„Wenn wir nur Leistung bringen wollen, brennen wir aus“

Der christliche Glaube kann helfen, Krisen zu bewältigen. Davon ist Coach Deborah Füßer überzeugt. Wie genau das aussehen kann, verrät sie im Interview.
Von Swanhild Brenneke

PRO: Im Alltag werden wir derzeit mit diversen Krisen konfrontiert, auch durch die Medien. Wie kann der Glaube helfen, damit umzugehen?

Deborah Füßer: Ich finde es spannend zu sehen, wie Jesus damit umgegangen ist, wenn buchstäblich die Stürme toben. Mitten im Sturm auf dem Boot schläft er. Wieso kann er das? Weil er ganz genau weiß, wer er ist, welche Macht ihm gegeben ist und wer an seiner Seite steht. Er ruht total darin. Auch in unseren Leben kann es teilweise ganz schön stürmisch werden. Mir hilft es dabei immer wieder, mich ganz bewusst darin zu erinnern, wen ich an meiner Seite habe. Wenn ich an einen liebenden Vater glaube und weiß, wer ich in ihm bin, wer an meiner Seite steht, gibt mir das Halt und lässt mich ruhig werden. Das heißt nicht, dass jede Krise sofort vorbei ist, aber ich muss nicht allein damit fertig werden und darf mich in seiner Hand geborgen fühlen.

Haben Sie das selbst schon einmal erlebt?

Ja, ich war zuletzt stark von Post Covid betroffen und war mehrere Monate komplett ausgeschaltet. Ich konnte nicht mehr in Zusammenhängen denken, konnte meinen Alltag nicht mehr selbständig bewältigen, war total kraftlos. Gefühlt ist von mir nicht mehr viel übriggeblieben. Ich habe mich da oft gefragt: Was, wenn ich nie wieder irgendetwas leisten kann? An meinem tiefsten Punkt, wo ich mit mir selbst am Ende war und auch mit der Situation gehadert habe, hat mich die Liebe meines Vaters im Himmel ganz neu berührt. Das hat mich total fasziniert. Auch wenn sich die Umstände nicht gleich geändert haben, habe ich mich getragen gefühlt und bis in meinen Kern hinein geliebt.

Wie schafft man es, auch als Christ, nicht den Mut zu verlieren und sich den Blick für das Positive zu bewahren, in einer Zeit, wo alles oft nur negativ erscheint?

Wir haben eine große Verantwortung, worauf wir unsere Gedanken und unseren Blick richten. Es wird eine Auswirkung auf uns haben, sowohl im Positiven als auch im Negativen. Wir Menschen haben schnell die Tendenz, wie Petrus oder die Jünger im Boot, auf die Wellen zu schauen und sie ins Verhältnis zu unserer eigenen Kraft und unseren eigenen Möglichkeiten zu setzen. Sorgen beginnen meist dort, wo ich mir eine Zukunft ausmale, in der Gott nicht vorkommt. Das bedeutet nicht, dass mit Gott alles immer leicht ist. Aber es heißt, dass ich nie allein und aus eigener Kraft mit allem fertig werden muss. Das lässt mich positiv in die Zukunft blicken. Dietrich Bonhoeffer hat einmal gesagt: „Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst verlassen, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“ Damit kann ich entspannt im Hier und Jetzt sein und im Vertrauen ruhen und darf mich entscheiden, worauf ich meinen Blick richte.

„Die Bibel rät uns, unsere Gedanken auf Dinge auszurichten, die gut, gerecht, rein und unanstößig sind, das wird eine Auswirkung auf uns haben.“

Wie kann man, besonders als Christ, verantwortungsvoll Medien konsumieren?

Ich glaube, es findet ein großer Kampf um unsere Aufmerksamkeit und um unsere Gedanken statt, weil sie sehr viel davon bestimmen, wie wir unser Leben leben. Corrie ten Boom hat einmal diesen coolen Satz gesagt: „If the devil cannot make us bad, he will make us busy.“ Wir lassen uns manchmal sehr leicht durch Medien, Nachrichten und Social Media berieseln und ablenken. Wir dürfen uns immer wieder bewusst machen, was das in uns auslöst und uns neu entscheiden, womit wir unsere Seele füttern wollen. In der Bibel heißt es nicht umsonst: „Über alles andere behüte dein Herz.“

Ein Bewusstsein für diese große Verantwortung, die wir haben, ist ein wichtiger Schritt. Die Bibel rät uns, unsere Gedanken auf Dinge auszurichten, die gut, gerecht, rein und unanstößig sind, das wird eine Auswirkung auf uns haben.

Welche Rolle spielen Auszeiten im Alltag, besonders in Krisenzeiten?

Eine große Rolle. Jesus hat es uns vorgemacht und sich auch immer wieder Auszeiten genommen. Ich finde es schön, wie Jesus sich in das Alleinsein zurückzieht, um zu beten. Er stellt sich immer wieder in den liebenden Blick Gottes hinein, um sich füllen zu lassen und dann wieder mit Kraft loszugehen. Jesus war viel in Kontakt mit Menschen, hat viel bewegt, aber er hat auch immer wieder die Stille mit seinem Vater gesucht und gebraucht. Wir brauchen das auch ganz dringend. Wenn wir nur Leistung bringen wollen, brennen wir auf Dauer aus. Ich glaube, wir nehmen uns diese Zeiten oft viel zu spät, reißen uns zusammen und sind dann nur noch in einem Funktionsmodus – bis wir gar nicht mehr anders können.

Bewusste Auszeiten helfen, auch in Krisenzeiten auf Dauer ausgeglichen zu bleiben.

Wie kann man solche Auszeiten gestalten?

Auszeiten müssen nicht unbedingt immer lange sein. Manchmal helfen schon zehn Minuten: sich einfach hinsetzen und für einen Moment nichts tun oder erreichen müssen, sondern nur sein. Das klingt leichter als es manchmal ist, denn wenn es still wird und wir nicht abgelenkt sind durch unsere To-Dos oder unser Smartphone, merken wir manchmal erst, wie viele Gedanken in unserem Kopf sind oder welche Emotionen sich noch in uns verstecken. Da kann es zum Beispiel hilfreich sein, sich bewusst auf den Atem zu konzentrieren oder den Körper wahrzunehmen und alles andere für den Moment beiseitezulegen.

Auszeiten sind etwas sehr Individuelles. Sie können kurz oder lange sein, in Bewegung oder in Ruhe. Da darf jeder herausfinden, was einem gut tut, was einen auftanken lässt. Auch der Sabbat ist eine wunderbare Auszeit. Ein Tag, an dem wir von aller Arbeit ruhen dürfen und es nicht um ein schneller, höher, weiter oder pausenlose Erreichbarkeit geht. Ein Tag, an dem wir Schönes genießen dürfen, zum Beispiel beim Essen oder in der Natur, Gemeinschaft haben mit Menschen, die wir lieben und mit unserem Vater im Himmel. Natürlich kann eine Auszeit auch länger dauern von einer Woche bis hin zu einem Sabbatjahr.

„Bewusste Auszeiten helfen, auch in Krisenzeiten auf Dauer ausgeglichen zu bleiben.“

Wie kann der Glaube helfen, Zeiten der Stille zu gestalten?

Zeiten der Stille und der Ruhe können manchmal ganz schön umkämpft sein und sich auch herausfordernd anfühlen. Besonders dann, wenn viel los ist, wir das Gefühl haben, nicht genug zu sein oder die Erwartungen anderer nicht erfüllt zu haben. Hinzu kommen noch unsere eigenen Anforderungen, die uns ganz schön antreiben können.

Ich glaube, gerade da brauchen wir diese Zeiten besonders und dürfen innehalten und uns in Gottes liebenden Blick hineinstellen. Ich setze mich dann beispielsweise auf eine Bank oder in meinen Sessel und atme bewusst, komme im Moment an und stelle mich unter Gottes Zusagen. Das ist für mich der Ort, wo Gott sagt, dass ich nicht geliebter sein kann als in genau diesem Moment. Mein Schöpfer spricht mir zu: „Du bist wunderbar geschaffen. Ich schaue dich mit Liebe an. Mein Herz freut sich über dich.“ Ganz egal, wie die Umstände sind oder was die Leute sagen. Ich darf sein, wie ich bin. Ich muss nichts bringen. Das ist für mich eine große Quelle der Kraft. Es ist wie ein Schirm, unter dem ich ruhen darf und wo alle anderen Stimmen für den Moment zurücktreten müssen.

Sie bieten „Raw Days“ im Allgäu an. Was verbirgt sich dahinter?

„Raw“ steht für „rauskommen, ankommen, weiterkommen“. Wir brauchen alle immer mal wieder Zeiten, in denen wir rauskommen aus dem Hamsterrad, aus den Erwartungen und dem Funktionsmodus und ankommen im Moment, bei uns, in der Ruhe, bei Gott. Das ist so wichtig, um wirklich weiterzukommen im Leben.  Die „Raw Days“ bieten einen Raum zum Auftanken, sich neu orientieren und Weiterkommen. Das räumliche Herauskommen kann dabei eine große Hilfe sein, neu den Fokus zu setzen, neue Perspektiven zu erlangen, Orientierung und Klarheit zu finden auf ganz vielfältige Weise – als Einzelperson oder auch als Team.

Uns Menschen zieht es immer wieder in die Natur, wenn wir durchatmen wollen. Warum ist das so?

Wir spüren intuitiv, dass die Natur uns gut tut. In der Wissenschaft sprechen Forscher von dem „Biophilia-Effekt“: Die Tendenz des Menschen hin zu den natürlichen und lebendigen Prozessen. Es gibt viele Forschungen, die belegen, dass sich die Natur positiv auf unser psychisches und körperliches Wohlbefinden auswirkt. Nach Zeiten in der Natur kann man sich besser konzentrieren, Stresssymptome, wie Blutdruck oder Stresshormone im Blut verringern sich messbar. Außerdem wird das Immunsystem gestärkt. Die Natur ist ein Ort, der uns einlädt, zu sein, Dinge zu entdecken. Und sie fördert die Kreativität.

Gott hat uns nicht in einen leeren, sterilen Raum hineingesetzt, sondern in einen Garten, der „lieblich anzusehen und gut zur Nahrung ist“, wie es in der Bibel heißt. Der also nicht nur funktional ist, sondern der uns auch emotional berühren kann und einen unglaublichen Reichtum an Schönheit, Lebendigkeit, Freude oder Trost bieten kann. Gott offenbart in der Schöpfung viel von seinem Wesen. Wir können in der Natur eine Sinnhaftigkeit und Verbundenheit mit unserem Schöpfer entdecken.

Vielen Dank für das Gespräch!

Mehr zum Thema „Digitale Resilienz“ lesen Sie auch in Ausgabe 6/2022 von PRO – das christliche Medienmagazin. Sie können die Ausgabe hier bestellen.

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5 Antworten

  1. Ein Super-Artikel.

    DANKE.
    Ein praktisches Bekenntniss für Jesus!
    Das tut gut!!!!

    Aus obigem Artikel:
    „[…]
    Dietrich Bonhoeffer hat einmal gesagt: „Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst verlassen, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“
    […]“

    „Gib mir Kraft für diesen Tag,
    Herr, ich bitte nur für diesen,
    dass mir werde zugewiesen,
    was ich heute brauchen mag.“

    Siehe dazu auch:
    https://www.sermon-online.com/de/contents/10033
    (Pfr. Paul Deitenbeck zum Thema „Gib mir Kraft für diesen Tag“ – Ich erinnere mich noch gut an diese Radiosendung.)

    Unbekannterweise ein ganz dickes DANKE an Fr. Füßer!

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  2. Das ist einer der besten Artikel und Meinung, die ich je in PRO gelesen habe, wenn nicht das Beste.
    Weil vollständig zutreffend. Kann natürlich nur für mich sprechen. Aber der Artikel gibt mir persönlich sehr viel. Danke!

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  3. Das übliche Wohlfühl-Evangelium, dem möchte ich nur zwei Bibelaussagen entgegenstellen:

    Wer Jesus nachfolgen will muss sich selbst verleugnen und sein Kreuz auf sich nehmen (Matthäus 16,24)

    Alles, was wir erbitten, empfangen wir von Gott, weil wir seine Gebote halten und tun, was ihm gefällt.
    1.Johannes 3,22

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