Meinung

Predigt beim Feierabendbier

Titus Schlagowsky führte ein erfolgreiches Unternehmen, hinterzog dann Steuern, landete im Knast – und predigt heute in der Kneipe von der Liebe Jesu. Eine Rezension.
Von Nicolai Franz

Titus Schlagowskys Bibel trägt einen Stempel, der viel über seine Geschichte verrät: „Katholische Seelsorge JVA Koblenz“. Der Mann mit dem Rauschebart hat eine Haftstrafe verbüßt, und auch heute noch spürt er den Stempel, den er davon mitbekommen hat. „In gewisser Weise bin ich ein Bürger oder Mensch zweiter Klasse, und ich werde es bleiben“, schreibt er in seinem Buch „Der Kneipenpastor“. In die USA oder nach Kanada wird er nie fliegen können, auf der Bank braucht er ein sogenanntes „Pfändungsschutzkonto“. Aber: „Und gleichzeitig staune ich darüber, dass Gott lächelnd daneben steht und sagt: ‚Mit dem habe ich noch etwas vor.‘“

Schlagowskys Weg zum Kneipenpastor führte über viele Umwege. Er stammt aus der DDR, was man heute noch ein wenig an seiner Aussprache hört. Die ersten Seiten seines Buches beschreiben die Geschichte eines Ostdeutschen, der schließlich im Westen zum erfolgreichen Unternehmer wird – bis irgendwann Schwierigkeiten auftauchen und die Steuerfahndung zu Besuch kommt. Insgesamt 17 Mal, so Schlagowsky, schauen die Ermittler zwischen 2004 und 2011 bei ihm vorbei – und bringen ihn schließlich wegen Steuerbetrugs vor Gericht und in den Knast.

Im Gefängnis erwartet ihn eine neue, eine harte Welt, in der Männer keinen größeren Fehler machen können, als schwach zu wirken. Er erlebt schwere Kerle, die einem Pfandflaschendieb die Beine brechen, einen Serienmörder, der Strickmützen gegen Zigaretten verkauft – und zerbrechliche Männer, die draußen den harten Hund geben, aber in Schlagowskys Zelle um Seelsorge bitten.

Vom Häftling zum Prädikant

Schlagowsky selbst entrinnt nur knapp dem Suizid, als er plötzlich spürt, wie Gott in sein Leben eingreift – und zwar wie ein Vorschlaghammer, der ihn frontal am Kopf trifft, erinnert er sich. Er lernt Gottes Liebe und Vergebung kennen, und macht einen tiefen Wandel durch. Christliche Bücher stapeln sich in seiner Zelle, bei Häftlingen macht er sich durch zuvorkommende Gesten beliebt, etwa als er seine Eltern bittet, zwei Häftlingen ohne Angehörigen ebenfalls ein Weihnachtspäckchen zu packen.

Der Autor schildert anschaulich, was er im Knast alles erlebt hat, spart nicht mit Kritik an mangelnder Sinnhaftigkeit der Einrichtungen, driftet dabei aber nie in Bitterkeit ab. Eine gewisse Selbstironie und eine gehörige Portion begleiten ihn durchgängig – vielleicht auch Teil seines Rezeptes, die Knastzeit gut überstanden zu haben.

Als er freikommt, spricht ihn eine Zeitungsanzeige an. Er wird Prädikant, Seelsorger – und mehr oder weniger nebenbei zum „Kneipenpastor“, als er nämlich vor den Gästen seines eigenen Lokals eine Sonntagspredigt übt. Damit beginnt für Schlagowsky ein außergewöhnliches Projekt: Regelmäßig predigt er nicht nur in der Kirche, sondern auch vor seinem Tresen. Authentisch, bodenständig, alltagsrelevant. Es hören ihm nicht nur die üblichen Verdächtigen in den Kirchenbänken zu, sondern auch die, die einfach ihr Feierabendbier genießen wollen. Während der Pandemie dreht er Videos, die er bis heute weiter produziert.

„Der Kneipenpastor“ ist eine Ost-West-Biographie, eine Achterbahnfahrt eines Unternehmers und eine Knast-Story. Dieses Buch hat viele Facetten. Vor allem aber zeigt es eines: Wie Gott manchmal in genau den Momenten eingreift, in denen jede Hoffnung dahin ist. Zur Not auch mit dem Vorschlaghammer.

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