Der Papst, ein Kidnapper

Dass die Katholische Kirche keine weiße Weste hat, dürfte bekannt sein. Dass der Papst in Rom aber sogar Kinder entführt und deren Eltern erpresst hat, dürfte manchem neu sein. Ein Spielfilm wirft nun einen Schlagschatten auf dieses dunkle Kapitel.
Von Jörn Schumacher
Eine Szene aus dem Film die Bologna-Entführung

Bologna, im Jahr 1858. Die jüdische Familie Mortara muss mit ansehen, wie ihr siebenjähriger Sohn Edgardo von bewaffneten Soldaten mitgenommen wird. Eine Entführung, im Namen der Katholischen Kirche. Denn als Edgardo ein halbes Jahr alt war, hatte seine Amme, ein katholisches Mädchen von eher schlichtem Gemüt, den Kleinen getauft. Erst sechs Jahre später berichtete sie davon dem Inquisitor der Stadt, auch um ein wenig Geld zu bekommen. Der schreitet zur Tat.

Nach katholischem Recht wurde Edgardo durch die Taufe nämlich Katholik und durfte daher unmöglich bei einer jüdischen Familie aufwachsen. So die Logik der Katholischen Kirche. Bologna gehörte damals dem Kirchenstaat an, dessen Regent Pius IX. war, der „Papst-König“. Und der ordnete an: Edgardo muss eine katholische Erziehung erhalten.

Was nach einem absurden Märchen klingt, ist tatsächlich passiert. Der italienisch-französisch-deutsche Spielfilm „Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes“, der am Donnerstag in die Kinos kommt, basiert auf der wahren Geschichte des jüdischen Jungen Edgardo Mortaras, der Mitte des 19. Jahrhunderts im Auftrag von Papst Pius IX. seiner Familie entrissen und unter dessen Obhut zwangsweise zum katholischen Glauben erzogen wurde.

Renommierter Regisseur

Der renommierte Regisseur Marco Bellocchio nahm sich der Geschichte an. Bekannt ist der Italiener unter anderem für seinen Film „Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra“; er gewann mehrere Filmpreise, darunter auf der Berlinale und beim Cannes Film Festival; 2011 erhielt er beim Internationalen Filmfestival von Venedig den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk. „Die Bologna Entführung“ war dieses Jahr in Cannes für die Palme d’Or nominiert.

Gegenüber der Presse sagte Bellocchio, ihn habe die Geschichte um den Jungen tief bewegt. „Im Film wird klar, dass die Kirche dem Kind Gewalt angetan hat, dass es eine echte Entführung war.“ Edgardo selbst wiederum war schnell von seiner neuen „Familie“ eingenommen. Der Papst wurde zu einer Art Vater-Ersatz für ihn, Edgardo verteidigte dessen Tun später stets, er wurde katholisch-gläubig und später sogar selbst Priester. Der Name, den er sich selbst gab: „Pius Edgardo“, nach dem Papst Pius IX. Er war später als Missionar in der Welt unterwegs, wurde 90 Jahre alt, und niemals verleugnete er in all den Jahren den Papst, der ihn als Kind entführen ließ.

Die Filmemacher hätten lange mit Elèna Mortara, Mortaras Urgroßnichte, und mit Mitgliedern der jüdischen Gemeinde gesprochen, sagte Bellocchio gegenüber der Presse. Er sprach über die damals häufigen Zwangstaufen, am Set habe es zudem jüdische Berater gegeben, die halfen, die jüdischen Bräuche und Gebete richtig darzustellen. Auch während des Zweiten Weltkriegs hätten Katholiken in Italien, Deutschland und Frankreich zahlreiche jüdische Kinder versteckt und vor dem sicheren Tod bewahrt, während ihre Eltern nach Auschwitz oder in andere Vernichtungslager deportiert wurden, sagte Bellocchio. „Nach dem Krieg wurden viele dieser Kinder getauft. Die jüdische Gemeinschaft verlangte jedoch, dass sie zum Judentum zurückkehren sollten.“

Perfide und auch ein wenig pervers

Der Film „Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes“, an dessen Finanzierung auch die italienische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt RAI, der Bayerische Rundfunk sowie ARTE beteiligt waren, ist erfreulich gut gelungen, das Setting ist erstaunlich aufwendig und wirkt historisch akkurat. Regisseur Bellocchio hatte nicht nur ein gutes Händchen bei der Auswahl seiner Schauspieler, sondern bettete die Geschichte glaubhaft in einen historischen Kontext ein.

Alltägliche antisemitische Vorurteile gehören dazu, besonders in der Katholischen Kirche; dass Juden ab und zu gerne ihre Kinder opfern, etwa, oder die Striktheit der Geistlichen, wenn es um ihre –  nach eigenem Verständnis bitteschön universal geltende – Lehre geht. Der Inquisitor ist da eindeutig: „Eine Taufe kann nicht annulliert werden.“ Und: „Diskutieren will ich nicht.“

Der Frust einer Logik, die nur innerhalb der Kirchenmauern funktioniert, aber nicht für eine jüdische Familie, wird im Film überdeutlich. Jesus war ja auch Jude und wurde dann getauft, also kann auch ein jüdischer Junge wie Edgardo katholisch getauft werden, wann immer es einem Katholiken oder einer (noch unreifen) Katholikin passt. Punkt.

Auch die verängstigte Perspektive des jüdischen Jungen auf die verwirrenden katholischen Rituale  macht der Film nachvollziehbar. Edgardo muss sich jedenfalls an die vielen toten Jesusse überall und das viele Latein erst noch gewöhnen.

Den Papst stellt Bellocchio als perfekten frühen Vertreter des Trumpismus dar: Einerseits den Juden die schlimmsten Verbrechen vorwerfen, andererseits aber selbst Kinder entführen. Einerseits mit Lügen nur so um sich werfen, andererseits die Zeitungsberichte über seine Entführung als „Fake News“ diskreditieren.

Nebenbei führt das Kirchenoberhaupt die Eltern Edgardos in eine perfide Erpressung: Wenn sie vom Judentum zum Katholizismus konvertieren sollten, könnte Edgardo natürlich sofort zurückkommen. Und es mutet dann auch schon fast pervers an, wenn der ältere, qua Amt kinderlose Herr in den Vatikanische Gärten mit den aus fremden Familien geklauten Jungs Verstecken spielt, als sei er der liebe Onkel auf Landpartie. „Die Bologna-Entführung“ – eine Geschichte, die erzählt werden musste.

„Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes“, Italien, Frankreich, Deutschland, Regie: Marco Bellocchio, 134 Minuten, FSK 12, ab 16. November 2023 im Kino

Dieser Text ist erstmals erschienen am 16. November 2023.

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