Die Corona-Pandemie hat wie kein anderes Ereignis zuvor das Selbstverständnis der modernen, westlich-demokratischen Gesellschaft erschüttert. Die Debatte über den Preis, der im Kampf gegen das Virus zu zahlen war, führte zu Verwerfungen bis in Familien hinein. Auch christliche Medien wie PRO waren von der Pandemie herausgefordert: Wie kann man die Rolle des Glaubens in einer solchen Situation aufzeigen, Ängste und Sinnfragen adressieren, emotional geführte Debatten versachlichen? Was ist eine christliche Sicht auf diese Ausnahmesituation? Gibt es die überhaupt?
Der Theologe Constantin Plaul, Professor an der Universität Regensburg, hat sich angeschaut, wie christliche Medien die Corona-Krise thematisierten. Und er stellte fest: „Die“ christliche Stimme, eine verbindliche Deutung aus christlich-theologischer Perspektive hat es nicht gegeben. Christliche Medien haben vielstimmig und auch kontrovers auf die Krise Bezug genommen. Deutlich wurde für den Forscher aber vor allem: Sie hatten etwas zum Thema beizutragen und haben das auch getan. Und es gab ein Bedürfnis danach: „Kirchen werden in Krisenzeiten offensichtlich nach wie vor als spirituelle Anlaufstelle angesehen“, resümiert Plaul anhand der untersuchten Berichterstattung.
Er und sein Team analysierten Beiträge von je zwei katholischen, evangelisch-landeskirchlichen sowie Medien aus dem evangelikalen Frömmigkeitsbereich – „idea“ und PRO –, die sich im ersten Jahr der Pandemie mit Corona und Religion befassten. Die Debatte um das Impfen spielte in dem untersuchten Zeitraum bis Februar 2021 noch keine große Rolle. Zum Vergleich werteten die Forscher außerdem Artikel der „Zeit“ und der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ aus. Neben inhaltlichen Ähnlichkeiten wurden auch erkennbare Profile der christlichen Publikationen deutlich. Veröffentlicht wurde die Studie in diesem Frühjahr bei der Evangelischen Verlags-Anstalt unter dem Titel „Religion in der Krise – Krise der Religion?“.
Systemrelevanz durch Seelsorge
Die evangelikal geprägten Medien zeichneten sich demnach dadurch aus, dass sie bei der religiösen Deutung häufiger als andere die Pandemie in einen inhaltlichen Zusammenhang mit Sünde und Strafe brachten. Eine weitere Besonderheit liegt bei ihnen darin, dass sie das persönliche Bibelstudium und Gebet als hilfreich herausstellen. Das Gebet kam dabei nicht nur als private geistliche Praxis vor, sondern als ein Weg, mit dem Christen auf das Krisengeschehen selbst reagieren können. Die Corona-Maßnahmen wurden in diesen Medien insbesondere mit Blick auf die Einschränkungen für Gottesdienste, ihre Auswirkung auf die christliche Gemeinschaft und teilweise auch in einem Spannungsverhältnis zu biblischen Geboten kritisiert.
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Auch katholische Medien thematisierten das Gebet, aber anders als bei den evangelikalen Medien mit einem Fokus auf seine kontemplative Funktion. Die Idee, mit Gebet Einfluss nehmen zu können, wurde hier sogar als quasi magisches Denken kritisiert. In den landeskirchlichen Medien spielte Gebet wie auch generell die private Ebene des Glaubens kaum eine Rolle.
Ein Schwerpunkt lag hingegen auf Fragen, die die Institution Kirche betreffen, etwa ob Abendmahl digital gefeiert werden kann. Während die evangelikalen Medien kaum die Frage aufwarfen, inwiefern Kirche systemrelevant ist, spielte das in den katholischen und landeskirchlichen Zeitungen eine deutlich stärkere Rolle – häufig in Verbindung mit der kirchlichen Aufgabe der Seelsorge. Diese sehen die Kirchen offenbar selbst als etwas, was nur sie zu bieten haben – weshalb sie eine gesellschaftliche Relevanz behaupten können.
Interesse an religiösen Fragen
Die Forscher stellten zudem fest, dass sich diese Argumentation ebenfalls in den säkularen Medien findet: Kirchen sind systemrelevant, weil sie Seelsorge leisten und gerade in den Grenzbereichen der menschlichen Existenz, wie sie die Pandemie zutage legte, Antworten auf Fragen haben, „auf die Wissenschaft und politische Praxis naturgemäß keine Antworten bieten können“, resümiert Plaul.
Darüber hinaus zeigte sich auch in der säkularen Presse eine große thematische Breite in Bezug auf Religion in der Pandemie-Zeit. Das geht von der Bedeutung der Seelsorge über die Kritik an Kirchen, dass sie ihrer Verantwortung nicht ausreichend gerecht würden, bis hin zu theologischen Deutungsversuchen der Pandemie. Selbst Berichte über das Beten oder neue Formen von Gottesdiensten und Andachten fanden ihren Platz in diesen Medien – stärker noch als in den landeskirchlichen.
„Kirchen werden in Krisen als spirituelle Anlaufstelle angesehen.“
Constantin Plaul
Religiöse Deutungen haben dem Theologen zufolge in der Pandemie-Zeit eine wichtige Rolle gespielt und standen „in beträchtlicher Zahl zur Verfügung“ – sowohl in der christlichen als auch in der allgemein Publizistik. „Menschen fragten durchaus nach einem höheren Sinn in der (Corona-)Krise und forderten insbesondere von kirchenleitenden und theologisch gebildeten Personen klare Positionen in verständlicher Sprache ein.“
Dass es dabei nicht die eine verbindliche christliche Stimme oder eine abschließende Gesamtdeutung gab, sieht Plaul nicht als Problem an. Er fragt, ob man im Austausch und der Diskussion verschiedener Positionen, die sich reiben oder gegenseitig anregen, nicht den Heiligen Geist am Werke sehen könnte. Gegenüber PRO plädiert er dafür, dass Christen unterschiedlicher Kirchen, Lager und Stile diese Vielfalt anerkennen – „im Geiste wechselseitiger Angewiesenheit und Ergänzungsbedürftigkeit“ – weil das verbindende Gemeinsame tiefer geht.
Vielleicht ist dieser Gedanke auch dort hilfreich, wo es unter Christen wegen der Pandemie persönliche Verletzungen gab und es noch der Versöhnung bedarf. Auch wenn der generelle Trend in die andere Richtung geht: Die Studie zeigt, dass es das Bedürfnis nach Orientierung, nach Sinn und Halt auch in einer religionsarmen Gesellschaft gibt. Dafür sollten Christen ihr Sensorium schärfen.
Dieser Beitrag erschien in der gedruckten Ausgabe des Christlichen Medienmagazins PRO, Nummer 4/2025. Hier können Sie das Magazin kostenlos bestellen oder online lesen.