Meinung

Die unvergessbaren Jugendsünden

Jugendsünden oder unbedachte Posts in den Sozialen Medien überleben lang. Das Internet vergisst nie. Aber Menschen können sich entscheiden, zu vergeben. Gedanken zum Thema Vergeben und Vergessen im Internet am Beispiel der Debatte um Sarah-Lee Heinrich. Von Marc-Lukas Seidlitz
Von PRO
Twitter

„Als ich 14 war, habe ich …“. So begannen vor einigen Wochen viele Nachrichten auf Twitter. Nutzer schrieben, welchen Unsinn sie in ihrer Jugendzeit getrieben und auch die ein oder andere Jugendsünde begangen haben. Anlass dafür war die Kontroverse um die neue Bundessprecherin der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich. Kurz nach der Wahl der 20-Jährigen tauchten sieben Jahre alte Twitter-Nachrichten von ihr auf, in denen sie antisemitische, rassistische und angeblich homophobe Kommentare abgegeben hatte. Zwar hatte sie sich für diese Tweets entschuldigt und diese auch gelöscht, doch wurde ihr ihr Fehlverhalten weiter vorgeworfen. Einige Twitter-Nutzer suchten auch aktiv nach weiteren kontroversen Nachrichten von ihr, um das Feuer zu schüren – das Internet vergisst nicht.

Das Internet vergibt nicht

Als gigantischer Datenspeicher kann das Internet ein Segen sein, oder ein Fluch. Im weiten Raum des Internets wird das Private öffentlich. Während die Schultoiletten-Kritzeleien vergangener Generationen im Laufe der Zeit verschwunden sind oder entfernt wurden, werden die „Kritzeleien“ in den Sozialen Medien, noch lange Bestand haben – selbst wenn man sie gelöscht hat. Das Internet vergisst nicht.

Das führt dazu, dass einen in Zukunft die eigenen Verfehlungen immer wieder einholen können. Egal ob sie zwei Wochen, zwei Monate oder sieben Jahre her sind. Irgendjemand wird sich daran erinnern und einem vorwerfen – auch wenn man mittlerweile seine Meinung geändert hat und nicht mehr hinter dem steht, was man damals gesagt hat. Ist das fair? Nein, aber das Internet vergibt nicht.

Vergessen, Vergeben, Verantwortung

Gerade in jungen Jahren hat wahrscheinlich jeder mal Unsinn gebaut und auch viel Mist verzapft. Dinge, auf die man nicht mehr stolz ist und für die man sich vielleicht bei betroffenen Personen entschuldigt hat – und einem vergeben wurde. Auch Sarah-Lee Heinrichs hat sich entschuldigt. Doch als Gegenreaktion bekam sie unter anderem viele weitere Vorwürfe und Hass. Das Internet vergisst und vergibt nicht

Auch wir Menschen vergessen bestimmte Ereignisse nicht so leicht. Manchmal führt das dazu, dass wir jemandem jahrelang etwas vorwerfen. Das steht im kompletten Gegensatz zur Vergebung. Vergebung bedeutet hier: Ich trage dir das nicht mehr nach; das vergangene Übel soll nicht mehr unsere Beziehung beeinflussen. In einem Beitrag zur Debatte um Sarah-Lee Heinrich Debatte von Deutschlandfunk Kultur merkt die Literaturwissenschaftlerin Berit Glanz an, dass wir so eine Kultur des Verzeihens brauchen – gerade, wenn Verfehlungen in der heutigen Zeit so gut dokumentierbar und recherchierbar sind. Können wir da nicht gerade als Christen Vorreiter und Vorbilder für unsere Mitmenschen sein?

Es ist andererseits auch nötig, sich bewusst zu werden, welche Folgen die eigenen Aussagen auf Social-Media-Plattformen haben können. Dementsprechend muss man auch Verantwortung für sein eigenes Handeln übernehmen. Oft heißt das, sich mit dem vergangenen Ich auseinanderzusetzen und wenn nötig andere um Verzeihung bitten, denn das Internet vergisst nicht.

Wie mit Social Media umgehen?

„Lieber nicht regieren, als falsch regieren“, meinte Christian Lindner 2017 nach den geplatzten Jamaika-Koalitionsgesprächen. Sollten wir uns daran ein Beispiel nehmen und „Lieber nichts auf Social Media veröffentlichen, als etwas Falsches veröffentlichen“? Ganz so drastische Maßnahmen sind nicht nötig. Es reicht voll und ganz, wenn wir lernen Verantwortung für unser Handeln und unsere Aussagen zu übernehmen; wenn wir lernen, den anderen Social-Media-Nutzer als Gegenüber und als gleichwertigen Menschen wahrzunehmen. Einen Menschen, der Gefühle hat und Fehler macht – genau wie wir. Wir sollten warten, bevor wir vorschnell urteilen oder unsere Meinung unreflektiert in die Welt hinausposaunen, denn das Internet vergisst nicht.

Nicht vergessen sollten wir auch, dass wir anderen vergeben können. Wenn ein anderer auf frühere Fehltritte aufmerksam wird, sich ehrlich davon distanziert, sollten wir ihm nicht dann eine zweite Chance geben? Zwar können wir nicht mit dem einverstanden sein, was diese Person gesagt oder getan hat, können das vielleicht nicht vergessen, aber wir können uns entscheiden, ihr das nicht mehr vorzuhalten. Das Internet vergisst nicht, aber der Mensch kann vergeben.

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2 Responses

  1. Sich mit 14 Jahren hasserfüllt und extremistisch äußern ist doch sehr erschreckend. – In diesem Alter war ich selbst offensichtlich noch sehr „behütet“.

    Dass die „grüne“ Jugend nicht immer harmlos ist, sondern mitunter keine Probleme mit linksextremen, sogar gewaltaffinen Gruppierungen, zeigt aber, dass es nicht nur um „Jugendsünden“ geht.
    z.B.
    „Einige Grüne kritisieren das Verbot der Internetseite linksunten.indymedia, die seit Jahren Gewalt verherrlicht.“
    https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/linksextreme-website-jusos-und-gruene-jugend-solidarisieren-sich-15177600.html

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  2. So richtig klar ist die Einschätzung der Internetseite linksunten.indymedia.de aber nicht. Wenn man den Wikipedia-Artikel darüber liest, ergibt sich ein erheblich differenzierteres Bild. Die haben fast alles ohne Prüfung veröffentlicht, was Nach- aber auch Vorteile hat. Die FAZ würde ich bei solchen Themen nicht übermäßig ernst nehmen.

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