Republica: Gegen den Zeitgeist

Ausführliche Recherche, Kontroverse und Kleingedrucktes: Die Netzkonferenz Republica fordert eine neue Debattenkultur im Internet. Ausführliche Informationen sollen Verkürzungen ablösen, damit Populisten die Plattform entzogen wird. Zuspruch erhielten die Organisatoren von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Von Anna Lutz
Der wohl prominenteste Gast der diesjährigen Republica: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Mit einem Ruf nach mehr Demokratie im digitalen Raum eröffnete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Netzkonferenz Republica am Montagvormittag. „Die liberale Demokratie wird angefochten“, stellte er fest: „Von Big-Data-Überwachung bis zu Trollarmeen.“ Dabei sei das Internet zu einem festen Bestandteil der Demokratie geworden. Sie können nur funktionieren, wenn sie auch digital gelinge.

Er sprach von einem „Zeitgeist“ der Vereinfachung. Politische Debatten würden im Netz vergiftet. Um dem zu begegnen, brauche es „Vernunft und Zivilität“. Unter letzterem versteht Steinmeier Wertschätzung, Vertrauen und Respekt für das Gegenüber. In Richtung der Betreiber Sozialer Netzwerke wie Facebook forderte Steinmeier: „Wer mit einer Plattform einen politischen Diskursraum schafft, der trägt auch Verantwortung für Demokratie, ob er es will oder nicht.“ So lange Lüge und Nachricht unterschiedslos in Tweets auftauchten, hätten es Demagogen zu einfach.

„Tobende Scheinriesen“ dürfen nicht gewinnen

„Es sind verhältnismäßig kleine Gruppen, die unverhältnismäßig großen Lärm erzeugen“, sagte Steinmeier über Trolls und Populisten. Er forderte: Die demokratische Mehrheit dürfe sich nicht zurückziehen und vertreiben lassen von einem „Gebrüll der Wenigen“. Der Präsident appellierte an die Netzkonferenz-Besucher: „Überlassen wir die politischen Räume im Netz nicht den tobenden Scheinriesen.“

Die Republica widmet sich in diesem Jahr der Ausführlichkeit: Recherche statt Populismus, Debatte statt Fake-News Foto: Republica | CC BY-SA 2.0 Generic
Die Republica widmet sich in diesem Jahr der Ausführlichkeit: Recherche statt Populismus, Debatte statt Fake-News

Die Republica steht in diesem Jahr unter dem Motto „tl;dr“ (Internetabkürzung für „too long, didn’t read“, zu deutsch: zu lang, nicht gelesen). Die Organisatoren widmen sich nach eigenen Worten „der Langform, dem Kleingedruckten, den Fußnoten, der Kraft der Recherche, der Kraft der Kontroverse und der Dringlichkeit, die Themen, die uns spalten (oder vereinen!), nicht zu vereinfachen“. Schwerpunkte der Konferenz sind Nachhaltigkeit, Informationsflut im Netz, Europawahl und vieles mehr. Erwartet werden rund 30.000 Besucher, zu hören sind hunderte Vorträge mit über 1.000 Sprechern. In ihrer Eröffnungsansprache lobten die Initiatoren Tanja und Johnny Häusler die Fridays-for-Future-Bewegung. Die Veranstalter plädierten außerdem für ein Europa „ohne Grenzen“.

Digitalcourage und Digitalsteuer

Prominente politische Gäste hat die Republica in diesem Jahr zuhauf. Neben Steinmeier war Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vor Ort. Er warnte vor den Gefahren einer Digitalisierung des Arbeitsmarktes. Schon in sechs Jahren werde menschliche Arbeit in großen Teilen durch Künstliche Intelligenz und Maschinen ersetzt worden sein. Moderne Internetdienstleister und Lieferbetriebe beuteten Mitarbeiter aus. Europa müsse bei der Digitalisierung des Arbeitsmarktes seinen Weg finden zwischen „totaler Überwachung“ wie in China oder „Innovation um jeden Preis“ wie im Silicon Valley.

Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), forderte mehr „Digitalcourage“, so wie es auch Zivilcourage im analogen Raum gebe. Das Herabsetzen andere Meinungen sei zu einem „neuen Volkssport geworden“. Digitale Räume deshalb zu meiden, sei aber keine Lösung. Regulierung statt Abschottung, lautete das Plädoyer der SPD-Politikerin. Sie forderte eine Digitalsteuer für Facebook und andere große Konzerne und kritisierte deren Monopolstellung. Grundrechte, die es auch in der analogen Welt gebe, müssten auch im Netz gewahrt werden und dürften nicht der Innovation untergeordnet werden. „Wir brauchen eine demokratische Agenda für das Netz“, sagte Dreyer. Persönliche Daten müssten besser geschützt werden, so wie es das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verlange.

Der regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), warnte: In der „scheinbaren Anonymität des Netzes“ fielen alle Schranken des Umgangs miteinander. Meinungsmacher nutzten das Netz für populistische, ausgrenzende und hetzende Thesen.

Und der klassische Journalismus?

Über die Antworten des Journalismus auf problematische Entwicklungen in der Netzwelt diskutierten heute-Journal-Moderatorin Mariette Slomka, der österreichische Journalist Florian Klenk und die Zeit-Online-Redakteurin Vanessa Vu mit dem ZDF-Journalisten Georg Restle. Slomka erklärte, sie fühle sich nicht von Sozialen Medien getrieben. Um Relevanz einzuschätzen, frage sie nach der der tatsächlichen größeren Bedeutung, nicht danach, ob es bei Twitter Thema sei. Journalisten sollten sich „nicht vom Strom der Sozialen Medien“ bedrängen lassen.

Journalisten seien entgegen weitläufiger Meinungen auch nicht aufgefordert, um jeden Preis neutral zu berichten. Sie sei als Mitarbeiterin des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks eindeutig bestimmten Werten verpflichtet, etwa Rechtstaatlichkeit, Freiheitlichkeit und Antirassismus. „Soweit kommt es noch, dass wir Journalisten neutral über Pressefreiheit berichten“, sagte sie. Sie beobachte einen „Wunsch nach Orientierung“ bei den Menschen. Daraus resultierten gute Zuschauer- und Leserzahlen. Das heute-Journal habe Zuschauerzahlen wie zuletzt in den Neunzigerjahren, andere Zeitungsredaktionen beobachteten Ähnliches.

Der österreichische Journalist Florian Klenk beklagte eine „Facebook-Politik“ in seinem Heimatland. Mit Sebastian Kurz sei das erste Mal ein Angehöriger der Generation der „Millenials“ Regierungschef. Aufgrund seines Alters kenne er die Sozialen Medien und wisse sie zu nutzen. Mit Postings über Soziale Netzwerke erreichten Kurz und sein Vizekanzler Hans-Christian Strache mehr Menschen als auflagenstarke Zeitungen und setzten auf diese Weise Themen. Er plädierte für eine „Wiederentdeckung des journalistischen Handwerks“: In den letzten zehn Jahren sei es bestimmten Kräften gelungen, Journalisten als „lästig“ darzustellen. Das müsse sich ändern. Journalismus müsse wieder als die Profession gelten, die versuche, die Wahrheit so gut wie möglich aufzuzeigen.

Von: Anna Lutz

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