Theologe, Ex-Kirchenchef, Herzensmensch: Nikolaus Schneider ist 75

Nikolaus Schneider setze als Ratsvorsitzender auf seelsorgerliche Herzlichkeit. Mit der Sterbehilfe-Debatte wurde er lauter und politischer. Ein Porträt zum 75. Geburtstag.
Von PRO
Nikolaus Schneider tritt am 10. November als Ratsvorsitzender der EKD zurück

Als Ratsvorsitzender war er manchen zu leise, später, mit Beginn der Debatte über Suizidbeihilfe, war er vielen zu laut: Nikolaus Schneider wird am Samstag 75 Jahre alt. Sein Leben ist ein bewegtes – was seine Karriere angeht, aber auch privat. Seine Kirche hat er stärker geprägt, als während seiner Amtszeit klar war.

Schneider kommt am 3. September 1947 in Duisburg zur Welt. Nach dem Abitur studiert er in Wuppertal, Göttingen und Münster Theologie. 1976 wird er in seiner Geburtsstadt Duisburg als Pfarrer ordiniert. Der Arbeitersohn kämpft dort auch für den Erhalt der Arbeitsplätze in der Kohle- und Stahlindustrie. Schneider wird danach Diakoniepfarrer und später Superintendent im Kirchenkreis Moers.

Kein „Weiter so“ in Afghanistan

1997 wurde er Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland und 2003 zum Nachfolger von Manfred Kock als Präses der rheinischen Landeskirche gewählt. Dieses Amt hatte er bis 2013 inne. Nach Margot Käßmanns Rücktritt wurde er 2010 Vorsitzender des Rates der EKD. Dieses Amt gab er nach seinem Rücktritt 2014 an Heinrich Bedford-Strohm ab. Die Nachfolge Käßmanns anzutreten war für Schneider eine Herausforderung: Er, der immer eher seelsorgerlich auftrat, Nähe zu den Menschen suchte, den Ausgleich anstrebte, trat in die Fußstapfen einer der markantesten Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland. Käßmann eckte an, polarisierte, kämpfte auch für unpopuläre Positionen und artikulierte ihr Anliegen (laut)stark. Schneider wurde unerwartet ins Amt geworfen und prägte es durch Ruhe und Augeglichenheit. Nicht jeder rechnete ihm das hoch an.

Unpolitisch war Schneider deshalb nicht: Der Theologe kritisierte häufig die „soziale Kälte“ in Deutschland. 2010 unterzeichnete Schneider ein Kirchenwort mit. Darin warnte er, dass es kein bloßes „Weiter so“ in der Afghanistanpolitik und der deutschen Beteiligung am Krieg geben dürfe. Er gestand ein, dass es militärische Kraft brauche, „um für einen Raum zu sorgen, in dem sich dann anderes entwickeln kann“. Jedoch stellte er klar, dass Militär keinen Frieden schaffen könne.

2007 rief der Jubilar Muslime dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass Christen in der Türkei Kirchen bauen, Land erwerben und Vereinigungen bilden dürfen. 2009 erklärte Schneider, dass die Mission von Juden für Christen und Kirche nach heutigem Verständnis der Bibel verboten sei. Schneider positionierte sich auch in der Debatte um die Bedeutung von Jesu Kreuzestod. Der Tod Jesu sei nicht nötig gewesen, um eine angemessene Wiedergutmachung für die Verletzung der Ehre Gottes zu leisten. Der Theologe sprach sich gegen eine Interpretation des Sterbens Jesu als Sühneopfer aus. Jesus habe die Schuld zwar „mitgetragen“, aber nicht an unserer Stelle getragen. Damit widersprach er der in weiten Teilen der Christenheit vertretenen Lehre vom stellvertretenden Tod Jesu.

Den Tod mitten im Leben

Schneider ist seit 1970 verheiratet und Vater dreier Töchter. Seine jüngste Tochter Meike starb im Februar 2005 an Leukämie. Über das Leiden und den Tod seiner Tochter hat er mit seiner Frau Anne, die auch Theologin ist, ein Buch geschrieben. 2014 diagnostizierten die Ärzte bei Schneiders Frau eine Krebserkrankung. Darauf hin trat er von seinem Amt als Ratsvorsitzender der EKD zurück. Bei diesem Schritt sei er auf viel Verständnis gestoßen.

Schneider sagte einmal, dass er entscheidende Impulse für den Glauben als Konfirmand erhalten habe: „Erst danach habe ich mich taufen lassen.“ Der Tod der Tochter habe sichtbare Verletzungen hinterlassen: „Die Verletzung wird weniger, aber es bleiben Narben zurück. Wir lernen zu leben mit den Narben, sie machen uns aus, sie gehören zu uns und werden Teil unserer Persönlichkeit.“ Die Trauer hätte das Paar in das Leben integriert: „Und zwar so, dass sie uns stärkt – und nicht so, dass sie uns am Leben hindert.“

Bei aller Trauer lebe er in der Gewissheit von Gottes Versprechen, einmal alle Tränen abzuwischen: „Dennoch bleiben Fragen, die einem niemand beantworten kann. Ich denke, es gehört zu den Kennzeichen unserer beschränkten irdischen Existenz, dass wir Böses in der Welt kennen. Dass wir nicht alles begreifen können“, bekennt der Theologe. Sein Amt als EKD-Ratsvorsitzender habe ihm herausragende Möglichkeiten gegeben, über den Glauben zu reden und Zeugnis zu geben.

Debatte um Sterbehilfe

Wirklich laut wurde es um Schneider dennoch erst mit seinem Rücktritt 2014 und in der Zeit danach. Gemeinsam mit seiner derweil genesenen Frau Anne gab er dem Magazin Stern nach seinem Rücktritt ein Interview, in dem die beiden über ihre unterschiedlichen Positionen zum Thema Sterbehilfe stritten. Sie – damals noch schwer an Brustkrebs erkrankt – plädierte für eine mögliche Suizidbeihilfe. Schneider war dagegen, räumte aber ein, den Willen seiner Frau zu respektieren und den Weg der Suizidhilfe mit ihr zu gehen, wenn es denn unausweichlich wäre. Das Interview überrumpelte seine eigene Kirche, die sich bis dato kritisch zum Thema geäußert hatte.

Bis heute äußert sich Schneider immer wieder zum Thema, zuletzt erklärte er, Suizidbeihilfe sei für ihn in Extremfällen sogar in diakonischen Einrichtungen denkbar. Die Wogen zur EKD sind mittlerweile geglättet. Die amtierende EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus gratulierte Schneider am Samstag zum Geburtstag: „Du hast mit deiner großen menschlichen Wärme in einzigartiger Weise den Glauben unmittelbar verbunden mit den existenziellen Fragen des persönlichen Lebens und mit den großen Themen von Gesellschaft und Politik. Du zeigst dich berührbar und verletzlich und bist gerade darin stark.“

Von: Anna Lutz/Johannes Blöcher-Weil

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10 Antworten

  1. Herr Schneider lehnt das Sühneopfer Jesu ab! „Schneider positionierte sich auch in der Debatte um die Bedeutung von Jesu Kreuzestod. Der Tod Jesu sei nicht nötig gewesen, um eine angemessene Wiedergutmachung für die Verletzung der Ehre Gottes zu leisten. Der Theologe sprach sich gegen eine Interpretation des Sterbens Jesu als Sühneopfer aus. Jesus habe die Schuld zwar „mitgetragen“, aber nicht an unserer Stelle getragen. Damit widersprach er der in weiten Teilen der Christenheit vertretenen Lehre vom stellvertretenden Tod Jesu.“
    Die Kirche und die Welt ehrt einen Mann, einen „Theologen“, der sich ganz klar, gegen die biblische Wahrheit positioniert! Und die Christenheit schweigt!
    L.G. Martin Dobat

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  2. @M. Dobat
    In der Bibel gibt es ganz verschiedene Deutungen, warum Jesus sterben musste. In der Kirchengeschichte war das lange kein großes Thema, bis Anselm von Canterbury eine umfängliche Theorie ausarbeitete. (Klar war immer, dass der Tod Jesu zu unseren Gunsten zu deuten ist, aber es gibt verschiedene Erklärungen auch auf biblischer Ebene.)
    Eine Vulgärform der anselmschen Deutung findet sich heute in manchen konservativen Kreisen, die besagt: Gottes Ehre ist durch die Sünde beleidigt und um diese Beleidigung auszugleichen muss Blut fließen, deshalb hat Gott Jesus geopfert, um seinen Zorn zu befrieden und uns zu schonen.
    Diese Auffassung ist weder anselmisch noch biblisch, sondern schlicht eine grauenhafte Erzählung, die zu ein grauenhaften Gottesbild führt.
    Wie grauenhaft das Gottesbild ist, kann man an Ihren Internetvorträgen sehen, wo Sie den Holocaust als Liebeshandeln Gottes an seinem Volk deuten.
    Dass Gott bedingungslos vergeben kann, zeigt das Gleichnis vom verlorenen Sohn.
    Die Sühneopfervorstellung der Bibel muss auf dem Hintergrund der jüdischen Opfervorstellungen verstanden werden.
    Aber dazu müsste man sich eben mit der Bibel und ihrem Umfeld beschäftigen…
    MfG

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    1. ….was ich Ihnen dringendst empfehlen würde, @Carvalho. Ihre Umdeutungen biblischer Aussagen sind einfach nur verherend. Sie sind ein Opfer der Bibelkritik und ein Verbreiter derselben. Leider. Aber noch ist es nicht zu spät, um auf die richtige Spur zu kommen. Ich wünsche es Ihnen jedenfalls.

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      1. Vielen Dank! Da lasse ich mich sehr gerne von jemandem belehren, der von den historischen Bibelwissenschaften und der Bibelhermeutik und deren weitreichende Geschichte keinerlei Quellenkenntnisse hat, sich aber weitreichende Urteile anmaßt!
        Lassen Sie uns das gar nicht erst wieder anfangen, denn es macht keinen Sinn, mit Menschen zu diskutieren, die sich basalen Einsichten verschließen.
        Mit Verlaub: Wir spielen einfach in unterschiedlichen Ligen!

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          1. Ich nehme an, Sie meinen damit den Herrn Weber, der unablässig aus der Perspektive Gottes Urteile verkündet. Eine anmaßendere Position kann ich mir kaum vorstellen!
            MfG

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        1. Um an die biblischen Aussagen zu glauben, muss ich nicht Theologie studiert zu haben. mit den entsprechenden Fächern. Wer von uns beiden in der höheren Liga spielt hinsichtlich Erkenntnis biblischer Wahrheit, das ist mal noch nicht entschieden. Aber wenn Sie meinen… Ligen interessieren mich weniger, abgesehen von der Fußball-Bundesliga.

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  3. Ich verabschiede mich hiermit aus den Diskussions-Foren. Was ich erlebte bei meinen ständigen Kontrahenten, war Gehässigkeit. Ich habe einfach keine Lust mehr, darauf zu antworten. Das alles kostet auch viel Zeit, die ich dafür nicht mehr erübrigen möchte.
    Mein persönliches Bekenntnis ist das, was sicher auch die verstorbene Queen Elizabeth II. hätte mit mir gesprochen: „I know, that my redeemer liveth!“ Ich weiß, dass mein Erlöser lebt! Wie großartig vertont im „Messias“ von Georg Friedrich Händel, in England.

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    1. Sehr geehrter Herr Weber,
      jetzt mal unter Erwachsenen – mit verlaub -: Sie teilen aus, dass die Schwarte kracht (bis hin zur kaum verklausulierten Verfluchung – explizit und nachweislich mir gegenüber), und bei Gegenwind machen Sie einen auf Heulsuse. Diese Opfersuade ist ebenso unangemessen wie lächerlich!
      Ihnen alles Gute!

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  4. Sehr geehrte Redaktion,
    ich denke es ist an der Zeit, in diesem Forum eine Netiquette einzuführen. Selbstgerechte Mitchristen gibt es zu Hauf, aber bei persönlichen Angriffen sollte ein „Stopzeichen“ von Ihnen kommen, sprich Löschung.

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