu Ihrer beruflichen Ausbildung preisgegeben, wenn Sie erwähnen, dass Sie alte Sprachen beherrschen, Habermas lesen, über Verschwörungstheorien geforscht haben usw., wovor ich Respekt habe.Um es kurz zu machen: Für mich wirken Sie wie ein dem piefig-fundamentalistischen Gemeindeumfeld entflohener Querdenker, der auf Basis von theologischer bzw. politikwissenschaftlicher Ausbildung zu besseren Erkenntnissen gelangt ist und den „ewig-gestrigen“ Lesern, deren Haltung Sie ja erfahrungsgemäß gut kennen, hier ein wenig „den Garaus machen“. Jetzt geht es mir nicht darum, Sie zu kritisieren – im Gegenteil: da mich Ihre Biografie, also Ihr Werdegang interessiert, vor allem die Frage, welche Ereignisse in Ihrem Leben Sie zu Ihrer Neuorientierung motiviert haben, würde ich gern außerhalb dieses Forums ein wenig mit Ihnen plaudern, vielleicht haben Sie einmal Lust mir zu schreiben. Ich selbst bin auch eher konservativ eingestellt und in einer evangelikalen Gemeinde im Raum Düsseldorf aktiv.
          Hier meine Adresse: minos1410[at]gmx.de
          Schöne Grüße, Daniel

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