Wittenberger „Judensau“ muss nicht entfernt werden

Die „Judensau“ darf weiter an der Wittenberger Stadtkirche bleiben. Eine Entfernung sei nicht geboten, weil es an einer „Rechtsverletzung“ fehle, urteilte nun der Bundesgerichtshof.
Von PRO
Judensau-Wittenberg

Die Wittenberger „Judensau“ muss nicht entfernt werden. Das entschied der Bundesgerichtshof am Dienstag in Karlsruhe. In der Begründung des Gerichts heißt es, dass es an einer „gegenwärtigen Rechtsverletzung“ fehle. Mit der Anbringung einer Bodenplatte und eines Aufstellers, die über die Hintergründe des Reliefs aufklären, sei der ursprünglich rechtsverletzende Zustand beseitig worden. Bei der Gesamtbetrachtung werde deutlich, dass sich beklagte Kirche erfolgreich vom Inhalt des Reliefs distanziert habe. Durch die Erklärtexte habe die Kirchengemeinde das „Schandmal“ in ein „Mahnmal“ umgewandelt, befanden die Richter.

Die Plastik von 1290 zeigt eine Sau, die zwei Menschen, die Juden darstellen sollen, säugt. Ein Rabbiner hebt den Schwanz des Tiers und blickt ihm in den After. Schweine gelten im jüdischen Glauben als unrein. In der Wittenberger Stadtkirche hatte später auch er Reformator Martin Luther gepredigt und antijüdische Schriften veröffentlicht. Ein Verweis auf diese Schriften wurde der Plastik im Jahr 1570 zugefügt.

Jahrelanger Rechtsstreit

Mehrfach geklagt hatte der zum Judentum konvertierte Michael Düllmann – scheiterte aber in den ersten beiden Instanzen vor dem Landgericht in Dessau und dem Oberlandesgericht in Naumburg. Die Richter sahen damals zwar bei „isolierter Betrachtung“ eine strafbare Beleidigung, weil das Relief aber seit 1988 in ein Gedenkensemble eingebunden ist, musste es nicht entfernt werden. Auf einem zugehörigen Erklärtext distanziert sich die Gemeinde von der Skulptur.

Die Verantwortlichen der Stadtkirche sprachen sich ebenfalls dagegen aus, das Relief zu entfernen. Der Wittenberger Pfarrer Matthias Keilholz erklärte: „Wenn diese Skulptur verschwinden würde, würde dieses Erinnern, dieses Mahnen mit der Zeit auch verschwinden.“

Weitere Klagen angekündigt

Bereits vor der Entscheidung des Gerichts kündigte Düllmann an, bei einer Niederlage vor das Bundesverfassungsgerichts zu ziehen. Dort gehe es dann nicht um zivilrechtliche Fragen wie Beleidigung, sondern um das Grundgesetz und die Würde des Menschen. Sollte er auch dort mit seiner Klage scheitern, kündigte der 79-Jährige den Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an.

Düllmann sieht in der „Judensau“ zudem nur ein Beispiel für viele Verfehlungen der Kirche im Umgang mit Juden und insbesondere mit Luther. Den Reformtor bezeichnet er als „Erz-Antisemiten“.

Präzedenzfall Wittenberg?

Das Urteil des Bundesgerichtshofs könnte auch Auswirkungen auf ähnliche Fälle haben. In Deutschland gibt es dutzende vergleichbare Schmähplastiken an und in Kirchgebäuden. Allerdings gilt das Urteil nicht automatisch für andere Fälle.

In vielen Landeskirchen wird zudem unabhängig des neuen Urteils um dieses Erbe gerungen. So hat die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) sich im April auf ein neues Kirchengesetz verständigt. Dieses schließt Darstellungen und Gegenstände mit antisemitischen oder rassistischen Bezügen vom liturgischen Gebrauch aus. Zudem müssen die Gegenstände entfernt werden.

Von: Johannes Blöcher-Weil und Martin Schlorke

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