Meinung

Edith Stein: Suchende Jüdin, katholische Heilige

Die als Jüdin geborene Edith Stein war Philosophin und katholische Ordensfrau. Eine Biografie zeichnet das interessante Leben einer Frau nach, die 1998 heilig gesprochen wurde. Am 9. August jährt sich ihr Todestag zum achtzigsten Mal.
Von Jörn Schumacher
Edith Stein

Edith Stein, geboren am 12. Oktober 1891 in Breslau, Philosophin und Frauenrechtlerin jüdischer Herkunft, wurde 1922 durch die Taufe in die katholische Kirche aufgenommen. Am 9. August 1942 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau von den Nazis ermordet. Von Papst Johannes Paul II. als Teresia Benedicta vom Kreuz 1987 selig und 1998 heilig gesprochen.

Dem Historiker Klaus-Rüdiger Mai gelingt es, diese Eckdaten mit Leben zu füllen, und der Leser lernt eine wahrlich interessante Frau auf ihrer Suche kennen. Mais Buch „Edith Stein – Geschichte einer Ankunft“, das im Juni im Kösel-Verlag erschienen ist, propagiert, das die Philosophin das gefunden hat, was sie suchte: Gott. „Leben und Denken der Philosophin, Märtyrerin und Heiligen“, heißt das Buch im Untertitel.

Was diese im Buchtitel verheißene „Ankunft“ seiner Meinung nach war, beschreibt der Autor in seinem Nachwort so: Es war die Suche der als Jüdin geborenen, zur fast schon atheistischen Philosophin und schließlich zum Katholizismus konvertierten Frau. Am Ende steht die glückliche „Heimkehr“ zum Glauben an Gott, zum katholischen wohlgemerkt. „Protestantismus blieb ihr fremd“, schreibt Mai.

Edith Stein studierte Philosophie, Geschichte, Germanistik und Psychologie in Göttingen und Freiburg. Ihr Idol war Edmund Husserl, dessen Phänomenologie zog sie so in seinen Bann, dass sie selbst bei ihm studierte und schließlich auch seine Assistentin wurde. Sie promovierte 1918 bei ihm, zur Habilitation allerdings wurde sie nie zugelassen – wohl weil sie eine Frau war.

In Breslau lebte damals die zweitgrößte jüdische Gemeinde im deutschen Kaiserreich nach Berlin. Die Mutter machte sich nach der Hinwendung ihrer Tochter zum Katholizismus allerdings Vorwürfe, ihre Tochter nicht mehr im jüdischen Glauben erzogen zu haben. „Für Auguste Stein, der unumschränkten Herrin des Familienclans und frommen Jüdin war es ein harter Schlag, dass ausgerechnet ihre Lieblingstochter, auf die sie doch immer wegen ihrer Gelehrsamkeit so stolz war, mit der jüdischen Religion brach.“

„Manches Mädchen träumt von Busserl, Edith aber nur von Husserl“

Schon früh ahnte Edith Stein wohl, „zu etwas Großem bestimmt zu ein“, wie sie in ihrer Autobiografie schrieb. Sie beschloss, dem Alkohol ganz zu entsagen. Und auch im Hinblick auf das andere Geschlecht war sie zeit ihres Lebens zurückhaltend. Grund dafür sei auch ihre stetige „Angst vor dem Kontrollverlust“ gewesen, so Mai, „die Sorge, sich Gefühlen hinzugeben, sich im Exzess aufzugeben“. Mai: „Es scheint, dass die Bedrohung der Ordnung aus der Ordnung heraus, das eigentliche Lebensthema Edith Steins ist. Die Frage nach dem Menschen ist doch immer die Frage nach der Ordnung des Menschen oder, um mit Max Scheler zu sprechen, nach der Stellung des Menschen im Kosmos.“

Edmund Husserl
Der Philosoph Edmund Husserl, 1859–1938, hatte jüdische Wurzeln und ließ sich evangelisch taufen

Ihr Wunsch, „das Rätsel Mensch“ zu lösen, die Frage, was der Mensch sei, trieb sie zum Studium. Husserl wurde „ihre philosophische Jugendliebe“ (Mai). Der Gelehrte fragte, wie Philosophie als strenge Wissenschaft möglich sei. „Nicht wie die Neukantianer wollte er wieder und immer wieder das Subjekt und seine Bewusstseinsleistungen untersuchen, sondern er wollte zur Wirklichkeit hin, die er prinzipiell für erkennbar hielt.“ Nicht das Erkenntnisvermögen des Menschen, sondern die Erkenntnisgegenstände, die Sachen standen im Mittelpunkt des Interesses. Edith Stein war glücklich, überschwänglich schrieb sie ihren Freundinnen: „Manches Mädchen träumt von Busserl, Edith aber nur von Husserl.“

Doch ihr Suchen nach dem Sinn des Menschen im Kosmos konnte auch die Phänomenologie nicht beenden. „Dieser Einstellung fehlte die Fundierung, sie hing in der Luft“, schreibt Mai. „Sie erzeugte geradezu eine Sehnsucht nach Metaphysik, letztlich nach Glauben.“

Der Erste Weltkrieg, der das Leben immer mehr beeinflusste und auch zum Tod vieler Mitstudenten und Dozenten führte, rief ebenfalls ein verstärktes Fragen nach dem Sinn der so kurzen Menschenleben hervor. Was ist der Einzelne in dieser Welt, was ist er vor Gott? Stein wurde stark von der Philosophie Max Schelers beeindruckt, für den der Mensch nur in der Liebe zu und durch Gott seinen Sinn erfuhr. Nicht die Vernunft machte das Wesen einer Person aus, sondern die Liebe.

Auch dem Katholizismus begegnete Stein zum ersten Mal in Schelers Lehre. „Wollen wir Gott die höchste sittliche Qualität in unendlicher Seinsweise zubilligen, so können wir dies nur, indem wir das Lieben (mit Johannes und Augustinus) zu seinem innersten Wesen selber machen und sagen: er sei unendliches Lieben“, schrieb Scheler und erweckte in Stein die Erkenntnis, dass nur etwas über dem Verstand Stehendes dem Menschen Sinn geben könne.

Heidegger und der Sinn des Lebens

Stein meldete sich bei Ausbruch des Krieges für einen Krankenpflegekurs an, um eine medizinische Grundausbildung zu erhalten. Sie kam im Lazarett viel mit Krankheit und Tod in Kontakt, was ihr Fragen nach dem Sinn noch verstärkte. Bei einem Gefallenen fand sie das Gebet seiner Frau: „In dem Gebet der Frau für ihren Mann fand sie die praktische, die reale Bestätigung für Schelers Behauptung, dass der Mensch vor allem ein liebendes Wesen sei.“

Edith Stein
Edith Stein hat bei Edmund Husserl studiert und promoviert

Mai stellt Steins Konvertierung zum katholischen Glauben oftmals wie einen Gegenentwurf zu Martin Heideggers Wendung zum Atheismus dar. „Heidegger hatte seinen philosophischen Weg gefunden, der das In-der-Welt-Sein des Individuums, das Geworfensein in die Existenz zum Thema machte. Ein Weg, der ihn weg von Gott führte, die Metaphysik infrage stellte (…). Edith Stein ging den entgegengesetzten Weg, den Weg vom Menschen hin zu Gott. Polemisch fragte sie gegen Heidegger, wer denn, wenn der Mensch tatsächlich in die Existenz geworfen wäre, der Werfer wäre. Sie ging vom Menschen zu Gott.“

Aber auch für sie persönlich bedeutete Gott gefunden zu haben, einen inneren Frieden gefunden zu haben. Sie schrieb: „Es gibt einen Zustand des Ruhens in Gott, der völligen Entspannung aller geistigen Tätigkeit, in dem man keinerlei Pläne macht, keine Entschlüsse fasst und erst recht nicht handelt, sondern alles Künftige dem göttlichen Willen anheimstellt, sich gänzlich ‚dem Schicksal überlässt‘.“

Stein las die Autobiografie der heiligen Teresa von Ávila, der Gründerin des Ordens der unbeschuhten Karmelitinnen, deren Mitglied sie später werden sollte. Die Lektüre habe ihrem „langen Suchen nach dem wahren Glauben ein Ende“ bereitet, berichtete Stein später. Sie trat 1933 ins Kloster ein. Wegen der zunehmenden Verfolgung der Juden unter den Nazis brachte ein Landarzt Stein am 31. Dezember 1938 in die Niederlande zum Karmel in Echt.

Doch am 2. August 1942 wurden alle katholischen Juden in den Niederlanden, 722 Menschen, verhaftet, unter ihnen auch Edith Stein und ihre Schwester Rosa. Am 9. August 1942 wurde Stein mit den anderen Schwestern ein Stück Seife in die Hand gedrückt und in einen der „Duschräume“ geschickt. Aus den Duschen kam kein reinigendes Wasser, sondern tödliche Blausäure.

Der Glaube als Denksportaufgabe?

Mai gelingt es nicht nur, ein spannendes und geistlich fruchtbares Leben einer Frau nachzuzeichnen, die ihren Weg als Frau in der von Männern dominierten Geisteswelt ihrer Zeit ging. Gleichzeitig handelt das Buch von der Suche einer Jüdin, die in ihrer Religion nicht die Antworten nach Sinnhaftigkeit fand, sondern erst bei den katholischen Gelehrten. Ganz nebenbei versteht es Mai auch, die Stimmung, die Kultur und das Denken der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg einzufangen. Eine Zeit, die Stefan Zweig noch als „goldenes Zeitalter der Sicherheit“ beschrieb, in der ein Krieg weit weg zu sein schien. Der Historiker Christopher Clark habe nicht umsonst sein Buch über das Zustandekommen des Ersten Weltkriegs „Die Schlafwandler“ genannt.

 

Edith Stein, Biografie, Cover

Klaus-Rüdiger Mai: „Edith Stein – Geschichte einer Ankunft. Leben und Denken der Philosophin, Märtyrerin und Heiligen“, Kösel, 352 Seiten, 20 Euro

Warum, ja, nicht einmal, wohin genau Edith Stein zum Katholizismus konvertierte, wird im Buch Mais nicht immer ganz klar. Der Glaube Steins bleibt eher im Dunkeln. Glaubte sie an Jesus Christus? Oder war es eher der philosophische Reiz eines unpersönlichen, fernen Gottes, der sie faszinierte? Der Glaube erscheint hier allzu oft eher wie eine Denksportaufgabe neben den vielen anderen rund um die Phänomenologie Husserls, ein intellektueller Gegenentwurf zu Heideggers atheistischen „Geworfenseins“ des Menschen.

Es ging – zumindest wie Mai es darstellt – Stein fast nie um die Bibel, um Erlösung durch das Opfer Christi, um das Evangelium. Sondern eher um die Faszination für das Heilige, die Heiligen der Kirche und deren Beharrlichkeit, die eigene Aufopferung für etwas Höheres sowie eher unverbindlich um „das Licht des Glaubens“.

Am 9. August jährt sich der Todestag von Edith Stein zum achtzigsten Mal. Anlass genug, sich Mais Beschreibung dieses faszinierenden Lebens auf der Suche der Edith Stein nach dem Ruhen in Gott vorzunehmen. Dem Autoren nach jedenfalls gelang es Edith Stein, dort anzukommen, wo sie hin wollte.

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3 Antworten

  1. Edith Stein liegt vermutlich ganz weit außerhalb der Wahrnehmungsgrenze von PRO-Lesern. Deshalb vielen DANK für diese Rezension der Biographie dieser bedeutenden Denkerin und Mystikerin.
    Und in ganz anderer Sache eine Kritik: Warum war der Tod des bedeutenden evangelikalen Theologen Ron Sider PRO keine Meldung wert ….

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    1. Danke, das freut uns, dass der Artikel über Edith Stein so gut angekommen ist. Danke auch für den Hinweis auf Ron Sider. Das war uns tatsächlich durchgerutscht, aber ist auf jeden Fall ein wichtiges Thema für uns. Wir sind grad dran an einem Artikel.
      Grüße vom PRO-Team

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  2. Die Faktenlage hat Herr Mai sicher professionell und akribisch recherchiert und wiedergegeben. Das es Edith Stein nur um das bzw. ein Ankommen ging, ist aus spiritueller Sicht eine sehr problematische Aussage. Da Herr Mai sein Buch so tituliert, würde ich gerne das Buch in einer Bücherei ausleihen um herauszufinden, worauf er die Sicherheit, Überzeugung und Gewissheit zu dieser Aussage gründet???
    Denn hier wird es hochspannend:
    Wie kann ein „NICHTHEILIGER“ über Heilige Menschen Feststellungen machen???
    Und dazu noch solch eine sehr Spezifische, Spezielle???
    Nur wenn Herr Mai selbst spirituell sehr fortgeschritten ist, wäre es denkbar!
    Wenn wir an das Heilige glauben, dann werden auch wir diesen Sonderweg gehen.

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