Meinung

Gott braucht dringend Leute

Es gibt immer weniger hauptamtliche Pfarrer und Pastoren. Gerade jetzt, wo das Christentum in die Minderheit gerät, braucht es dringend Menschen, die für Jesus im Dienst sind. Ein Plädoyer in stürmischen Zeiten von Stephan Holthaus.
Von PRO
Kanzel, Kirche, Pult

Dieser Beitrag ist eine Alarmmeldung, ein Weckruf. Es geht um eine äußerst wichtige Angelegenheit. Es geht um die Zukunft des „Reiches Gottes“, um Gottes Sache hier auf der Erde. Es geht um den „geistlichen Dienst“.

Um es auf den Punkt zu bringen: Wir brauchen mehr Leute, die voll und ganz für Jesus unterwegs sind, viel mehr Nachwuchs für den wichtigsten Beruf, den es überhaupt gibt, den Dienst für Jesus. Nachwuchs für unsere Kirchen, christlichen Werke, für Mission und Evangelisation, für unsere Kinder- und Jugendarbeit. Ja, es geht um die Zukunft der Kirche in unserem Land.

Warum dieser Weckruf? Wir laufen in den nächsten Jahren in allen christlichen Bereichen in einen katastrophalen Nachwuchsmangel hinein. Er ist noch viel größer als bei vielen anderen Berufsgruppen. Immer weniger junge Menschen studieren Theologie oder bereiten sich auf den Dienst für Jesus vor. Diese Situation ist äußerst prekär und es braucht dringend eine Wende.

Einige Zahlen: In den 1980er Jahren studierten mehr als 10.000 junge Menschen evangelische Theologie auf Pfarramt. Es war die Zeit der Pfarrerschwemme. Ich selber habe damals studiert. Die evangelische Fakultät in Tübingen hatte damals 2.000 Studierende, Marburg über 1.000. Wir wussten kaum Plätze zu finden in den Vorlesungen.

Und heute: Nicht einmal 2.000 Menschen studieren noch Theologie auf Pfarramt – an allen staatlichen Hochschulen zusammen. Bei den katholischen Fakultäten sind es noch viel weniger. Dort absolvieren pro Jahr nur noch etwa 100 Kandidaten die Priesterausbildung. Einhundert – bei fast zehntausend Pfarreien.

Stephan Holthaus Foto: FTH

Prof. Dr. Stephan Holthaus ist Rektor der Freien Theologischen Hochschule in Gießen (FTH) und Vorsitzender der Konferenz bibeltreuer Ausbildungsstätten (KbA)

Nun denkt sicher mancher Freikirchlicher: Bei uns ist noch alles besser. Aber der Schein trügt. Auch bei den Hochschulen und Ausbildungsstätten der Freikirchen und der Gemeinschaftsbewegung sowie bei vielen freien Ausbildungsstätten sieht die Situation ähnlich aus. Sie wird etwas überdeckt durch eine Flut von Kombistudiengängen, bei denen Theologie gemixt wird mit Fächern wie Soziale Arbeit, Diakonie oder Pädagogik.

Das verschleiert den Blick. Denn bei den längeren Präsenzstudiengängen in Theologie ist auch hier ein starker Rückgang zu verzeichnen. Im Wintersemester 2022/23 gab es bei kaum einer dieser theologischen Ausbildungsstätten mehr als 20 Neuanfänger. An einigen auch bekannteren Schulen und Hochschulen waren es nicht einmal fünf Neueinsteiger!

In der Konferenz bibeltreuer Ausbildungsstätten, dem größten Dachverband der freien theologischen Ausbildungsstätten im deutschsprachigen Raum, studieren derzeit nicht einmal mehr 1.000 Leute einen mehrjährigen Präsenz-Studiengang Theologie. Noch vor 20 Jahren waren es auch hier 3.000.

Diese niedrigen Studierendenzahlen treffen uns zudem zur Unzeit. Wie überall gehen nämlich auch im geistlichen Dienst die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand. In einigen Landeskirchen werden demnächst doppelt so viele Pfarrerinnen und Pfarrer in den Ruhestand gehen, wie neu einsteigen. Klar ist jetzt schon: Trotz Zusammenlegung von Kirchengemeinden und vieler Strukturreformen werden viele Kanzeln in unserem Land in Zukunft leer bleiben.

Die Situation wird noch durch Folgendes verschärft: Nicht jeder Theologiestudent will hinterher ins Pfarramt. Der Pastorenberuf ist längst kein Traumjob mehr. Viele zieht es in die christlichen Werke oder Funktionspfarrstellen mit geregelter Arbeitszeit und abgegrenzten Aufgaben. Pastor sein ist für viele „Burnout-gefährdet“. Das trauen sich manche nicht mehr zu. „Zu viel Bürokratie“ hört man öfter. Etliche wollen sich das nicht antun, gerade auch, weil manche Gemeinden nicht gerade pflegeleicht sind.

„Gerade in einer Zeit, da weniger als die Hälfte der Deutschen noch Mitglied irgendeiner Kirche sind, brauchen wir einen Aufbruch hin zum ‚geistlichen Dienst‘.“

Die Klage um mangelnden theologischen Nachwuchs hat mittlerweile aber auch die christlichen Werke erreicht. Auch hier fehlen Leute! Woher sollen denn die Missionare und Evangelisten in Zukunft kommen? Ich schreibe das aus eigener Betroffenheit und weiß, wovon ich rede. Wir bekommen an unserer Hochschule immer mehr Stellenangebote. 2022 waren es 150 Stellenangebote – für durchschnittlich 35 Absolventinnen und Absolventen.

Nun werden einige denken: Brauchen wir überhaupt noch so viele Leute, wenn das Christentum in Deutschland zurückgeht? Ja, auf jeden Fall! Gerade deshalb. Denn es gibt ja so unglaublich viel zu tun! Nicht nur bei der Besetzung von freiwerdenden Stellen, sondern auch durch die zunehmende Entchristlichung in unserem Land. Gerade in einer Zeit, da weniger als die Hälfte der Deutschen noch Mitglied irgendeiner Kirche sind, brauchen wir einen Aufbruch hin zum „geistlichen Dienst“. Warum?

Die Menschen dürsten nach dem Evangelium. Menschen brauchen Gott, gerade heute. In einer Zeit der Ängste, der Orientierungslosigkeit, der Identitätskrisen, des Unfriedens und der Sorgen braucht es den Anker des Glaubens, braucht es Erlösung! Die Soziologen und Trendforscher, die ihren Finger am Puls der Zeit haben, wiederholen es unentwegt: Die Menschen sehnen sich nach Resonanz, Sicherheit, Heimat, Identität, Geborgenheit, Frieden, Liebe, Gemeinschaft, Hoffnung.

Das alles sind doch aber Kernelemente des Glaubens! Wer, wenn nicht wir als Christen, hat darauf ein wunderbares Angebot, das wirklich Halt und Festigkeit im Leben gibt? Diese Botschaft kann jeder Christ verbreiten, aber Vollzeitler haben dafür viel mehr Zeit und Potenzial. Gerade jetzt bräuchten wir eine Armada von Dienern des Wortes!

Andere mögen einwenden: Die Kirche ist doch selbst schuld. Soll sie doch mal klares Profil zeigen, mehr das Evangelium in den Mittelpunkt stellen, bibeltreue Theologie verkünden, sich nicht nur mit Strukturreformen beschäftigen! Das stimmt. Es müssen sich aber auch Dinge bei uns selbst ändern, an der Basis, damit der „geistliche Dienst“ wieder attraktiver wird.

Eine zweite Reformation

Was kann man tun? Die Hausaufgabenliste ist lang: Gemeinden müssen lernen, pflegeleichter mit ihrem Personal umzugehen, statt den Pfarrer ständig zu kritisieren. Pastoren sollten an ihrer Leidenschaft für Gott erkennbar sein – das steckt an! Junge Menschen vor der Berufswahl sollte man auf den Dienst für Jesus ansprechen. Das Thema „Berufung“ muss wieder gestärkt werden. Gemeindeverbände sollten das Berufsbild Pastor attraktiver machen.

Aber es braucht noch mehr. Es braucht auch einen Aufbruch in unseren Kirchen. Die Gemeinden müssen sich stärker auf fragende Menschen ausrichten, Leute auch mit „gebrochener Biografie“ herzlich und gerne aufnehmen.

Jeder muss bereit sein, mit anzupacken, statt in der Zuschauerrolle zu verharren. Die Pastoren können und werden es sowieso nicht allein richten. Wir sind alle gefragt, unsere Kirchen zu Schutzräumen und Lebens­oasen für die Gestrandeten und Suchenden umzugestalten.

Warum? Lebendige Kirchen, Gemeinden und christliche Werke sind die beste Motivation für junge Menschen, in den Dienst für Jesus zu gehen. Und jede Kirche und jedes christliche Werk wiederum lebt von Menschen, die ihren eigenen Glauben leidenschaftlich und hingegeben leben. Nur das steckt an, entzündet bei anderen ein Feuer, gibt Begeisterung für den Dienst für Jesus. Das alles ist eine Mammutaufgabe, ich weiß. Aber mit Gottes Hilfe kann sie gelingen.

„Bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter sende in seine Ernte.“

Lukas 10,2b

Am Anfang des Christentums standen zwölf verängstigte Jünger, die sich versteckten. Schon Jesus Christus klagte: „Die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind wenige“ (Lukas 10,2a). Trübe Aussichten gab es schon im ersten Jahrhundert! Und was machte Gott? Durch seinen Geist und die Bereitschaft seiner Jünger zur völligen Hingabe formte er aus diesem jämmerlichen Haufen eine riesige Kirche, die die Welt 2.000 Jahre veränderte.

Diese erstarrte Kirche in einem glaubensfernen Umfeld heute neu zu beleben, wird in Zukunft unsere Top-Priorität als Christen sein müssen. Nicht Klagen, sondern Anpacken. Wie das geht? Jesus wusste es schon damals: „Bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter sende in seine Ernte“ (Lukas 10,2b).

Ich wünsche mir eine Gebetsbewegung für mehr Arbeiter in der Ernte und für Erweckung unserer Kirchen. Jede Erneuerung beginnt mit unserer Buße, Umkehr und Gebet. Dann ist auch eine zweite Reformation möglich. Ich glaube es.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe 1/2023 des Christlichen Medienmagazins PRO. Das Heft können Sie hier kostenlos bestellen oder digital anschauen.

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