Falko Droßmann: „Ich bin mehr als meine Sexualität“

Falko Droßmann ist queerpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, evangelischer Christ, ehemaliger Blauhelmsoldat. Wie passt das alles zusammen?
Von Anna Lutz

PRO: Herr Droßmann, wenn Sie heute nicht Politiker wären, wären Sie noch aktiver Soldat?

Falko Droßmann: Ich habe die Bundeswehr ganz bewusst nie verlassen. Ich habe meinen Beruf sehr gerne gemacht. Die Bundeswehr ist eine tolle Truppe. Ja, es ist anstrengend, keine Frage. Und man muss sich für den Soldatenberuf immer wieder rechtfertigen in unserer Gesellschaft. Aber für mich war es eine richtige Entscheidung, das zu tun.

Dabei sagen Sie, Sie seien als schwuler Mann in der Bundeswehr diskriminiert worden.

Als offen schwuler Mann erlebt man fortwährend Alltagsdiskriminierung. Meine Vorgesetzten durften nicht wissen, dass ich schwul bin. Da hätte ich noch so viele Einsätze machen und noch so viele Auszeichnungen bekommen können, ich wäre wegen charakterlicher Nichteignung entlassen worden. Mittlerweile ist diese Regel abgeschafft.

Warum sind Sie dann überhaupt zur Bundeswehr gegangen?

Meine Verweigerung ist abgelehnt worden. Weil ich blöderweise kurz vorher Schützenkönig in meinem Heimatdorf geworden war. Da glaubte man mir nicht, dass ich Waffen ablehne. Und am Ende bin ich fast 20 Jahre lang dabeigeblieben. Ja, es gab und gibt strukturelle Diskriminierung bei der Bundeswehr. Aber ich definiere mich doch nicht ausschließlich über meine Sexualität. Ich bin mehr als das. Deshalb hat das für mich funktioniert. Obwohl ich mir natürlich auch immer gesagt habe, dass ich mich nicht verurteilen lassen werde, weil ich Männer liebe.

„Pastor zu sein, war mein Traum.“

Falko Droßmann im PRO-Interview

Statt Soldat wollten Sie eigentlich Pastor werden.

Ja, Pastor zu sein, war mein Traum. Ich könnte mir das noch heute vorstellen. Die Kirchen können Dinge leisten, die der Staat nicht leisten kann. Sie helfen Notleidenden, auch wenn Gesetze und Verwaltung das nicht vorsehen.

Wieso sind Sie evangelisch?

Ich bin damit aufgewachsen. Meine Eltern waren in der Kirche, aber nicht sonderlich aktiv. Ich bin als Kind getauft worden. Ich war in der evangelischen Kirche im Flötenkreis. Das mag lustig klingen, aber dieser Moment, wenn die 90-jährige Frau anfängt zu heulen, weil man als Zehnjähriger vor ihr steht und mit der Blockflöte irgendwas mehr schlecht als recht spielt, das war etwas Besonderes. Es hat mich geprägt. Der Glaube ist ein ganz wesentlicher Punkt meines Lebens.

Zur Person: Falko Droßmann

Falko Droßmann sitzt seit 2021 für die SPD im Deutschen Bundestag. Er ist als queerpolitischer Sprecher seiner Fraktion zuständig für die Belange von Menschen, die nicht heterosexuell sind oder nicht-traditionelle Geschlechterrollen leben. Er ist aber auch Mitglied im Verteidigungsausschuss, im Ausschuss für Rüstungskontrolle und im Menschenrechtsausschuss. Von 1997 bis 2016 war er aktiver Offizier der Deutschen Luftwaffe und unter anderem als Blauhelmsoldat im internationalen Einsatz. Sein Dienst ruht, seit er in die Politik ging, zunächst als Leiter des Bezirksamtes Hamburg-Mitte. Droßmann ist mit seinem Partner verheiratet und evangelisch-lutherischer Christ.

Sie haben am Tag der Einführung der „Ehe für Alle“, dem 1. Oktober 2017, um 10 Uhr morgens ihren Partner geheiratet. Damit waren Sie wohl einer der ersten offiziell mit einem Mann verheirateten Männer in Deutschland. Gleich danach gab es eine kirchliche Trauung. Was war Ihnen wichtiger?

Für meinen Mann und mich war von vornherein klar: Das Wichtige ist die kirchliche Trauung. Das andere ist nur ein Verwaltungsakt. Das Versprechen, vor Gott füreinander einzustehen und zusammenzuhalten, das war das Wesentliche. Wir haben mit 200 Gästen in der Hauptkirche St. Jacobi in Hamburg geheiratet, der Chor der Dom-Kantorei zu Berlin hat gesungen, das war ein toller Beginn für unsere Ehe.

Warum bedeutet Ihnen das Versprechen vor Gott so viel?

In der Kirche versprechen wir vor Gott, dass wir füreinander einstehen, auch in schwierigen Zeiten, auch wenn wir krank werden. Es war etwas Besonderes, das dort öffentlich und vor der Gemeinde zu tun. Dabei ist mir wie in jedem Gottesdienst der Segen am wichtigsten. Er ermutigt mich und gibt mir Kraft.

Kirchentagsfan und Käßmann-Kritiker

Wie leben Sie Ihren Glauben zu Hause?

Es gibt bei uns kein Tischgebet oder sonstige Rituale. Das brauchen wir nicht. Wir gehen relativ häufig gemeinsam in die Kirche, wobei ich mir inzwischen den Luxus erlaube, vorher zu gucken, wer die Predigt hält. Mir liegt viel daran, intellektuelle Anregungen zu bekommen im Gottesdienst. Und wir sind echte Kirchentags-Junkies. Ich war seit 1989 auf jedem Kirchentag und liebe diese zum Teil vollkommen irren Diskussionsveranstaltungen. Dass da Fragen besprochen werden, die existenziell sind. Die Fragen nach dem richtigen Handeln. Da gibt mir der Glaube ganz viel.

Kirchliche Trauungen homosexueller Paare sind in manchen Landeskirchen seit 2016 möglich. Haben Sie sich in Ihrer Kirche nicht lange Zeit diskriminiert gefühlt?

Nein, es ist ähnlich wie bei der Bundeswehr. Denn das allein macht mein Verhältnis zur Kirche nicht aus. Man kann ja auch die Gemeinde wechseln, wenn einem die Ausrichtung nicht passt. Ich hatte nur ein einziges Mal Bauchschmerzen wegen meiner Kirche und das war, als Frau Käßmann Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan kritisiert hat.

Sie hat nicht direkt Soldaten kritisiert. Sie schlug vor, man könne mit den Taliban beten. Und sie sagte: „Nichts ist gut in Afghanistan.“

Ja, mag sein. Aber wichtig ist nicht, was sie wörtlich sagte, sondern was bei den Menschen ankam. Und wir haben in Afghanistan gesessen und uns das angehört. Wir haben uns nicht sehr unterstützt gefühlt von ihren Worten. Ich habe mich sehr geärgert. Im zweiten Moment dachte ich aber auch: Es gibt viele tolle Gemeinden. Ich werde meine Haltung zur Kirche nicht von Frau Käßmann abhängig machen.

Es gibt immer wieder Grabenkämpfe zwischen konservativen Christen und der queeren Community. Darf man aus Ihrer Sicht sagen, dass Homosexualität laut Bibel Sünde ist?

Ja, das darf man sagen. Und Sie können auch das heilige Spaghettimonster anbeten. Aber bedenken Sie bitte: In Gemeinden, wo diese Dinge gepredigt werden, da sitzen auch Kinder und hören das. Und was ist, wenn eines dieser Kinder irgendwann als junger Mann merkt, dass er homosexuell ist? Nachdem ihm andauernd gesagt wurde, das sei Sünde? Wie soll er je zu einem selbstbewussten jungen Mann heranreifen? Kirchen und Prediger haben eine große Verantwortung.

„Alice Schwarzer hat zeit ihres Lebens gegen die Diskriminierung von Frauen gekämpft. Aber das gibt ihr jetzt nicht das Recht, andere Gruppen, die marginalisiert sind, in ähnlicher Form zu dominieren, wie das damals die Männer mit den Frauen gemacht haben.“

Falko Droßmann im PRO-Interview

Das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz soll bald das Transsexuellengesetz ablösen und den Geschlechtswechsel beim Standesamt erleichtern. Alice Schwarzer sagt dazu: „Früher haben wir spröde Mädchen, die keinen Bock auf rosa Tüll hatten und lieber Fußball spielten, dazu ermutigt, sich einfach dieselben Freiheiten zu nehmen wie Jungen. Heute suggeriert man diesen Mädchen, wenn sie keine richtige Frau sein wollten, seien sie eben ein Mann.“

Alice Schwarzer hat zeit ihres Lebens gegen die Diskriminierung von Frauen gekämpft. Aber das gibt ihr jetzt nicht das Recht, andere Gruppen, die marginalisiert sind, in ähnlicher Form zu dominieren, wie das damals die Männer mit den Frauen gemacht haben. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz ändert sich nichts im Vergleich zum Transsexuellengesetz. Außer einer Sache: Der Vorgang des Geschlechtswechsels bei den Behörden ist weniger menschenverachtend. Bisher müssen Transsexuelle alles mit psychologischen Gutachten belegen, müssen erklären, wie oft sie sich selbst befriedigen und mit wem sie wann Sex haben. Es ist alles zutiefst ehrverletzend. Das wollen wir ändern.

Ein Geschlechtswechsel soll schon mit 14 Jahren möglich sein. Im Zweifel auch ohne die Zustimmung der Eltern, wenn ein Gericht zustimmt. Warum so früh?

Das bisherige Transsexuellengesetz hat gar keine Altersgrenzen. Und ein Familiengericht kann alle elterlichen Entscheidungen aufheben, nicht nur in diesem Fall. Die Neuerung ist also eher, dass wir überhaupt mal regeln, wie das bei Kindern und bei Jugendlichen gemacht werden sollte. Psychologen sagen uns, dass Kinder durchaus schon mit 14 wissen, ob sie sich in ihrem Geschlecht glücklich fühlen oder nicht. Und es gibt ja den elterlichen Vorbehalt. Dennoch müssen wir regeln, dass das Kind nicht Eigentum der Eltern ist, sondern eigenständige Entscheidungen treffen kann und soll.

Ihr Gesetz sieht ein „Hausrecht“ vor, das Fitnessstudio-Betreibern oder Sportvereinen einräumt, selbst zu entscheiden, ob Transsexuelle in eine Frauen- oder Männerumkleide gehen sollen. Transsexuelle fühlen sich dadurch diskriminiert, die Union warnt: Wenn Menschen, die sich wie Männer fühlen, in Frauensaunen dürfen, werden weibliche Schutzräume verletzt.

Das Hausrecht gilt auch unabhängig von unserem Gesetz. Aber auch Transsexuelle brauchen Schutzräume. Diese Menschen werden häufiger diskriminiert als die meisten anderen Gruppen in unserer Gesellschaft. Es gab nie so viele queer-feindliche Übergriffe hierzulande wie heute. Ich bin mir sicher, wir werden Lösungen finden, damit niemand diskriminiert wird.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dieses Interview ist zuerst in Ausgabe 6/2023 des Christlichen Medienmagazins PRO erschienen. Bestellen Sie PRO jetzt hier kostenlos.

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