Versklavt im Namen Gottes – und des Profits

Vor 200 Jahren wurde die Sklaverei in Europa abgeschafft, Millionen Menschen waren zuvor jahrhundertelang aus Afrika verschleppt worden für den Profit der Europäer. Auch die Kirchen profitierten davon. Nun beginnt eine Kultur der Entschuldigung.
Von Jörn Schumacher
In zehn Bildern dokumentierte William Clark 1823, wie schwarze Sklaven auf der Karibikinsel Antigua Zuckerrohr anbauten, ernteten und verarbeiteten. Welch schwere körperliche Arbeit das war, wird auf den Bildern nicht deutlich. Tausenden Sklaven kostete sie das Leben.

Ich entschuldige mich für die Taten des niederländischen Staates in der Vergangenheit; über Jahrhunderte hinweg haben der Staat und seine Vertreter Sklaverei ermöglicht und angeregt und er hat von ihr profitiert.“ Im Dezember 2022 bat der niederländische Premierminister Mark Rutte um Entschuldigung für die Verbrechen der Sklaverei, die sein Land wie kaum ein anderes in Europa begangen hat.

Die Niederlande hatten im 16. und 17. Jahrhundert etwa 600.000 Afrikaner als Sklaven verschleppt, meistens in die Karibik und nach Südamerika. Die Sklaverei wurde dort formell im Jahr 1863 abgeschafft, es dauerte noch zehn weitere Jahre, bis die Praxis wirklich aufhörte.

In der Folge wuchsen die Vereinigten Niederlande zur größten Handels- und Wirtschaftsmacht des 17. Jahrhunderts heran. Die Tausenden Sklavenschiffe machten das „Goldene Zeitalter“ möglich, einen immensen Reichtum, dem wir die Hochkultur um Maler wie Rembrandt, Jan Vermeer und Frans Hals verdanken. Niemand, der heute lebe, trage noch persönlich Schuld an der damaligen Sklaverei, stellte Rutte fest.

Aber der Staat trage Verantwortung für das vielfache Leid, das die Sklaven und ihre Nachkommen erdulden mussten. Zeitgleich mit Ruttes Rede waren Minister in sieben Länder gereist, die ehemals Kolonien der Niederlande waren, in Südamerika und in der Karibik. Ein bedeutender Akt, wenn man bedenkt, dass der transatlantische Sklavenhandel nun schon seit mehr als 200 Jahren passé ist. Lange hatte Rutte sich gegen eine solche öffentliche Entschuldigung ausgesprochen, da die Spaltung in der niederländischen Gesellschaft in dieser Frage immer noch groß ist.

Auch Großbritannien verdankt seinen Reichtum zu großen Teilen einem imperialen System, das auf Sklaverei aufbaute. Die Kirche von England hat längst erkannt, dass auch sie maßgeblich von der Ausbeutung afrikanischer Menschen profitiert hat. Und beginnt mit einem Aufarbeitungsprozess.

Die Finanzverwaltung der Anglikanischen Kirche, die „Church Commission“, wacht über ein Vermögen von rund 8,3 Milliarden Dollar. Das Vermögen ging aus einem Fonds namens „Queen Anne’s Bounty“ hervor, der bis auf das Jahr 1704 zurückgeht. Im Jahr 2019 begannen die „Church Commissioners“ mit einer Durchforstung ihrer Archive zur Verstrickung des Kirchen-Fonds mit der Sklaverei. Vor wenigen Monaten wurde der Bericht fertig.

Dunkles Erbe jahrzehntelang ignoriert

Es scheint, als stehe der Prozess um die Aufarbeitung der dunklen Vergangenheit vieler heutiger Staaten und Organisationen noch ganz am Anfang. Die Schrecken des jahrhundertelangen Sklaventums und die Schuld sind an vielen Stellen vielleicht nie wirklich angegangen worden. Und ihre Folgen reichen noch heute tief in die Gesellschaft hinein – und das nicht nur in den Ländern der Opfer.

Als im Januar die Finanzverwaltung der anglikanischen Kirche ihren Bericht veröffentlichte, wurde klar: „Im 18. Jahrhundert investierte der ‚Queen Anne’s Bounty‘ eine größere Menge seines Geldes in die ‚South Sea Company‘, ein Unternehmen, das mit versklavten Menschen gehandelt hat. Er erhielt zudem mehrere Zuschüsse, von denen viele mit großer Wahrscheinlichkeit von Personen stammen, die vom transatlantischen Sklavenhandel oder der Arbeit auf den Farmen profitiert haben.“

Im Jahr 1777 enthielt der Fonds der „South Sea Company“ rund 440.962 Pfund, was nach heutigen Maßstäben rund 894 Millionen Euro entspräche. Die Kirche von England setzte mit ihrem Vermögen zu etwa 30 Prozent auf die Einnahmen dieses Unternehmens. Der Profit des kirchlichen „Queen Anne’s Bounty“ zwischen den Jahren 1708 und 1793 belief sich auf rund 1,5 Millionen Pfund – nach heutigen Maßstäben etwa drei Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die Einnahmen durch Spenden betrugen in jener Periode nur 14 Prozent des Kirchenvermögens.

Gegründet wurde die „South Sea Company“  1711 von einem Bankier und einem anonymen Baptisten. Auch die britische Regierung hatte ihren Anteil an der Gesellschaft. Die Handelsgesellschaft verschleppte in etwa 30 Jahren 34.000 Sklaven in „überfüllten, verdreckten, gefährlichen Schiffen und unter unmenschlichen Bedingungen“, wie es im Bericht heißt. Mindestens 96 Schiffsreisen mit Sklaven an Bord gab es in dieser Periode.

Die Autoren der Kirchenstudie bitten auch um Vergebung. „Jeder Mensch ist zum Bilde Gottes erschaffen, und Jesus lehrt uns, dass er kam, damit wir das Leben in Fülle haben“, schreiben sie, und weiter: „Sklaverei, die Menschen ihre Freiheit nimmt und sie ausbeutet für den eigenen Profit, war immer eine schändliche und furchtbare Sünde, und das wird sie immer sein.“

Am 11. Januar 2023 hat die Anglikanische Kirche umgerechnet etwa 115 Millionen Euro in Aussicht gestellt, die nun über einen Zeitraum von neun Jahren ausgezahlt werden an Gemeinschaften, die unter der Sklaverei zu leiden hatten. Ebenso soll von dem Geld Forschungsarbeit unterstützt werden, welche die Verbindungen der Kirche zur Sklaverei aufdeckt, in Diözesen, Kathedralen und Gemeinden.

Gareth Mostyn, Geschäftsführer der „Church Commissioners“, sagte in einem Radio-Interview der BBC: „Es besteht kein Zweifel daran, dass die Investoren damals wussten, dass die ‚South Sea Company‘ mit Sklaven gehandelt hat, und das ist ein Grund für uns heute, sich zu schämen, und wofür wir uns entschuldigen müssen.“

Der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, sagte bei der Veröffentlichung des Berichtes im Januar, es sei nun Zeit für die Kirche, die „beschämende Vergangenheit“ aufzuarbeiten. Der britische Historiker David Olusoga sagte gegenüber BBC: „Wenn man Vermögen aus der Vergangenheit erbt, erbt man damit auch immer Verantwortung – diese Tatsache hat man jahrzehntelang ignoriert.“

Gebrandmarkt mit Kirchen-Symbol

Eine Ausstellung sollte den guten Willen der Kirche von England unterstreichen. Unter dem Titel „Versklavung: Stimmen aus den Archiven“ zeigte die Anglikanische Kirche bis März dieses Jahres drei Monate lang in London unmittelbare Beweise für die Verknüpfung zwischen Kirche und Sklaverei. Zu sehen war etwa ein Brief, in dem eine unbekannte gläubige Sklavin aus Virginia 1723 an den „Erzbischof von London“ um Freiheit bat. Die amerikanische Autorin Desirée Baptiste hat vor kurzem ein Theaterstück zu diesem Buch geschrieben. „Sie schauen auf uns herab, als wären wir Hunde“, schrieb die Sklavin, und bat darum, dass wenigstens die Sklavenkinder in Freiheit aufwachsen und im christlichen Glauben erzogen werden können.

Ebenso erzählte die Ausstellung die Geschichte des „Codrington“-Anwesens auf Barbados. Die „Codrington Plantations“ waren zwei Plantagen für Zuckerrohranbau, die 1710 vom Besitzer der „Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts“ (SPG) vermacht wurden. Diese „Gesellschaft für die Verbreitung des Evangeliums in fremden Regionen“ wurde von der Anglikanischen Kirche gegründet, um Missionare und Lehrer in die neuen Kolonien zu entsenden.

Auf der Codrington-Farm arbeiteten Hunderte von afrikanischen Sklaven und sie galt als eine der brutalsten auf ganz Barbados. Die kirchliche Organsiation SPG wurde damit eine bedeutende Sklaven-Eigentümerin auf Barbados im 18. und frühen 19. Jahrhundert.

Viele Sklaven trugen ein Brandzeichen mit den Buchstaben SPG auf ihrem Körper – um ihnen das Fliehen zu erschweren. Vier von zehn Sklaven starben innerhalb von drei Jahren an Ruhr, Typhus und Erschöpfung, wie aus einem Bericht von 1740 hervorgeht. Im Jahr 1783 nutzte Bischof Beilby Porteus, ein früher Vorkämpfer für die Abschaffung der Sklaverei, die jährliche SPG-Predigt, um die Zustände auf den Codrington Plantations zu schildern, und rief die SPG dazu auf, ihre Verbindung mit dem Sklavenhandel aufzugeben.

Ab 1789 beantragte der anglikanische Politiker William Wilberforce im Parlament fast jedes Jahr die Abschaffung des Sklavenhandels. Nach 18 Jahren war er erfolgreich. Zwar war der Sklavenhandel verboten, doch Sklaverei gab es immer noch. Noch um 1820 arbeiteten 359 Sklaven auf der Codrington Plantage. Erst als 1833 in England der „Slavery Abolition Act“ in Kraft trat, wurden sie freigelassen. Die SPG wurde großzügig entschädigt, die freigelassenen Sklaven blieben land- und mittellos zurück. Die „Church Commissioners“ teilten mit, die SPG, die heute „United Society“ heißt, unternehme derzeit eigene Forschungen zu ihrer Sklaven-Geschichte.

Sklaven-Bibeln ohne Verweis auf Freiheit

Eines der erschütterndsten Zeugnisse der Verstrickungen zwischen Kirche und Sklaverei war in der Londoner Ausstellung ebenfalls zu sehen: eine äußerst seltene Ausgabe einer „Sklaven-Bibel“. Diese Bibeln hatte die Anglikanische Gesellschaft für Sklaven gedruckt, aus ihnen waren jedoch all jene Textstellen getilgt, die mit Freiheit zu tun hatten, damit die Sklaven nicht auf falsche Gedanken kamen. Die in London ausgestellte Sklaven-Bibel wurde im Jahr 1807 im Auftrag der „Society for the Conversion of Negro Slaves“ gedruckt, um afrikanische Sklaven zu erziehen – damit sie mehr Profit abwarfen. Das war drei Jahre nach dem Sklavenaufstand auf Haiti – offenbar hatte man Angst, dass so etwas erneut passieren könnte. Die Bibeln enthielten nur etwa 20 Prozent des Original-Textes.

Anthony Schmidt vom Bibel-Museum in Washington, D.C., erklärt: „Etwa 90 Prozent des Alten Testamentes fehlen darin, sowie 50 Prozent des Neuen Testamentes. Oder anders ausgedrückt: Es gibt in einer normalen protestantischen Bibel 1.189 Kapitel, in dieser Bibel gibt es nur 232.“ Passagen wie jene aus dem Galaterbrief fehlen: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ (Galater 3,28). Auch die Geschichte vom Exodus der Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten ließen die frommen Sklavenbetreiber weg. Die Geschichte von Josef jedoch, der in Sklaverei lebte, aber gehorsam war und aufstieg und das Ansehen seines Herrschers erlangte, ließ man im Buch.

Von diesen Bibeln, die für afrikanische Sklaven auf Jamaika, Barbados und Antigua gedacht waren, existieren heute nur noch drei Stück. Eine gehört der Fisk University in Nashville, die anderen beiden befinden sich in Großbritannien. Als die Sklaven-Bibel im Washingtoner Bibel-Museum ausgestellt war, habe es große Bestürzung unter den Besuchern ausgelöst, berichtet Schmidt. Für den Profit war man bereit, den christlichen Glauben zu pervertieren – besteht doch die Botschaft Jesu darin, dass Gott die Menschen frei machen will.

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