Vom Kneipenkönig zum Diener Gottes

Er prügelte sich als Hooligan und versuchte, seine Trauer mit Alkohol wegzuspülen – bis sein Leben eine Wendung nahm. Daniel Schmidt nimmt PRO mit in seine spannende und bewegende Reise zum Glauben.
Von Petra Kakyire

Daniel Schmidt sitzt im Auto und kann seine Tränen nicht mehr zurückhalten. 20 Minuten lang weint er sich die Seele aus dem Leib. Für ihn hat das Weinen jedoch nichts mit Leid zu tun, sondern mit einem „befreienden Auflösen“, wie er später sagen wird. In diesem Moment habe alles Sinn ergeben. Langsam weichen die Tränen einem Lächeln. Für Daniel wird nun alles klar. Er sieht vor seinem geistigen Auge jeden Gräuel, jede Wut, die er einst für Menschen hatte, und all die Menschen, die ihm Böses angetan hatten. Diese negativen Emotionen sind plötzlich verschwunden. Dieser Moment ist eine bedeutende Wende im Leben des Betriebswirts vom „Elbschlosskeller“. Die Entscheidung für Jesus stellt das Leben des Kneipenchefs von jetzt an völlig über den Kopf. 

Schmidts Kneipe liegt an einem der berüchtigtsten Orte der Republik. Bunte Lichter, Clubs in jeder Ecke, Theater- und Musicalhäuser, zahlreiche Kneipen: Die Reeperbahn im Rotlichtviertel St. Pauli gilt mittlerweile als Szenenviertel, das von Touristen gerne besucht wird. Dort ist die „härteste Kneipe Deutschlands“, der Elbschlosskeller, dessen Wirt Daniel Schmidt ist. Für ihn ist das Lokal sein Zuhause, in dem er in seine Position als Geschäftsführer hineingewachsen ist – und wo er sogar familiäre Wurzeln hat: „Mein Opa hat ja hier schon gesoffen, meine Mutter hat meinen Vater hier kennengelernt.“ Mit 18 Jahren hat er angefangen, im Elbschlosskeller zu arbeiten.

Als Kind fühlt sich Schmidt ausgegrenzt. Sein Vater verdient zwar viel Geld, doch als Sohn eines Kiez-Wirtes erfährt der junge Daniel in der Schule viel Ablehnung. Um von anderen Menschen akzeptiert zu werden, will er der Klassenbeste sein. Zusätzlich brodeln in ihm Aggressionen. Später, bei den Hooligans, kann er seiner Wut freien Lauf lassen: Ich habe 75 Kämpfe für Hamburg gemacht und mich gegen die gefährlichsten Männer Deutschlands hart auf der Wiese geprügelt.

An jeder Ecke Erinnerungen

Wer die härteste Kneipe Deutschlands kennt, der kennt auch Daniel Schmidt. Er trägt eine dunkle Lederweste, Sneakers und ist voll tätowiert. Von außen wirkt er hart, unnahbar und selbstsicher.  Im Inneren ist Schmidt eine freundliche, sympathische und hilfsbereite Seele. Ihn näher kennenzulernen heißt auch, seine Liebe zu Menschen und seinen tiefsten Erlebnissen zu begegnen. In seinen Kiez-Touren, die er mit seiner Kollegin führt, spricht er über gesellschaftliche Tabu-Themen und die Geschichte des Rotlichtviertels St. Pauli. „Wir wollen den Menschen mitgeben, dass der Kiez mehr ist als nur dicke Titten und bunte Lichter. Wir wollen denen das Viertel zeigen.“ Beide wollen den Kiez-Touris auf ihren Führungen zeigen, wie sich das Viertel über die Jahre entwickelt hat: Unterschiedliche Straßen, neue Häuser und Gebäude, die einst anders aussahen und jede einzelne Ecke von St. Pauli wecken in Daniel Erinnerungen. Er schlendert durch eine Gasse, da erinnert er sich an eines der schwierigsten Erlebnisse seines Lebens. Eins, das ihn von St. Pauli komplett trennte. Seine Schwester nahm sich das Leben. Für Schmidt stand die Welt komplett still. „Ich habe zwei Monate lang massiv gesoffen, weil ich nicht mehr in der Lage war zu arbeiten, mein Herz war zerrissen.“ Den letzten Wunsch seiner verstorbenen Schwester hat Daniel erfüllt: Er verließ das Nachtleben und machte in Schleswig-Holstein eine Ausbildung zum Zimmermann.

„Ich habe Jesus Christus für mich als meinen Herrn, als meinen Macker und meinen Gott angenommen.“

Doch irgendwann kehrte er zurück nach St. Pauli.  Dort überkam Schmidt eine dunkle Wucht an Herausforderungen, die ihn in alte Muster fallen ließen. Die Pandemie stellte das Leben von Schmidt komplett auf den Kopf. „Keiner wusste, was auf einen zukommt. Was ist, wenn die uns die Läden plündern?“ Zu dieser Zeit war ihm klar: „Die Obdachlosen wurden von der Stadt Hamburg vergessen. Die Schwächsten der Gesellschaft.“ Zusammen mit seiner Frau Susanne Horn versucht der 40-Jährige, eine Lösung zu finden. Die Erzählung darüber bewegt Daniel Schmidt noch heute. „Uns war klar, die können alle wegsterben.“ Er kämpft mit den Tränen, als er das erzählt.

Daniel erlebt, wie viele Menschen um ihn herum in der Pandemie sterben. „56 Menschen sind in den letzten vier Jahren gestorben. Ich habe damit angefangen, diese Menschen zu zählen, weil es so viele waren.“

 Zum anderen nagt der Tod seiner Schwester an ihn. Diese emotionale Last führt Schmidt wieder ins Rotlichtgeschäft. „Auf einmal gab es so viele Möglichkeiten, wieder im Rotlicht Fuß zu fassen. Die Verlockung war extrem groß“ – bis hin zum Tiefpunkt: „Da ist mir aufgefallen – du trinkst schon lange nicht mehr aus Geselligkeit. Du trinkst, um zu verdrängen.“ Diese Erkenntnis war für Schmidt der ausschlaggebende Punkt, um mit einer Trauerbewältigungstherapie zu beginnen. Der Beginn eines Neustarts für den Betriebswirt des Elbschlosskellers. Daniel blickt in diese Zeit mit Trauer und Freude zurück, die Therapie habe ihm sehr geholfen. Auch wenn sie hart war. Er beschreibt diese Phase seines Lebens als einen „Kampf zwischen Licht und Finsternis.“ Am tiefsten Punkt seines Lebens beschloss Daniel, sein Leben zu ändern. Aber wie? Und wohin? „Mein Onkel ist schon lange religiös und in der Gemeinde. Er hat immer die Hoffnung gehabt, dass ich irgendwie den Weg finde.“ Schmidts Onkel lädt ihn regelmäßig zu den Gottesdiensten in der „Susis Show Bar“ am St. Pauli ein. Irgendwann fand Daniel die Idee interessant und dachte sich: „Den Kontrast finde ich schön und die Kombination gut.“ Damals fand Daniel die Gottesdienste befremdlich, nicht negativ, aber „zu weit weg“. Gleichzeitig hat ihm die Ausstrahlung der Menschen und die Musik eines Gospelchors aus Hawaii gefallen. Schmidt entschied sich für einen Ausweg aus dem Trauer-Labyrinth: Er kontaktierte den sogenannten Kiez-Pastor, besuchte von dort an die Gottesdienste und entschied sich für Jesus Christus.

„Der Elbschlosskeller ist meine Gemeinde“

PRO begleitet Schmidt zu einem türkischen Restaurant in der Reeperbahn. Der Gang zu diesem Restaurant ist zu seiner täglichen Routine geworden. Hier holt der 40-Jährige Essen für seine Gäste im Elbschlosskeller. Heute kauft er eine Linsensuppe für einen Gast, dessen Geschichte ihn sehr bewegt. Viele seiner Gäste kennt der Betriebswirt sehr gut. Einige übernachten in der Bar. Für Manche habe er versucht, da zu sein, Probleme gemeinsam zu lösen und ihnen ein Vater, Seelsorger oder eine Stütze zu sein. Schmidt sieht die Geschichten der Menschen hinter dem Alkohol. Für ihn ist es seine Mission als Christ, den Menschen zu helfen. „Der da oben wollte, dass ich das mache, dass das meine Aufgabe ist.“ Auch seinen Glauben teilt er mit seinen Gästen. Er erzählt von seiner Begegnung mit dem Herrn und dass Gebet hilft. Einem Soldaten, der sich weinend Daniel mitteilte, riet er, sich mit dem Kiez-Pastor in Verbindung zu setzen.

Seinen Ruf als „harten Typ vom Kiez mit Tattoos“ will der Betriebswirt loswerden. Stattdessen will er für Nächstenliebe erkannt werden. Für Daniel Schmidt eine Befreiung. „Ich kann endlich so sein, wie ich wirklich bin, dadurch, dass ich Menschen helfe.“ Heute betet der Wirt regelmäßig. Er beginnt mit dem Vaterunser, dann betet er für seine persönlichen Anliegen, am Ende dankt er Gott. Gott spürt er vor allem in der Natur, zum Beispiel im Wald. Die Schöpfung ist für ihn pure Liebe und Kreativität. Mit Gott will er ganze Sache machen. Vor kurzem hat Daniel Schmidt sich taufen lassen. Er lächelt.

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