Christen müssen „Whistleblower der Liebe Gottes sein“

Christlichen Glauben so leben, dass Menschen berührt werden und Hoffnung stiften. Das sieht EKiR-Präses Thorsten Latzel als einen Kernauftrag für seine Kirche. Lesen Sie hier einen Auszug aus seinem Präsesbericht von der Landessynode 2023.
Von PRO
Der Theologe Thorsten Latzel

Die kulturelle Selbstverständlichkeit des Glaubens ist, wenn es sie je gegeben hat, massiv im Schwinden. Die Zeitungen vor Weihnachten waren wie alle Jahre wieder voll davon, allerdings mit schärferem Ton. Die Vorveröffentlichung des Religionsmonitors 2023 etwa brachte kirchensoziologisch nicht wirklich etwas Neues, verdeutlichte aber die Zäsur: Selbst wenn man noch an Gott glaube, die Kirche brauche es nicht dazu.

Nun kann man dies auch aus christlicher Sicht unterschiedlich bewerten. Manche verstehen es als Befreiung von falschen kulturellen oder institutionellen Abhängigkeiten. Das Evangelium sei immer ein Ärgernis, ein Skandalon und könne jetzt umso klarer leuchten. Andere erleben es durchaus als Verlust, wenn das eigene Tun wenig Resonanz erfährt. Wenn viele, nicht nur junge Menschen nicht mehr wissen, worum es beim Glauben überhaupt geht. Wenn wertgeschätzte kirchliche Arbeitsfelder wegfallen.

Nun, ich glaube, dass wir weder einen vermeintlichen „Untergang des christlichen Abendlandes“ beklagen sollten (was auch immer damit gemeint ist), noch uns die Verluste theologisch schön saufen. „Small“ ist nicht per se „beautiful“. Kleinerwerden strengt an. Und die These, dass wir damit automatisch geistlicher würden, ein „heiliger Rest“, leuchtet mir nicht ein. Glaube braucht Gemeinschaft – und es hilft sehr, wenn wir Menschen, Gebäude, Ressourcen dafür haben.

Wie frühere Generationen können wir uns die Herausforderungen unserer Zeit nicht aussuchen. Wenn es unsere Aufgabe ist, kleiner zu werden, uns zu konzentrieren, dann ist das so. Und wir sollten zugleich alles tun, um Gemeinschaft, Gemeinde und auch die Institution zu stärken. Geschichtlich betrachtet haben wir weiterhin Bedingungen wie zu wenigen Zeiten oder an wenigen Orten.

2,2 Millionen Mitglieder – das ist eine Menschenkette, die von Kleve bis Saarbrücken reicht: dreimal hin und dreimal wieder zurück. Evangelische Kirche im Rheinland – das sind hunderttausende engagierte Menschen. Und auch den Menschen, die ausgetreten sind, ist ihr Glaube keineswegs einfach egal.

Die entscheidende Frage ist, ob wir in den aktuellen Krisen unserer eigentlichen Aufgabe gerecht werden: Hoffnung stiften. Armut, Unrecht, der Zerstörung der Schöpfung entgegentreten. Whistleblower der Liebe Gottes sein. Und, mit Paulus gesprochen, als Erstgeborene der neuen Schöpfung leben (Röm 8). Angesichts der Krisen der Gegenwart gibt es eine große Sehnsucht nach einem Evangelium.

„Das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden.“ (Röm 8, 19)

Und daran werden uns kommende Generation einmal messen: auch diese Bildungssynode 2023.

Im Alltag erliegen wir aber leicht der Gefahr, in Dauer-Geschäftigkeit um uns selbst zu kreisen. Deswegen sind Bergzeiten wie unsere gemeinsame Synode so wichtig. Daher:

Lasst uns den inneren Menschen stärken und anderen Hoffnung geben.
Lasst uns unseren Glauben leben, so dass es Menschen wirklich berührt.

Lasst uns dafür eintreten, dass Gottes Schöpfung bewahrt, Güter geteilt, Leiden geheilt werden. Offen für Gott – sensibel für andere – evangelisch frei. Das ist unser Bildungsauftrag.

Pfarrer Thorsten Latzel ist seit 2021 Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Seinen vollständigen Präsesbericht von der Landessynode 2023 finden Sie hier.

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17 Antworten

  1. „Wenn viele, nicht nur junge Menschen nicht mehr wissen, worum es beim Glauben überhaupt geht.“

    Vielleicht haben sie auch einfach nur erkannt, das der Glaube an unsichtbare, übernatürliche Wesen nicht mehr zeitgemäß ist. Vor 2000 Jahren wussten es die Menschen nicht besser und Übersinnliches galt damals als plausible Erklärung. Zum Glück gab es aber Menschen, die gegen den Widerstand der Religionen nach rationalen Erklärungen gesucht haben und so die Wissenschaften begründet haben, die uns unser heutiges modernen Leben überhaupt erst ermöglicht haben. Wenn es nach der Kirche geht, würden wir heute noch wie vor 2000 Jahren leben. Nicht wenige Religiöse würden das auch noch begrüßen.

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    1. @Maik:
      Bitte überprüfen Sie, wieviele Wissenschaftler, die „unser heutiges, modernes Leben erst ermöglicht haben“, Christen waren. Vielleicht sind Sie dann überrascht, wo wir heute ohne diese Christen stehen würden. Einzelne Wiederstände von kirchlicher Seite begründen keinesfalls eine Regel der Ablehnung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Mag sein, dass es Religiöse gibt, die gerne wie vor 2000 Jahren leben würden, dass betrifft sicher nicht die Mehrheit der Christen. Bis heute gibt es erfolgreiche, fortschrittliche Wissenschaftler, die an Gott und an Jesus Christus glauben.

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      1. Die folternde und mordende „heilige“ Inquisation hat es also nicht gegeben oder waren das auch nur Einzelfälle?

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        1. Mit Verlaub, mögen Sie doch beim Thema bleiben.
          Und um es noch einmal zu bekräftigen, es gibt mehr wissenschaftliche Erkenntnisse, die errungen wurden, um dem Geheimnis der Schöpfung auf die Spur zu kommen, als andere.

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      2. „Bis heute gibt es erfolgreiche, fortschrittliche Wissenschaftler, die an Gott und an Jesus Christus glauben.“

        In welches mathematischen Formeln oder wissenschaftlichen Abhandlungen kommt denn Gott vor?

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        1. Wie lautet denn die mathematische oder chemische Formel für Liebe?
          Nebenbei: es gibt mindestens genauso viele Versuche, Gottes Nicht-Existenz zu beweisen wie im Gegenzug. Und das waren Mathematiker, Physiker, Philosophen.

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  2. „Vor 2000 Jahren wussten es die Menschen nicht besser und Übersinnliches galt damals als plausible Erklärung.“ Nein, nein. Vor 2000 Jahren hatten die Menschen Jesus Christus unter sich und ich wollte, ich wäre dabei gewesen. Wie sagte der Jünger Petrus: Wir haben geglaubt und erkannt, dass Du bist Christus, der Sohn Gottes. Alles Suchen nach rationalen Erklärungen hat im Grunde nichts gebracht. Glaube, glaube, und der Sieg ist dein, hat mal jemand gesagt. Dies kann ich nur von mir bestätigen!

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  3. Whistleblower ist „eine Person, die für die Öffentlichkeit wichtige Informationen aus einem geheimen oder geschützten Zusammenhang veröffentlicht.“ Erklärung Wikipedia. Verbreiten Christen also irgendwelche Geheiminformationen oder Informationen aus einem geschützten Zusammenhang? Wo ist die Bibel geheim?
    Sie ist weitgehend jeder/jedem auf der Welt zugänglich. Nichts ist geheim oder entspringt Informationen aus einem geschützten Zusammenhang. Ob sich sein Bruder Olaf als „Whistleblower“ der Liebe Gottes sieht?

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    1. „Ob sich sein Bruder Olaf als “Whistleblower” der Liebe Gottes sieht?“

      Eigentlich hier OT, dennoch:

      P. O. Latzel nimmt sein Ordninationsgelübde sehr ernst. Und somit auch die Aussagen der Bibel.

      Insofern ist P. O. Latzel mir persönlich lieber, als manch ein anderer Pastor, der über alles mögliche predigt, jedoch nicht über das Evangelium (z.B.: Sündenvergebung durch den Tod Jesu + Auferstehung: 1. Kor. 15).

      Andererseits ist P. O. Latzel in der Vergangenheit mit seiner Zunge schneller gewesen, als mit seinen Gedanken.
      Und genau das hat ihm Ärger eingebracht.

      Wobei: Wer Jesus ernsthaft nachfolgt, bekommt grundsätzlich Gegenwind.
      Ich erinnere mich an div. christliche Märtyrer (z.B. „Prediger von Buchenwald“, Bonhoeffer, Kolbe, Wilm, Witthaut – wobei die letzten beiden relativ unbekannt sind) aus unserer „braunen“ Vergangenheit.

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      1. Ich habe den Artikel mit Freude gelesen – schön, dass es in der Familie Latzel auch Menschen gibt, die dem Evangelium zugewandt sind, der Freude und der Hoffnung und danach reden und handeln!

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  4. „Glaube braucht Gerechtigkeit…Unrecht entgegentreten“
    Ich empfehle den Lesern mal den Suchbegriff „Mobbing in der evangelischen Kirche“ bei einer Suchmaschine einzugeben.

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    1. Zustimmung.
      Gibt es.
      Überall dort, wo „Macht-„Menschen sind.
      Leider auch bei Kirche.

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  5. Leider ist uns die Überzeugung über Gottes übernatürliches Wesen und Wirken in unserer doch so aufgeklärten Zeit abhanden gekommen. Da dürfte auch die Ursache für die sog. Moderne Theologie liegen. Eine Rückbesinnung ist dringend vonnöten!

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  6. Frei und offen und ohne Scheu und verständlich von der Liebe Gottes reden. DAS ist angesagt. Und nicht „hinten rum“, hinter verdeckter Hand „whistlen“. Sich klar zu Jesus Christus bekennen! Danke für jede/n, die/der es tut!

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  7. Der Auftrag der Kirche ist an erster Stelle die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus, nicht als Whistleblower sondern als freimütige Zeugen. Jesus selbst und auch seine Nachfolger haben keine Geheimlehren verkündigt. Dass es mit der Kirche rapide bergab geht zeigt, wie sehr sie dem Zeitgeist verfallen ist.

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