„Warum meldet sich meine Kirche nicht?“

Markus Wiesenberg hat erforscht, wie Kirche kommuniziert. Im Gespräch mit pro erklärt er, was Kirche ändern muss, damit der Kontakt zu den Menschen nicht abreißt.
Von PRO
Kirche verliert zunehmend ihre Verbindung zu den Menschen. Mit guter Kommunikation könnte sie Brücken schlagen.

pro: Herr Wiesenberg, C.S. Lewis hat einmal gesagt: „Wenn das Christentum falsch ist, ist es bedeutungslos; wenn es stimmt, ist es von unendlicher Bedeutung. Was es nicht sein kann: ein bisschen wichtig.“ Müsste es nicht ziemlich einfach sein, ein Produkt mit unendlicher Bedeutung an den Mann zu bringen?

Markus Wiesenberg: Der philosophische Kern von Lewis’ Satz stimmt. Aber wenn dies auf die aktuelle Realität trifft und damit auf eine geringe Nachfrage, stoßen wir auf das Spannungsfeld, dass Religion in der westlichen Welt nicht mehr so stark verankert ist. Daher steht die Kirche vor der großen Herausforderung, dass sie überhaupt gehört wird. In einer zunehmend säkularisierten Welt ist es schwieriger für Kirche, in der Medienwelt durchzudringen. Denn auch Algorithmen sind hier ja nicht neutral in der digitalen Medienwelt.

Sie schreiben: „Es wird deutlich, dass mit einer De-Institutionalisierung der christlichen Institutionen bzw. einem Rückgang der Kirchenbindung die Frage nach einem christlichen Mehrwert für alle zum Beispiel durch die Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen TV und Rundfunk, zumindest kritisch zu betrachten ist.“ Was bedeutet das?

Die Volkskirche ist eigentlich insofern keine Volkskirche mehr, als sie eben für große Teile der Bevölkerung keine Rolle mehr spielt. Inwiefern ein Anspruch der Kirchen auf Verkündigungssendungen in TV und Rundfunk weiterhin gesellschaftlich legitimierbar bleibt, wenn die Mehrheit der Gesellschaft nicht mehr kirchlich gebunden ist, wird in Zukunft diskutiert werden.

Bedeutet das, dass Kirche Ihrer Ansicht nach zu viel in den Medien vorkommt?

Das bedeutet erstmal nur, dass sich die Kommunikation der Kirche ändern muss und man sich stärker auf die Eigenmedien konzentrieren sollte. Mit klassischen Pressemitteilungen werden Kirchen weniger durchkommen: Früher wurden ganze Textpassagen von Predigten abgedruckt – auch in überregionalen Printmedien. Das gibt es immer seltener. Entsprechend haben sich auch Pressemit­teilungen geändert, sodass die christliche Botschaft nicht mehr der entscheidende Kern ist. Das ist schade für die christliche Botschaft an sich, aber es ist noch nie Aufgabe von säkularen Medien gewesen, christliche Botschaften zu verbreiten. Solange es noch eine christliche Mehrheitsgesellschaft gab, war es aus Sicht der Medien noch ein Nachrichtenwert. Aber das scheint immer weniger der Fall zu sein. Das ist aus christlicher Perspektive zu bedauern. Für die Kirchen bedeutet es, dass der Weg zur Direktkommunikation sinnvoller und ein konsequenter Schritt ist. Jedoch tut man sich hier derzeit noch schwer und probiert das ein oder andere eher halbherzig aus.

Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die EKD-YouTuberin Jana Highholder?

Wenn Sie sich die Logik von Influencern anschauen, sind das erstmal diejenigen, die ein persönliches Interesse daran haben, Einfluss zu gewinnen. Ich habe den Eindruck, dass die Kirche das ein bisschen okkupieren will. Bei der Zusammenarbeit von Influencern und Unternehmen buchen sich Unternehmen bei Influencern ein. Bei der Kirche ist das eher so eine Art Influencer-Relation, also eine gegenseitige Beziehung. Die Frage ist letztlich, ob das, was Jana Highholder macht, am Ende auf die Evangelische Kirche zurückfällt und ob es insofern strategisch eingesetzt ist. Das sehe ich in diesem Fall eher nicht.

„Es gibt keine Blaupause für Kirche, wie sie kommunizieren muss, damit es am Ende zum Erfolg wird.“

Warum haben Sie begonnen, sich mit kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit zu beschäftigen?

Ich bin in der Evangelischen Kirche aufgewachsen und habe dort in der Jugendarbeit angefangen, Öffentlichkeitsarbeit zu machen. Ich bin also über die Kirche zur Öffentlichkeitsarbeit gekommen und habe dann bei Unternehmen und Non-Profits PR und Marketing gemacht. Mit dem Thema kirchliche Öffentlichkeitsarbeit habe ich mich dann im Studium wieder beschäftigt; was dann Anlass für die Promotion zur strategischen Ausrichtung der gesamten Kirchenkommunikation war.

Sind Sie gläubig?

Ja, ich würde mich durchaus als gläubigen Christen bezeichnen.

Welche Kirchenaktion hat Sie zuletzt überzeugt oder gar begeistert?

Das Bistum in Köln hat zur Computerspiele-Messe Gamescom im vorletzten Jahr den Dom mit Lichtinstallation und Virtual Reality ausstaffiert. Das hat auch viele junge Menschen wieder einmal in eine Kirche geführt. Auch die Kampagnen der EKHN (Evangelische Kirche in Hessen und Nassau) wie „Die Bibel auf einem Bierdeckel“ erscheinen mir sehr zeitgemäß und von der Zielgruppe her gedacht.

Welche Ideen haben Sie für Gemeinden, die ihre Öffentlichkeitsarbeit verbessern möchten?

Ich berate ja auch Gemeinden und wir klären immer zunächst die grundlegenden Fragen: Wer sind wir als Gemeinde und was zeichnet uns besonders aus? Wer sind unsere Gemeindemitglieder und was sind unsere Ziele? Wen wollen wir erreichen? Dann muss man Ehrenamtliche finden, die Spaß daran haben, in dem Bereich aktiv mitzuarbeiten. Wenn das Team steht, kann man aus dem Leitbild und den Zielen sowie Zielgruppen konkrete Kommunikationsmaßnahmen einleiten und dafür Ziele setzen, die man in regelmäßigen Abständen überprüft. Zum Beispiel machen wir eine Leserbefragung zum Gemeindebrief: Von wem wird der Gemeindebrief analog gelesen? Wer möchte lieber einen Newsletter digital?

Auf welchen Social-Media-Kanälen sollten Gemeinden aktiv sein?

Gemeinden müssen die Kanäle nutzen, wo ihre Mitglieder unterwegs sind. Ich empfehle keinen blinden Aktionismus, sondern strategisches Herangehen: Wenn keiner aus der Gemeinde bei Instagram aktiv ist, brauche ich den Kanal nicht. Ich muss nicht Facebook machen, nur weil es scheinbar alle machen, wenn die Mitglieder es nicht nutzen und das nicht aktiv unterstützen – also als Botschafter Inhalte teilen. Das muss ich zunächst herausfinden. Dazu kommt: Diese Kanäle kann man nicht kontrollieren und sie sind nicht statisch, sondern sie leben vom Austausch und der Interaktion. Überregional und insbesondere national müssen Protestanten und Katholiken überall präsent sein. Denn der Auftrag ist ja klar: Gehet hin in alle Welt.

Und die Freikirchen?

Freikirchen haben als Bünde kaum Ressourcen, um die Kommunikation strategisch anzugehen. Deshalb werden sie auch nicht wahrgenommen oder sogar als Sekten oder Fundamentalisten gebrandmarkt. Entsprechend findet Kommunikation in der Regel nur lokal auf Gemeindeebene statt. Das bewegt sich aber bis auf wenige Ausnahmen unter der Wahrnehmungsschwelle.

Welches sind die größten Herausforderungen von Kirchenkommunikation heute?

Dass man überhaupt einen strategischen Ansatz findet und dass man Leute involviert, die Erfahrung im Kommunikationsmanagement haben. Für die kirchliche Publizistik bedeutet es, dass sie Mitglieder stärker einbinden sollte, beispielsweise durch Online-Foren. Eine große Herausforderung stellen zudem die Ressourcen für Kommunikation sowie die Ausbildung der Pfarrerschaft dar.

Warum haben Sie begonnen, sich mit kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit zu beschäftigen?

Ich bin in der Evangelischen Kirche aufgewachsen und habe dort in der Jugendarbeit angefangen, Öffentlichkeitsarbeit zu machen. Ich bin also über die Kirche zur Öffentlichkeitsarbeit gekommen und habe dann bei Unternehmen und Non-Profits PR und Marketing gemacht. Mit dem Thema kirchliche Öffentlichkeitsarbeit habe ich mich dann im Studium wieder beschäftigt; was dann Anlass für die Promotion zur strategischen Ausrichtung der gesamten Kirchenkommunikation war.

Sind Sie gläubig?

Ja, ich würde mich durchaus als gläubigen Christen bezeichnen.

Welche Kirchenaktion hat Sie zuletzt überzeugt oder gar begeistert?

Das Bistum in Köln hat zur Computerspiele-Messe Gamescom im vorletzten Jahr den Dom mit Lichtinstallation und Virtual Reality ausstaffiert. Das hat auch viele junge Menschen wieder einmal in eine Kirche geführt. Auch die Kampagnen der EKHN (Evangelische Kirche in Hessen und Nassau) wie „Die Bibel auf einem Bierdeckel“ erscheinen mir sehr zeitgemäß und von der Zielgruppe her gedacht.

Welche Ideen haben Sie für Gemeinden, die ihre Öffentlichkeitsarbeit verbessern möchten?

Ich berate ja auch Gemeinden und wir klären immer zunächst die grundlegenden Fragen: Wer sind wir als Gemeinde und was zeichnet uns besonders aus? Wer sind unsere Gemeindemitglieder und was sind unsere Ziele? Wen wollen wir erreichen? Dann muss man Ehrenamtliche finden, die Spaß daran haben, in dem Bereich aktiv mitzuarbeiten. Wenn das Team steht, kann man aus dem Leitbild und den Zielen sowie Zielgruppen konkrete Kommunikationsmaßnahmen einleiten und dafür Ziele setzen, die man in regelmäßigen Abständen überprüft. Zum Beispiel machen wir eine Leserbefragung zum Gemeindebrief: Von wem wird der Gemeindebrief analog gelesen? Wer möchte lieber einen Newsletter digital?

Auf welchen Social-Media-Kanälen sollten Gemeinden aktiv sein?

Gemeinden müssen die Kanäle nutzen, wo ihre Mitglieder unterwegs sind. Ich empfehle keinen blinden Aktionismus, sondern strategisches Herangehen: Wenn keiner aus der Gemeinde bei Instagram aktiv ist, brauche ich den Kanal nicht. Ich muss nicht Facebook machen, nur weil es scheinbar alle machen, wenn die Mitglieder es nicht nutzen und das nicht aktiv unterstützen – also als Botschafter Inhalte teilen. Das muss ich zunächst herausfinden. Dazu kommt: Diese Kanäle kann man nicht kontrollieren und sie sind nicht statisch, sondern sie leben vom Austausch und der Interaktion. Überregional und insbesondere national müssen Protestanten und Katholiken überall präsent sein. Denn der Auftrag ist ja klar: Gehet hin in alle Welt.

Und die Freikirchen?

Freikirchen haben als Bünde kaum Ressourcen, um die Kommunikation strategisch anzugehen. Deshalb werden sie auch nicht wahrgenommen oder sogar als Sekten oder Fundamentalisten gebrandmarkt. Entsprechend findet Kommunikation in der Regel nur lokal auf Gemeindeebene statt. Das bewegt sich aber bis auf wenige Ausnahmen unter der Wahrnehmungsschwelle.

Welches sind die größten Herausforderungen von Kirchenkommunikation heute?

Dass man überhaupt einen strategischen Ansatz findet und dass man Leute involviert, die Erfahrung im Kommunikationsmanagement haben. Für die kirchliche Publizistik bedeutet es, dass sie Mitglieder stärker einbinden sollte, beispielsweise durch Online-Foren. Eine große Herausforderung stellen zudem die Ressourcen für Kommunikation sowie die Ausbildung der Pfarrerschaft dar.

Markus Wiesenberg, Jahrgang 1986, ist Postdoc am Lehrstuhl für Strategische Kommunikation am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig und selbständiger Kommunikationsberater. Bereits vor und während des Studiums der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sammelte er Erfahrungen in den Bereichen kirchliche PR und Journalismus, Unternehmenskommunikation, Marketing und Wirtschafts-PR. Foto: privat
Markus Wiesenberg, Jahrgang 1986, ist Postdoc am Lehrstuhl für Strategische Kommunikation am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig und selbständiger Kommunikationsberater. Bereits vor und während des Studiums der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sammelte er Erfahrungen in den Bereichen kirchliche PR und Journalismus, Unternehmenskommunikation, Marketing und Wirtschafts-PR.

Sie kritisieren, dass Theologen in ihrer Ausbildung nicht lernen, strategisch zu kommunizieren. Was würden Sie gern ändern?

Die Pfarrerschaft sollte ein Grundverständnis von Kommunikation und Medien erhalten. Sie sollten sich ausführlich mit Kommunikations- und Medienwissenschaft beschäftigen. Gerade weil wir sehen, dass Medien zunehmend die Gesellschaft verändern. Kommunikation findet immer mehr durch digitale Medien statt. Deswegen muss ich die grundlegenden Ansätze von Kommunikation kennen und ein Verständnis von unterschiedlichen Medien sowie deren Wirkung haben.

Wozu brauchen sie konkret solche Kenntnisse?

Denjenigen, die in den Pfarrdienst gehen wollen, muss klar sein, dass sie Personen des öffentlichen Lebens sind und ihre Aussagen auch ein mediales Echo erzeugen können. Sie müssen wissen, was sie zu tun haben, wenn Presse­anfragen kommen, und wie Krisenkommunikation erfolgreich umgesetzt werden kann. Wie wichtig eine mit der Landeskirche abgestimmte Kommunikation ist und welche Rolle die unterschiedlichen Ebenen in der Kommunikation spielen. Das alles müssen Pfarrerinnen und Pfarrer nicht selbst machen, aber sie müssen wissen, was zu tun wäre und an wen sie sich zu wenden haben. Das gilt auch bei der Weiterbildung von Ehrenamtlichen in diesem Bereich.

Kirchen agieren auf verschiedenen Organisationsebenen. Welche kommunikativen Inhalte sollte zum Beispiel die EKD einzelnen Gemeinden bereitstellen?

Das Prinzip der Subsidiarität, wie es in der Katholischen Kirche stark betont wird, ist sehr sinnvoll: Jede Ebene soll das tun, was sie tun kann. Bei Einsparungsprozessen kann professionelle Öffentlichkeitsarbeit auf der lokalen Ebene häufig nicht mehr geleistet werden. Dann muss ich das auf der Dekanatsebene stärker in den Blick nehmen. Das bedeutet, man braucht auf Dekanatsebene mindestens eine halbe Stelle für Öffentlichkeitsarbeit, die auch die Gemeinden im Blick hat. In der Evangelischen Kirche ließe sich das gut mit der alle vier Jahre stattfindenden Supervision koppeln und diese nicht nur theologisch, sondern auch auf Kommunikationsebene durchführen.

Die Landeskirche beziehungsweise Bistümer sind die nächsthöhere Ebene. Hier kann man viele Dinge vordenken und sich überlegen: Wie können wir Gemeinden und Pfarreien so unterstützen, dass professionelle Kommunikation fast automatisch passiert? Ich muss Hilfsmittel zur Verfügung stellen, die Kirchengemeinden unkompliziert nutzen können. Die EKD vertritt ja primär die Landeskirchen auf der Bundesebene und zwischen EKD und den Gemeinden vor Ort gibt es nur wenige Schnittmengen.

Wie könnte das konkret aussehen?

Viele Landeskirchen bieten den Gemeinden Baukästen an, um eigene Webseiten zu erstellen. Das kann die Arbeit vor Ort vereinfachen. Wenn die Inhalte noch in eine gemeinsame Datenbank laufen, sodass auch lokale News es auf die Webseite der Landeskirche schaffen, dann ist es umso erfreulicher und spornt an. Darüber hinaus könnte man aus diesem Tool auch gleich den Gemeindebrief oder Newsletter erstellen. Durch Rahmenverträgen mit Agenturen und Druckereien spart man Geld und kann ebenfalls eine gewisse Professionalität erhalten. Die Landeskirchen müssen darüber hinaus Aus- und Weiterbildungsmodule bereithalten. Die EKD muss natürlich die großen Themen bespielen, beispielsweise durch den Ratsvorsitzenden. Hier sehe ich viel Bedarf: Wenn sich die Kommunikationsleiter besser abstimmen würden, könnten sie stärker und gemeinsam nach vorne gehen. Da gibt es noch viel zu wenig gemeinsame Standards unter den Landeskirchen.

Wie bewerten Sie die EKD-Ratsvorsitzenden der vergangenen Jahre im Hinblick auf ihre Medientauglichkeit?

Aus Sicht der Medientauglichkeit ist der aktuelle Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm ein Segen für die EKD. Frau Käßmann war und ist ebenfalls sehr medienaffin.

Und dennoch sind die Katholiken medial sehr viel präsenter als die Protestanten. Woran liegt’s?

Vor allem daran, dass sie in den vergangenen Jahren besonders durch das Missbrauchsthema medial sehr präsent waren. Außerdem gibt es bei den Katholiken die zentrale Figur des Papstes.

Sie schreiben: „In jenen Städten, in denen auf der Dekanats­ebene eine PR-Stelle vorhanden ist, gibt es signifikant mehr traditionell-innenorientierte und weniger wachstumsorientierte Kongregationen als dort, wo eine solche Stelle auf der Dekanatsebene nicht vorhanden ist.“ Wie erklären Sie diesen Widerspruch?

Die PR-Verantwortlichen auf der Dekanatsebene berichten häufig von einer sehr zähen und schwierigen Zusammenarbeit mit der Pfarrerschaft und machen dann häufig die Sachen lieber selber, als es sich mit der Pfarrerschaft zu verderben. Das scheint wiederum für die Gemeinden ein Signal zu sein, um sich diesbezüglich weiter zurückzuziehen. Die Dekanate sollten jedoch nicht die Arbeit einfach übernehmen, sondern die Gemeinden ebenfalls befähigen.

Der Kirche laufen die Menschen weg. Die jüngsten Mitgliederstatistiken zeigen, dass immer weniger Menschen dabei sind. Was kann Kirche dieser Entwicklung entgegensetzen?

Vor allem den Großkirchen laufen die Menschen nicht davon, sondern sie sterben weg. Dass zu wenig nachkommen, ist auch eine demografische Geschichte. Nichtsdestotrotz muss sich Kirche stärker auf unterschiedliche Zielgruppen einstellen, ohne die Stammmitglieder abzuschrecken. Also einerseits beispielsweise stärker auf jüngere Familien zugehen und andererseits ältere Menschen nicht vernachlässigen. Sie sollte von Anfang an mit ihren Mitgliedern kommunizieren, und zwar an allen Lebenswendepunkten: Wenn ein Kind zum Beispiel in einem Krankenhaus in evangelischer Trägerschaft geboren wird, wo ist dann die Kirche? Inwiefern bekommen hier die Kinder schon etwas mit, das sie später daran erinnert, dass sie in einem evangelischen Haus geboren wurden? Wie wurde vor, während und anschließend mit den Eltern kommuniziert? Das Krankenhaus könnte sich zum ersten Geburtstag nochmal melden und ein Foto schicken. Wenn ich heutzutage Kunde oder Mitglied bei einer Organisation bin, melden die sich bei mir – ob es sich um den Handyvertragsanbieter, Versicherungen, Automobil- oder Sportverein handelt. Alle melden sich bei mir. Warum meldet sich meine Kirche nicht? Die Kirche muss in allen Lebensphasen auf die Menschen zugehen. Deswegen ist die Direktkommunikation mit den Mitgliedern heute so wichtig und wird in Zukunft noch viel wichtiger.

Vielen Dank für das Gespräch!

Sie kritisieren, dass Theologen in ihrer Ausbildung nicht lernen, strategisch zu kommunizieren. Was würden Sie gern ändern?

Die Pfarrerschaft sollte ein Grundverständnis von Kommunikation und Medien erhalten. Sie sollten sich ausführlich mit Kommunikations- und Medienwissenschaft beschäftigen. Gerade weil wir sehen, dass Medien zunehmend die Gesellschaft verändern. Kommunikation findet immer mehr durch digitale Medien statt. Deswegen muss ich die grundlegenden Ansätze von Kommunikation kennen und ein Verständnis von unterschiedlichen Medien sowie deren Wirkung haben.

Wozu brauchen sie konkret solche Kenntnisse?

Denjenigen, die in den Pfarrdienst gehen wollen, muss klar sein, dass sie Personen des öffentlichen Lebens sind und ihre Aussagen auch ein mediales Echo erzeugen können. Sie müssen wissen, was sie zu tun haben, wenn Presse­anfragen kommen, und wie Krisenkommunikation erfolgreich umgesetzt werden kann. Wie wichtig eine mit der Landeskirche abgestimmte Kommunikation ist und welche Rolle die unterschiedlichen Ebenen in der Kommunikation spielen. Das alles müssen Pfarrerinnen und Pfarrer nicht selbst machen, aber sie müssen wissen, was zu tun wäre und an wen sie sich zu wenden haben. Das gilt auch bei der Weiterbildung von Ehrenamtlichen in diesem Bereich.

Kirchen agieren auf verschiedenen Organisationsebenen. Welche kommunikativen Inhalte sollte zum Beispiel die EKD einzelnen Gemeinden bereitstellen?

Das Prinzip der Subsidiarität, wie es in der Katholischen Kirche stark betont wird, ist sehr sinnvoll: Jede Ebene soll das tun, was sie tun kann. Bei Einsparungsprozessen kann professionelle Öffentlichkeitsarbeit auf der lokalen Ebene häufig nicht mehr geleistet werden. Dann muss ich das auf der Dekanatsebene stärker in den Blick nehmen. Das bedeutet, man braucht auf Dekanatsebene mindestens eine halbe Stelle für Öffentlichkeitsarbeit, die auch die Gemeinden im Blick hat. In der Evangelischen Kirche ließe sich das gut mit der alle vier Jahre stattfindenden Supervision koppeln und diese nicht nur theologisch, sondern auch auf Kommunikationsebene durchführen.

Die Landeskirche beziehungsweise Bistümer sind die nächsthöhere Ebene. Hier kann man viele Dinge vordenken und sich überlegen: Wie können wir Gemeinden und Pfarreien so unterstützen, dass professionelle Kommunikation fast automatisch passiert? Ich muss Hilfsmittel zur Verfügung stellen, die Kirchengemeinden unkompliziert nutzen können. Die EKD vertritt ja primär die Landeskirchen auf der Bundesebene und zwischen EKD und den Gemeinden vor Ort gibt es nur wenige Schnittmengen.

Wie könnte das konkret aussehen?

Viele Landeskirchen bieten den Gemeinden Baukästen an, um eigene Webseiten zu erstellen. Das kann die Arbeit vor Ort vereinfachen. Wenn die Inhalte noch in eine gemeinsame Datenbank laufen, sodass auch lokale News es auf die Webseite der Landeskirche schaffen, dann ist es umso erfreulicher und spornt an. Darüber hinaus könnte man aus diesem Tool auch gleich den Gemeindebrief oder Newsletter erstellen. Durch Rahmenverträgen mit Agenturen und Druckereien spart man Geld und kann ebenfalls eine gewisse Professionalität erhalten. Die Landeskirchen müssen darüber hinaus Aus- und Weiterbildungsmodule bereithalten. Die EKD muss natürlich die großen Themen bespielen, beispielsweise durch den Ratsvorsitzenden. Hier sehe ich viel Bedarf: Wenn sich die Kommunikationsleiter besser abstimmen würden, könnten sie stärker und gemeinsam nach vorne gehen. Da gibt es noch viel zu wenig gemeinsame Standards unter den Landeskirchen.

Wie bewerten Sie die EKD-Ratsvorsitzenden der vergangenen Jahre im Hinblick auf ihre Medientauglichkeit?

Aus Sicht der Medientauglichkeit ist der aktuelle Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm ein Segen für die EKD. Frau Käßmann war und ist ebenfalls sehr medienaffin.

Und dennoch sind die Katholiken medial sehr viel präsenter als die Protestanten. Woran liegt’s?

Vor allem daran, dass sie in den vergangenen Jahren besonders durch das Missbrauchsthema medial sehr präsent waren. Außerdem gibt es bei den Katholiken die zentrale Figur des Papstes.

Sie schreiben: „In jenen Städten, in denen auf der Dekanats­ebene eine PR-Stelle vorhanden ist, gibt es signifikant mehr traditionell-innenorientierte und weniger wachstumsorientierte Kongregationen als dort, wo eine solche Stelle auf der Dekanatsebene nicht vorhanden ist.“ Wie erklären Sie diesen Widerspruch?

Die PR-Verantwortlichen auf der Dekanatsebene berichten häufig von einer sehr zähen und schwierigen Zusammenarbeit mit der Pfarrerschaft und machen dann häufig die Sachen lieber selber, als es sich mit der Pfarrerschaft zu verderben. Das scheint wiederum für die Gemeinden ein Signal zu sein, um sich diesbezüglich weiter zurückzuziehen. Die Dekanate sollten jedoch nicht die Arbeit einfach übernehmen, sondern die Gemeinden ebenfalls befähigen.

Der Kirche laufen die Menschen weg. Die jüngsten Mitgliederstatistiken zeigen, dass immer weniger Menschen dabei sind. Was kann Kirche dieser Entwicklung entgegensetzen?

Vor allem den Großkirchen laufen die Menschen nicht davon, sondern sie sterben weg. Dass zu wenig nachkommen, ist auch eine demografische Geschichte. Nichtsdestotrotz muss sich Kirche stärker auf unterschiedliche Zielgruppen einstellen, ohne die Stammmitglieder abzuschrecken. Also einerseits beispielsweise stärker auf jüngere Familien zugehen und andererseits ältere Menschen nicht vernachlässigen. Sie sollte von Anfang an mit ihren Mitgliedern kommunizieren, und zwar an allen Lebenswendepunkten: Wenn ein Kind zum Beispiel in einem Krankenhaus in evangelischer Trägerschaft geboren wird, wo ist dann die Kirche? Inwiefern bekommen hier die Kinder schon etwas mit, das sie später daran erinnert, dass sie in einem evangelischen Haus geboren wurden? Wie wurde vor, während und anschließend mit den Eltern kommuniziert? Das Krankenhaus könnte sich zum ersten Geburtstag nochmal melden und ein Foto schicken. Wenn ich heutzutage Kunde oder Mitglied bei einer Organisation bin, melden die sich bei mir – ob es sich um den Handyvertragsanbieter, Versicherungen, Automobil- oder Sportverein handelt. Alle melden sich bei mir. Warum meldet sich meine Kirche nicht? Die Kirche muss in allen Lebensphasen auf die Menschen zugehen. Deswegen ist die Direktkommunikation mit den Mitgliedern heute so wichtig und wird in Zukunft noch viel wichtiger.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dieser Text erschien zuerst in der Ausgabe 5/2019 des Christlichen Medienmagazinr pro. Sie können die pro hier bestellen.

Die Fragen stellte Stefanie Ramsperger

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