Oper von Martin Buber: Der Gott, der den Dialog sucht

Der jüdische Philosoph Martin Buber ist bekannt für seinen Brückenbau zwischen christlicher und jüdischer Theologie. Seine Bibel-Übersetzung ist vielen ein Begriff. Auch den Text einer Oper schrieb er. Die war noch nie zu hören. Bis jetzt.
Von Jörn Schumacher
Vorstellung Der Künder Oper Martin Buber

Einfach ist diese Musik nicht. Atonal, modern, ungewohnt für den Mainstream in der klassischen Musik. Und doch wohnt diesem Werk ein Zauber inne. Denn vertont wurde mit „Elia“ nichts anderes als ein Werk Martin Bubers, einem der einflussreichsten und kreativsten jüdischen Denker des 20. Jahrhunderts. Bekannt ist von ihm sein Hauptwerk „Ich und Du“, das sowohl aus Lehren des jüdischen Chassidismus als auch christlich-mystischer Theologie schöpft.

Zusammen mit dem Philosophen Franz Rosenzweig übersetzte Buber 1925 die hebräische Bibel ins Deutsche, die als eine der bedeutendste deutschsprachige jüdische Bibel gilt. Seit 1968 wird jährlich die Buber-Rosenzweig-Medaille durch den Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit an Personen verliehen, die sich besonders für den christlich-jüdischen Dialog einsetzen.

Von Jugend auf befasste sich Buber mit der Botschaft und dem Anspruch Jesu Christi und trug in seinen Schriften wesentlich zu der Auffassung bei, dass Jesus aus jüdischer Glaubensgeschichte heraus zu verstehen sei. Jesu Charakter und seine Lehre seien urjüdisch, betonte Buber. Ebenso sei das Judentum im Zusammenhang mit dem Messianismus zu sehen.

In seinem Werk „Ich und Du“ sieht der Philosoph in der Sprache die deutlichste Form der Beziehungen von Gott, Welt und Mensch. In der dialogischen Situation des Menschen legte Buber auch das Verhältnis des Judentums zu Jesus fest.

Dieses „Dialogische Prinzip“ war auch Grundlage für den weniger bekannten Text des Bühnenwerks „Elia“. Hier ist Gott das ansprechbare Gegenüber des Menschen. Gott und Mensch, sie brauchen einander wie zwei Gesprächspartner. Und ohne Dialog keine Kunst, keine Musik, keine Liebe.

Martin Buber wurde 1878 in Wien geboren, 1965 starb er in Jerusalem

Im Jahr 2019 erschien der 21. und damit letzte Band der Werkausgabe Bubers. Darunter befindet sich auch das „Mysterienspiel Elia“, das zu einem Opernlibretto wurde. Der amerikanisch-ungarische Dirigent und Komponist Antal Doráti hatte 1984 den Text Martin Bubers zur Grundlage seiner Oper gemacht. Das Werk wurde bisher nie aufgeführt oder eingespielt. Der deutsche Dirigent Martin Fischer-Dieskau, der Doráti noch selbst als sein Student erlebte, wurde von ihm auf das Werk aufmerksam gemacht. In Krakau nahm Fischer-Dieskau das Werk nun erstmals auf, der Titel: „The Chosen“.

Die Oper „Der Künder“, wie sie auf Deutsch heißt, wurde am Samstag im Jüdischen Museum Berlin erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Die CD der Welt-Ersteinspielung erscheint am 6. Mai im Verlag Orfeo International. Parallel dazu entstand ein Dokumentarfilm des Regisseurs Reinhold Jaretzky, der die Einspielung begleitete, Experten zu Wort kommen ließ und Texte Martin Bubers in seinen Film einstreute.

Gefördert wurde das Projekt vom Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium des Inneren und für die Heimat. Im Juni 2020 begann das Einstudieren des Werkes, sagte Fischer-Dieskau bei der Präsentation am Samstag. Wegen der Corona-Pandemie wurde die Uraufführung immer wieder verzögert.

Gott im „Säuseln des Windes“ oder Baals laute Kriegstreiberei

Die Judaistin Yemima Hadad von der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig sagt: „Buber ist bekannt als Religionswissenschaftler und Philosoph, aber weniger für seine Theaterschriften. Doch Buber, der in Wien studierte, war fasziniert vom Burgtheater. Seine Mutter war Schauspielerin.“ Das Werk „Elia“ habe Buber 1955 geschrieben. Er bringe hier seine ganze Expertise zusammen, erklärt Hadad: Bibelexegese, Zionismus, seine politische Theorie und das Dialogische Prinzip.

In dem Stück geht es um den Propheten Elia, der das abtrünnige Volk Israel, das sich dem fremden Gott Baal zugewendet hat, wieder zurückführt zu Elohim, dem Gott Jahwe. Die Hauptpersonen sind neben dem Propheten Elia König Ahab und seine Frau Isebel. Es geht um den Kampf zwischen dem jüdischen Gott der Bibel, dem Schöpfer der Erde, und dem Gott Baal.

Dabei sei Baal bei Buber eher ein Götze, der nur nach Herrschaft und Besitz strebe. „Im Dialog kann man aber nicht besitzen“, sagte Hadad. „Baal, der Herr des Besitzes, ist der Feind der Rede, der Feind jeder Begegnung. Der Gott Israels hingegen ist bei Buber das Ewige Du. Der Herr des Dialogs. Er besitzt die Menschen nicht, sondern versucht mit ihnen in Dialog zu kommen.“ Er sei zugleich „die leise Stimme der ethischen Verantwortung“.

Dem gegenüber stehe die laute Stimme des Baals. „Buber war ein Kritiker der lauten Politik“, so Hadad. „Seine politischen Werte standen im Zusammenhang mit Kunst und Theater. Buber interessiert sich für diese metaphysische Stimme, die leise Stimme.“ Dass Gott in dieser leisen Stimme (im „sanften Säuseln des Windes“) zu finden ist und nicht in der lauten Stimme des machtgierigen Kriegstreibers, verdeutlicht der biblische Text über den Propheten Elia eindrücklich (1. Könige 19,12).

„Pentatonik und komplizierte Quartstrukturen“ bringen in der Oper Martin Bubers Text zum Klingen

„Das Theater war eine wichtige Quelle für sein philosophisches Denken“, sagte die evangelische Theologin und Buber-Expertin Heike Breitenbach von der Heinrich Heine-Universität Düsseldorf.„Das Dialogische Prinzip ist die Wirklichkeit von Sprachereignissen zwischen zwei Menschen.“ Buber selbst habe später das Theater mit dem Dialogischen Prinzip in Zusammenhang gebracht: „Theater ist seinem Wesen nach Dialog. Und Dialog ist ein Schlüssel zu seinem Denken.“

Martin Fischer-Dieskau, Oper Martin Buber Foto: Jörn Schumacher
Martin Fischer-Dieskau stellte die Einspielung des Textes von Martin Buber als Oper vor, komponiert von Antal Doráti

Was der Komponist Doráti geschaffen habe, sei „nah an Alban Bergs ‚Wozeck‘“, sagte der Initiator des Projektes, der Dirigent Fischer-Dieskau. In jedem Fall sei es moderne Musik, und „keine Kapellmeistermusik“ fügte er schmunzelnd hinzu. „Da ist viel Pentatonik, da sind komplizierte Quartstrukturen.“ Auch der Text Bubers sei damals vielen „zu dumm“ vorgekommen, weil man von den Hauptpersonen eine hohe Sprache erwartet habe, die ihnen Buber aber verweigerte. Auch fehle dem Text der Pathos, den allerdings habe der Komponist Doráti dem Werk hinzugefügt.

Fischer-Dieskau weiter: „Doráti war es wichtig, den Menschen im Dialog mit Gott zu zeigen. Daher tritt Gott nicht als zorniger Gott auf, sondern als Gegenüber des Einzelnen.“ Der Dirigent erklärte: „Die Stimme von Jehova, das ‚Er‘, oder auf Hebräisch ‚El‘, wird hier immer von demselben Sänger gesungen, der auch denjenigen singt, zu dem diese Stimme spricht.“

„Der Künder“, ORFEO International, EAN 4011790220130, VÖ-Termin 6. Mai 2022

Auf die Frage, warum das Werk bisher nie aufgeführt wurde, sagte Fischer-Dieskau, es sei eventuell immer als „schwer integrierbar in das Repertoire der Abonnenten“ empfunden worden. Viele Szenen entsprächen nicht dem gewöhnlichen Geschmack von Opern-Enthusiasten. Da wechsele die Musik in einer Liebesszene schon einmal auf eher ungewöhnliche Weise zwischen einem Fünf-Viertel- und einem Dreiviertel-Takt hin und her. Fischer-Dieskau: „Das ist Musik, die verstanden werden will. Aber sie läuft dem Geschmack des Publikums etwas hinterher.“

Am Ende ein Ohrwurm zum Mitsingen

In seinem Dokumentarfilm kombinierte der Fernsehjournalist und Filmproduzent Reinhold Jaretzky Aufnahmen von der Einspielung des Werkes mit Interviews mit Aufführenden und Experten. Jaretzky lobte den tiefgründigen biblischen Stoff, dem eine Universalität innewohne, und spricht von einem „Polyperspektivismus“.

Im Film kommt auch der amerikanische Buber-Biograf Paul Mendes-Flohr zu Wort, der hervorhebt, dass bei Buber Elias ein Hirte sei, der sich Sorgen macht um seine Schafe. Vielleicht gerade deswegen erwählte sich Jahwe ihn zum Propheten, um sein Volk Israel wieder zu seinem wahren Gott zu führen.

Der österreichische Tenor Michael Schade sagt im Film: „Ahab ist in der jüdischen Tradition immer der böse König. Denn er hat das Volk Israel weggeführt zu Isebels Lust-Religion des Baal. Das klingt nach Ballermann-Party, aber hat nichts mit dem wahren Gott Israels zu tun.“ Zur Musik sagt der Sänger: „Es ist nicht atonal, aber sehr schwer. Das geht aber manchmal schon ins Butterfass der Harmonien.“

Der Dokumentarfilm wird demnächst auf DVD erscheinen. Es gebe zudem Gespräche mit dem Fernsehsender Arte, sagte Jaretzky. Auch eine Kinoauswertung sei angestrebt, vielleicht in einer auf Hebräisch übersetzten Version auch für den israelischen Markt.

Der ungarisch-amerikanische Komponist Doráti setzte Bubers Text nicht in einer leichten Musik um. Dennoch versöhnt sich am Ende das Volk Israel wieder mit seinem Gott, und die Musik versöhnt sich mit eher eingängigeren Harmonien. „Fast wie ein Ohrwurm, bei dem alle mitsingen wollen“, sagte der Musikredakteur Harald Asel vom rbb24 Inforadio, der durch den Abend der Präsentation führte.

Und tatsächlich erklingt am Ende das Gebet des Volkes als Chor, leise summend fast wie ein Gospel-Chor. Das Volk erkennt seinen wahren Gott wieder als seinen Schöpfer und als Schöpfer von allem. „Du schufst das Feuer, und das Wasser, Du schufst Frieden unter ihnen“, heißt es im Text. Und dann plötzlich kommt der „Ohrwurm“: „Er ist mein Hirt, mir mangelt’s nicht…“


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