Jens Spahn: Gehört, aber nicht geliebt

Die einen halten ihn für einen der letzten wahren Konservativen, andere tragen aus Protest gegen den Gesundheitsminister T-Shirts mit der Aufschrift: „Lebe so, dass Jens Spahn etwas dagegen hätte.“ Ein neues Buch zeichnet das Leben des katholischen CDU-Politikers nach – von der Katholischen Jungen Gemeinde bis zum parteiinternen Streit mit Angela Merkel.
Von Anna Lutz
Jens Spahn liebt den sachlichen Streit, gab sich am Montag in Berlin aber zurückhaltend

Am Montag gibt sich Jens Spahn in Berlin zahm. Kein kritisches Wort zur Kanzlerin oder zum bald zur Wahl stehenden Fraktionschef Volker Kauder kommen ihm über die Lippen, er prescht nicht in Sachen des gerade heiß diskutierten Verfassungsschutzchefs Hans-Georg Maaßen voran und will sich auch nicht dazu äußern, ob er in vier Jahren die Nachfolge Angela Merkels anzutreten gedenkt. Vor einigen Monaten klang das noch anders.

Da machte der frisch ernannte Bundesgesundheitsminister Schlagzeilen, weil er Sätze sagte wie: „Hartz IV bedeutet nicht Armut.“ Er gerierte sich in der Flüchtlingspolitik als Gegner Merkels, wunderte sich, dass manchen der Tierschutz wichtiger sei als das ungeborene Leben und schloss öffentlich aus, seine Eltern einmal selbst zu pflegen. Flüchtlinge, Lebensschutz, Arbeitslosengeld – wer solche Themen setzt, wird gehört, aber nicht unbedingt geliebt. Das bekam auch Spahn zu spüren. Witzbolde verkauften online T-Shirts mit dem Aufdruck „Lebe so, dass Jens Spahn etwas dagegen hätte“.

Politische Gegner mit Sympathie füreinander: (v.l.) Linken-Fraktionschef Diemtar Bartsch, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Foto: pro/Anna Lutz
Politische Gegner mit Sympathie füreinander: (v.l.) Linken-Fraktionschef Diemtar Bartsch, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)

Davon erzählt auch die nun erschienene Biografie über Spahn, verfasst vom Chefredakteur der Rheinischen Post, Michael Bröcker. Sie zeichnet den Weg eines jungen Katholiken aus dem Münsterland nach, der schon früh merkt, dass er „anders ist als die Anderen“, nämlich homosexuell. Eines zutiefst überzeugten Konservativen, der die Debatte braucht wie Sauerstoff und sie für seine Zwecke zu nutzen weiß. Eines engagierten Bundestagsabgeordneten, der es nach einigen Rückschlägen schafft, Minister zu werden. Und dessen Weg hier noch nicht endet.

„Geborenes Feindbild der Linken“

„Das geborene Feindbild für einen Linken“, nennt Dietmar Bartsch Spahn bei der Buchvorstellung in Berlin. So zeigt ihn auch das Buch, angefangen bei seinem katholischen Glauben. Weil das städtische Gymnasium den Eltern zu links ist, schicken sie ihren zehnjährigen Sohn auf eine Nonnenschule. Spahn begehrt auf, fügt sich aber schließlich und nennt die Entscheidung später ein „großes Glück“. Es bleibt nicht bei diesem Berührungspunkt zur Katholischen Kirche. Spahn wird Messdiener, seine ersten öffentlichen Reden sind Fürbitten und Lesungen im Gottesdienst. „Die katholische Kirche ist immer auch ein bisschen großes Kino. Deshalb mag ich die ja“, zitiert der Autor den Politiker. In den Sommerferien fährt Spahn mit der Jungen Katholischen Gemeinde ins Ferienlager, betreut bald selbst eine Gruppe. Bis heute ziert ein lilafarbenes Neonkreuz seine Berliner Wohnung, die er gemeinsam mit Ehemann Daniel Funke bewohnt.

Der Glaube seiner Jugend habe ihn geprägt, sagt Spahn am Montag auf Anfrage von pro. Vieles von dem, was er heute sei, habe damit zu tun, dass er katholisch engagiert gewesen sei. Als Politiker ziehe er aus seinem Glauben Gelassenheit: „Das Paradies macht jemand anderes“, sagt Spahn. Für die letzten Dinge sei Gott zuständig. Dieser Gedanke dürfte ihn auch bei aktuellen Debatten im Gesundheitsressort begleiten. Denn dort geht es tatsächlich um Leben und Tod. Seinen Vorstoß in Sachen Organspende will er nicht als Organspendepflicht verstanden wissen. „Es geht um eine Pflicht, sich damit zu befassen“, sagt er. Als Christ habe er in dieser Frage stark mit sich gerungen, glaube aber, dass eine breite Debatte Sorgen und Ängste ausräumen könne. Evangelische wie katholische Organisationen lehnten seine Idee einer sogenannten Widerspruchsregelung jüngst öffentlich ab. Danach wäre jeder Deutsche automatisch Organspender, es sei denn, er oder seine Angehörigen sprechen sich dagegen aus.

Für Lebensschutz und 219a

In anderen Fragen stimmen kirchliche Organisationen ihm zu: Spahn ist erklärter Gegner einer freien Suizidbeihilfe. „Wenn es um Lebensschutz geht, bin ich gerne grundsätzlich. Im Zweifel bin ich immer für das Leben, sofern es um staatliches Handeln geht“, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Spahn ist auch gegen eine Streichung des umstrittenen Paragrafen 219a, der die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verbietet. Dennoch will er das Informationsangebot für Frauen, die einen solchen Eingriff in Erwägung ziehen, erweitern. 2017 setzt sich der homosexuelle Spahn für die Öffnung der Ehe ein und heiratet kurz danach selbst.

Lebensschutz, katholischer Glaube und konservative Werte gehen bei Spahn einher mit einer Unterstützung der schwul-lesbischen Community. Dass das Leben durch solcherlei gefühlte Widersprüche nicht leichter wird, haben auch schon andere erlebt, der Grünen-Politiker Volker Beck etwa. Im Buch heißt es, Spahn habe zum einen Ablehnung wegen seiner Orientierung erfahren, sei aufgrund seines Konservatismus aber auch in der Szene umstritten. Spahns eigener Kommentar zu seinem Schwulsein fällt knapp aus: „Ist halt so.“ Er sehe keinen Widerspruch darin, Politik für klassische Familien zu machen, selbst aber einen anderen Lebensstil zu pflegen. Er nimmt sogar die Gegner der sogenannten Ehe für alle in Schutz: „Wer die Ehe Mann und Frau vorbehalten möchte, ist nicht gleich ein Homo-Hasser.“ Zugleich fühlt er sich wegen seiner Orientierung nicht als schlechterer Christ: „Ich bin so gemacht. Wenn Gott das so gewollt hat, dann möchte er auch, dass man mich so nimmt, wie ich bin“, sagte er im Mai der Zeit.

Minister mit 38

Tatsächlich speist sich aus eigenen Diskriminierungserfahrungen sogar ein Teil seiner Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik: Zuwanderung aus islamischen Ländern verändere das Klima in Deutschland, man importiere Antisemitismus und Schwulenhass, sagte er bereits 2015. Er selbst habe erlebt, wie ihn Männer mit Migrationshintergrund beleidigt hätten. Der konservative Islam müsse bekämpft werden, ist er überzeugt. Manch einer wirft ihm nach solchen Äußerungen vor, als Schwuler, der selbst Diskriminierung erlebt habe, doch mehr Mitgefühl mit anderen Minderheiten haben zu müssen. Etwa den Muslimen in Deutschland. Oder den Zuwanderern. Es bleibt dabei: Spahn passt in keine der vorgesehenen Schubladen. Das macht einen Teil seines bisherigen Erfolges aus.

Doch auch die Kanzlerin fühlt sich von ihm immer wieder auf die Füße getreten. Spahn gilt als größter Merkelkritiker in der Führungsriege seiner Partei. Dennoch ließ Merkel ihn bei der Regierungsbildung 2018 die Formel „So wahr mir Gott helfe“ sprechen und überließ ihm das Gesundheitsressort. Als Zeichen dafür, dass auch die jungen Wilden etwas werden können, in ihrer Regierung.

38 Jahre ist Spahn alt. Das mit der Biografie fühle sich schon komisch an, räumt er am Montag in Berlin ein. Aber die Anfragen seien da gewesen, dem habe er nicht aus dem Weg gehen wollen. In der Tat ist Spahn wohl eine der spannendsten Politikerpersönlichkeiten der Republik. Weil er bislang kaum einem Streit aus dem Weg ging. Beliebt hat ihn das nicht gemacht. „Bundeskanzler, was sonst!?“, schrieb er einst in seiner Abizeitung in die Kategorie Berufswunsch. Wenn es wirklich so kommen soll, muss er die Herzen der Deutschen noch erobern. Das weiß er selbst. Seinem Biografen sagte er: „Bekannt bin ich jetzt, beliebt muss ich noch werden.“

Michael Bröcker: „Jens Spahn – Die Biografie“, Verlag Herder, 304 Seiten, 24 Euro, ISBN 9783451383366

Von: Anna Lutz

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