Meinung

Was wäre, wenn es keine Kirche mehr gäbe?

Was wäre, wenn es keine Kirche mehr gäbe? Der Kabarettist und bekennende Christ Lutz von Rosenberg Lipinsky führt, mal mit passendem und mal mit hinderlichem Humor, durch ein Gedankenexperiment. Eine Rezension von Marc-Lukas Seidlitz
Von PRO
Kirchturm im Reschensee

Was wäre, wenn es keine Kirche mehr gäbe? Immer wieder hört man diese oder ähnliche Fragen in Gesprächen, wenn es wieder darum geht, dass die Kirche bald am Ende sei. Eigentlich eine interessante Frage, der sich der Autor des Buches „Petri heil“, Lutz von Rosenberg Lipinsky, widmet. Er selbst ist Musik-Kabarettist, Stand-Up-Comedian, Radiomoderator und Kolumnist, um nur einige seiner Qualitäten aufzuzählen. Von Rosenberg Lipinsky liebt seine Kirche, in seinem Buch kritisiert er trotzdem einige Punkte an ihr und spricht damit vielen Menschen, Christen und auch Nichtchristen, aus dem Herzen. Mit Witz, sehr umgangssprachlicher Schreibweise und etlichen Analogien zu Fußball und Politik versucht er, das Leseerlebnis aufzulockern, raubt seiner Kritik dadurch aber teilweise ihre Verständlichkeit, was während des Lesens für Verwirrung sorgen kann.

Auf insgesamt 13 Kapitel verteilt führt der Autor seine Kritik an katholischer und evangelischer Kirche aus. Schnell ist erkennbar, dass Wortspiele ein Markenzeichen von ihm sind: „Klerikalauer“, „Konfessionen und Konfetti“, „Auf sie mit Gebet“ sind nur ein paar Beispiele. Er ist eben Kabarettist. Dass er Theologie studiert hat, kommt im Buch auch zum Vorschein. So gibt er unter anderem eine Kurzzusammenfassung der Kirchengeschichte – immer wieder unterbrochen durch humoristische Anekdoten. Kerngedanke des Buches ist, dass sich die christliche Kirche in Zukunft umstrukturieren muss, da laut Forschungszentrum Generationenverträge im Jahr 2060 nur noch 29 Prozent der Bevölkerung Kirchenmitglieder sein werden. Quasi weg von Volkskirchenstrukturen, hin zum Hauskreis, wie der Autor schreibt.

Teils bekannte Kritik und verwirrende Passagen

Der Fokus seiner Kritik bezieht sich meist auf die Kirchengebäude und deren Ausstattungen. Sie sind zu pompös, zu dunkel, zu kalt, zu schlecht technisch ausgestattet, um in der heutigen Zeit noch Menschen anzulocken. Er kritisiert unter anderem aber auch die organisatorische Starrheit der beiden großen Kirchen. Sie würden oft Detailfragen, wie die Trinitätslehre, zu sehr durchdenken und damit die Lebenswelt der Menschen verfehlen. Wer schon verschiedene Kirchen besucht hat, wird das nachvollziehen können: Nicht alle sind bauliche Kulturgüter wie der Kölner Dom, manche besitzen keine Heizung und Sanitäranlagen und verfügen nur selten über eine adäquat eingerichtete technische Infrastruktur, wie der Autor ausführt.

Rosenberg Lipinsky: Petri heil Foto: Herder

Lutz von Rosenberg Lipinsky: „Petri heil. Christsein ohne Kirche“, Herder, 176 Seiten, 18 Euro

Auch kritisiert er die kirchliche (Orgel-)Musik als zu altmodisch und christlichen Rock oder Pop als sprachlich unausgereift. Als Beispiel dafür gibt er die Musikrichtung „Neues Geistliches Lied“ an, wofür unter anderem die „Feiert Jesus!“-Reihe für ihn steht. Das Lied „Jesus, berühre mich“ etwa und auch andere könnten durch eine doppeldeutige Schreibweise mitunter erotisch interpretiert werden. Daraus aber eine Aufforderung zu machen, dass Christen keine Rock- und Pop-Musik machen sollten, wie Von Rosenberg Lipinsky schreibt, scheint aber übertrieben. Oder war das mit einem Augenzwinkern gemeint?

Ähnlich wie hier stolpert man mitunter auch an anderen Stellen beim Lesen über Aussagen, die vielleicht humorvoll sein sollen, aber durch die polemische Art des Autors ihr Ziel verfehlen. Der Wechsel zwischen ernster Kritik, Hintergrundinformationen und lockernden Anekdoten ist teilweise uneindeutig und sorgt für Verwirrung. Beispielhaft dafür sind Aussagen zum Nutzen des Kirchturms, der vermutlich nur dafür da gewesen sei, um die Nachtruhe der Ungläubigen zu stören. Oder dass Jesus mit dem Missionsbefehl „Geht hinaus in alle Welt“ eigentlich nur Samaria gemeint habe, da die Israeliten meist nicht weit gereist seien und Samaria schon das Ende der Welt für sie gewesen sei.

Zu viele Ausschweifungen verderben den Brei

Die Schwierigkeit an dem Buch ist, dass der Lesefluss der Argumentation öfter von Anekdoten, Analogien und humoristischen Ausführungen unterbrochen wird. Das kann mitunter ermüdend sein und raubt einigen guten Kritik-Punkten ihre Schärfe. Es entsteht ab und an der Eindruck, als ob der Autor sein Buch geschrieben hätte, wie ihm die Gedanken kamen: spontan. Dabei nehmen Ausschweifungen einen großen Teil der 176 Seiten ein und die richtig treffenden Kritikpunkte und Gedankenanstöße werden an das Ende eines jeden Kapitels in kleine „Info-Boxen“ verbannt. Dabei könnte man zu der Frage „Wie sieht Glaube ohne Kirche aus?“ wirklich viel Inhaltliches schreiben – ohne dabei auf auflockernde Anekdoten zu verzichten.

Nicht alle Gedankenanstöße in dem Buch sind unbedingt neu und revolutionär: „Kirchencontent“ sei zu altmodisch, die Kirche müsse aktuelleren „Content“ liefern; Kirchengebäude könnten für Konzerte genutzt werden; ohne Kirche stünden Gläubige nicht unter Rechtfertigungsdruck für die Kreuzzüge. All das sorgt beim Leser dafür, über diese Punkte genauer nachzudenken und sich kritisch mit der aktuellen Organisation der Kirche auseinanderzusetzen. Laut von Rosenberg Lipinsky sollte sich die Kirche wegbewegen vom pompösen, entfernten Heiligen-Christsein und hin zum menschlichen Hauskreis. Er lässt offen, wie das geschehen soll und was danach kommt. Das Buch ist eher „Stein des Anstoßes“ und weniger Reformkonzept. Fazit: Das Buch ist nicht vergleichbar mit den 95 Thesen Luthers – diesen Anspruch hat es auch nicht – oder einer tiefschürfenden kritischen Analyse, für ein gehaltvolles Gespräch am Stammtisch reicht es aber. Das Buch regt auf, verwirrt, bringt zum schmunzeln, regt zum Nachdenken an.

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