„Selbstbestimmung“ vs. „Schicksal“ – Bundestag diskutiert über Geschlechtswechsel

Darf jeder künftig sein Geschlecht und seinen Vornamen selbst festlegen? Darüber hat am Mittwoch der Bundestag diskutiert. Während der Entwurf den Linken nicht weit genug geht, üben Union und AfD Kritik.
Von Martin Schlorke
Bundestag

Schon vor Beginn der Aussprache zum Selbstbestimmungsgesetz am Mittwochabend gab Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) einen „sitzungsleitenden Hinweis“. Sie mahnte, die Debatte ohne persönliche Diffamierung zu führen – eine Warnung, an die sich nicht alle Abgeordnete im Laufe der Debatte hielten.

Familienministerin Lisa Paus (Grüne), deren Ministerium federführend am Gesetzentwurf gearbeitet hat, sagte zu Beginn der Aussprache: „Für die meisten von uns ist es selbstverständlich. Wer wir sind und wie wir leben möchten, das entscheiden wir selbst. Das kann und darf niemand von außen bestimmen.“ Für Transmenschen sei dies jedoch lange Zeit nicht der Fall gewesen. Sie haben für dieses Recht kämpfen müssen. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz stelle sich nun der Staat schützend vor Betroffene, „wir sind es ihnen schuldig“, sagte die Grünen-Politikerin.

Selbstbestimmungsgesetz

Das Selbstbestimmungsgesetz löst das Transsexuellengesetz ab, welches das Bundesverfassungsgericht in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt hat. Nach geltendem Recht ist eine Änderung des Geschlechtseintrags nur durch einen gerichtlichen Beschluss möglich, der eine Begutachtung durch zwei Sachverständige voraussetzt. Die Betroffenen schildern das Verfahren als entwürdigend.

Minderjährige ab 14 Jahren sollen mit Zustimmung der Eltern oder eines Familiengerichts die Erklärung zur Änderung ihres Vornamens und Geschlechtseintrags abgeben können. Der erste Entwurf des Gesetzes wurde in einigen Punkten noch geändert. So ist nun auf Drängen des Innenministeriums sichergestellt, dass sich niemand durch eine Änderung des Geschlechtseintrags einer Strafverfolgung entziehen kann.

Am Mittwoch verteidigte Justizminister Marco Buschmann (FDP) das Ampel-Vorhaben. „Rechtspolitik muss Grundrechte ernst nehmen: gerade auch dann, wenn die Zeiten schwierig sind.“ Ein liberaler Staat müsse respektieren, wenn transgeschlechtliche Menschen ihren Geschlechtseintrag ändern wollen. Beim Gesetz gehe es daher „um die Achtung und die Würde der Person – nicht um Identitätspolitik oder Zeitgeist“.

Kritik am geplanten Gesetz übte die Opposition. Die CSU-Politikerin Dorothee Bär warb für eine Beibehaltung der Beratungspflicht. Diese sieht der Gesetzentwurf explizit nicht vor. Bär wolle die Beratungspflicht beibehalten, „nicht aus Bevormundung, sondern wirklich aus Fürsorge“. „Das Selbstbestimmungsgesetz leistet gerade bei dieser vulnerablen Gruppe der Tendenz Vorschub, altersbedingten Persönlichkeitszweifeln gleich mit einem rechtlichen Geschlechtswechsel zu begegnen.“  Ihre Unionskollegin Mareike Lotte Wulf (CDU) erklärte: „Aus unserer Sicht ist Geschlecht nicht selbstbestimmt, sondern Schicksal.“ Zudem forderte sie einen „Übereilungsschutz“ bei Kindern und Jugendlichen.

Zwischen- und Ordnungsrufe

Der Linken-Abgeordneten und queerpolitischen Sprecherin ihrer Fraktion, Kathrin Vogler, gehen die Pläne der Ampel dagegen nicht weit genug. Sie bezeichnete den Entwurf als „eher enttäuschend“ und vom „Geist des Misstrauens“ gegenüber den Betroffenen geprägt.

Hitzig wurde die Stimmung im Bundestag erwartungsgemäß, als AfD-Politiker zur Sache redeten. Beatrix von Storch nannte das Gesetz einen „Höhepunkt des Wahnsinns“ und den „Weg ins Tollhaus“. Man könne sein Geschlecht ebenso wenig ändern, wie sein Alter oder die Körpergröße, erklärte von Storch. Die Ampel wolle aber, dass das Geschlecht per Sprachakt geändert wird.

Mehrfach nannte von Storch die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer bei ihren früheren männlichen Namen. Daraufhin folgten laute Buh-Rufe und Zwischenrufe, wie „das ist allerletzte, was Sie da von sich geben“. Pau erteilte von Storch, mit Verweis auf ihre einleitenden Worte, einen Ordnungsruf. Später folgte ein weiterer.

Ganserer selbst sprach im Rahmen der Debatte und mit Blick auf den Gesetzentwurf von einem „historischen Tag“.

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