Gott braucht keine Leute – er hat sie schon

Um mit Menschen über den Glauben zu reden, ist es wichtig, ihre Sprache zu sprechen. Die theologische Ausbildung sollte daher im Leben und Alltag ansetzen und auch Gemeinden einbeziehen. Eine Antwort auf Stephan Holthaus von Stefan Kürle
Von PRO
Straße, Fußgänger, Menschen

Stephan Holthaus diskutiert in seinem Beitrag „Gott braucht dringend Leute“ den Mangel an Hauptamtlichen und führt dieses Problem richtigerweise nicht nur auf die demografische Entwicklung zurück, sondern auch auf die mangelnde Attraktivität des Berufs in der Wahrnehmung der aktuellen Generation von Schulabgängern. Ich glaube, dass diese Analyse, obwohl vordergründig einsichtig, doch an entscheidenden Stellen zu kurz greift und dass der Vorschlag mit mehr Nachdruck so weiterzumachen, wie bisher, auch nicht zielführend ist.

Die Lösung wird wahrscheinlich genau das sein, was Stephan Holthaus vorschlägt: dass wir Christen uns intensiver an Gott wenden. Und zwar in dem Sinne, dass wir uns von ihm neu prägen und korrigieren lassen. Das ist richtig, theologisch äußerst plausibel und kirchengeschichtlich bewährt. Hören auf Gott kann nicht genug betont werden.

Stefan Kürle, Theologe, Tabor Foto: TSB

Dr. Stefan Kürle, Jahrgang 1973, ist Professor für biblische Theologie an der Evangelischen Hochschule Tabor am Studienort Berlin. In Kooperation mit dem Theologischen Studienzentrum Berlin verantwortet er als Studiengangsleiter den Bachelor-Studiengang „Theologie, Sozialraum und Innovation“, der ab diesem Jahr auch als Dualer Studiengang angeboten wird.

Allerdings könnte man diesen Ansatz auch noch weiterdenken: Hören wir neben Gott doch auf unsere Mitmenschen! Gott selbst macht uns das vor („Was soll ich dir tun?“) und wir sollten es ihm nachtun.

Dieses Hören sollte sich allerdings durch eine echte Offenheit für das Gegenüber auszeichnen, ohne schon vorher zu wissen, was dabei rauskommen soll. Oder mit Hans-Georg Gadamer: „Miteinander reden setzt voraus, dass wir bereit sind, von dem anderen zu lernen, und dass wir zulassen, dass der andere recht haben könnte.“

Redet Gott gerade jetzt zu uns, durch die vorliegende Situation? Wir sollten ihm unterstellen, dass er recht haben könnte. Fragen wir bei unseren Zeitgenossen nach und nehmen sie wahr, hören auf sie, wie sie Gott erleben, wie sie Zugang zu ihm finden?

Braucht es Vollzeitpastoren?

Diese hörende Perspektive wirft ein Licht auf die Frage, ob die Kirche wirklich vor allem Vollzeitpastoren braucht. Vielleicht ist es an der Zeit, in andere Jahrhunderte zurückzublicken und zu überlegen, ob diese Vorstellung der Kirche als Institution und des Pastorenberufs wirklich unverzichtbar ist. Schließlich haben die frühen christlichen Gemeinden ohne Vollzeitpastoren existiert und funktioniert.

Es könnte lohnend sein, alternative Modelle zu erkunden, die mehr Menschen dazu ermutigen, aktiv an der Gestaltung ihrer Gemeinden teilzunehmen. Ein Appell an die Machbarkeit liegt unserer modernen Mentalität nahe, aber vielleicht ist gerade eher der Moment der Sammlung vor einem neuen Anlauf.

Gott braucht keine Leute – er hat sie schon.

Wenn wir Christen auf Gott und von ihm hören lernen, dann werden wir sicher erkennen, dass er sich schon um sein Projekt kümmert. Das ist dann nicht gut für unser Kontrollbedürfnis, weil uns die Situation entgleitet. Aus der gesellschaftlichen Perspektive betrachtet brennt uns die Hütte, aber es fällt schwer, sich Gott im Panikmodus vorzustellen.

„Die frühen christlichen Gemeinden haben ohne Vollzeitpastoren existiert und funktioniert.“

Somit scheint mir eine soziologische Spannung zu bestehen: Es gibt den Wunsch nach partizipativen, verantwortungsbewussten und sprachfähigen Leuten in den Gemeinden und es gibt eine Tradition theologischer Ausbildung durch ein langes Präsenzstudium. Es ist allerdings so, dass wir durch die mittlerweile Jahrhunderte alte Akademisierung der theologischen Ausbildung eine Priesterkaste kreieren und die Gemeindemitglieder in eine passive Rolle drängen.

Müssen nicht die so ausgebildeten Hauptamtlichen nach ihrem Studium wieder ganz viel von ihrem Habitus verlernen, damit sie überhaupt anschlussfähig das Evangelium kommunizieren können? Einigen mag das aufgrund ihrer Persönlichkeit einfach gelingen, andere zerbrechen an der Aufgabe. Die durch diese Art von Ausbildung (meist unwillentlich) kreierte Hierarchie kann sich sowohl negativ auf die Verbleibdauer im Pastorenberuf als auch auf die Entwicklung einer lebendigen, alle involvierenden Gemeinde auswirken.

Daher sollten wir uns fragen, ob es nicht auch andere Möglichkeiten gibt, qualifizierte Menschen für die Gemeindeleitung zu gewinnen.

Theologie braucht den Kontakt zur Dorfkneipe

Im Kontext der theologischen Ausbildung bedeutet das oben angesprochene Hören, dass wir mit den Gemeinden reden und auch mit den Menschen, die in vielleicht faktisch säkularisierten, aber vom Ursprung her christlichen diakonischen Kontexten arbeiten.

Ich habe derzeit Verantwortung als Studienleiter für die Planung eines dualen theologischen Studiengangs und merke mehr und mehr, dass die Lösung darin liegen könnte, dass wir versuchen, die spirituelle Bildung in engsten Kontakt mit der Straße, mit Krankenhäusern und mit Dorfkneipen zu bringen. Damit könnten wir vermeiden, Dichotomien zu (re)produzieren, die später mühsam abgebaut werden müssen.

Stattdessen werden wir durch das Konzept „duales Studium“ herausgefordert, direkt im Leben anzusetzen und es den Kirchen und Gemeinden sehr konkret zu ermöglichen, aktiv und aufrichtig das Theologiestudium mitzugestalten und daran mitzuwirken. Die Gemeinde einzubeziehen, zwingt uns schon vom Konzept her, zu hören und das Gehörte einzubringen. Das Ziel ist eine integrale und ganzheitliche spirituelle Bildung, die biblisch und theologisch gegründet und reflektiert ist.

Der Soziologe Hartmut Rosa ist davon überzeugt, dass menschliche, vor allem demokratische Gesellschaften Religion brauchen, und fordert letztlich von den Kirchen (und sicher auch von den theologischen Ausbildungsstellen) ein, diese Relevanz auf neue Weise zu demonstrieren, anstatt alte Konzepte endlos zu wiederholen. Spannend ist, dass Rosa auch vom Hören als Kernkompetenz spricht.

Wie wäre es, wenn wir als Kirchen unsere gesellschaftliche Verantwortung dadurch wahrnehmen, dass wir Menschen bilden, deren Kernkompetenz das Hören ist. Vielleicht hören uns die anderen dann auch wieder lieber zu. Eine „zweite Reformation“ wäre das wohl nicht – aber ein guter Neuaufbruch wäre es schon.

Der hörende Fokus sollte auf Gott liegen und wir sollten uns darauf konzentrieren, wo er uns hinführt. Es ist wichtig, die Relevanz des Christentums für alle zu erkennen und deswegen nicht zu klein zu denken. Dann können wir vielleicht sogar neue Trends setzen, eine neue Atmosphäre schaffen und nach neuen Verbündeten in den entlegensten Gebieten suchen. Es ist Gottes Kirche, daher sollten wir lieber positiv in die Zukunft schauen und nicht auf die schlechten Gewissen hoffen, sondern auf Gott, der wahrhaft Neues schaffen kann.

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