Präsident und Thora-Schüler: Javier Milei

Als der „Anarchokapitalist“ Javier Milei die Präsidentschaftswahlen in Argentinien gewann, war das für viele Beobachter ein Schock. Manche sehen darin auch eine Chance. Ein genauer Blick zeigt: Milei ist Katholik mit einem Faible fürs Judentum.
Von Jörn Schumacher
Javier Milei (2022)

Als nach der Stichwahl am 19. November 2023 feststand, dass der künftige Präsident Argentiniens Javier Milei heißen würde, war das eine Überraschung. Der 53-Jährige war bekannt geworden durch provokante Auftritte in Radio und Fernsehen, seine stets ungekämmten Haare brachten ihm den Spitznamen „La Peluca“ („Die Perücke“) ein, auch „Der Verrückte“ wurde er lange genannt. Im Wahlkampf zog er mit einer Kettensäge durchs Land, um die Zerstückelung des ineffizienten argentinischen Staates zu symbolisieren. Am 10. Dezember 2023 wird Milei vereidigt, seine Amtszeit wird bis zum 10. Dezember 2027 dauern.

Der Wirtschaftswissenschaftler hat einen besonderen Faible für Israel. Vor der Wahl kündigte er an, die argentinische Botschaft nach Jerusalem verlegen zu wollen – ein Zeichen dafür, einen anderen Blick auf die Politik dieses Landes zu haben als viele andere Staats- und Regierungschefs von Ländern, deren Botschaften in Tel Aviv liegen. Doch der Katholik Milei hat darüber hinaus eine besondere Beziehung zum Judentum.

Milei ist der Sohn eines Busfahrers, der sich später ein eigenes Transportunternehmen aufbaute. Der Vater habe ihn oft geschlagen, sagte Milei, guten Kontakt hatte er vor allem zu seiner Schwester, die auch heute noch seine engste Vertraute ist. Er hatte schon früh den Spitznamen „der Verrückte“, spielte in einer Coverband der Rolling Stones und war eher Einzelgänger. Bis heute ist Milei unverheiratet. Milei studierte Wirtschaftswissenschaften, arbeitete als Volkswirt bei einer Versicherung und bei einer Finanzberatung, unter anderem bei der Investmentbank HSBC. Dann hatte er an zwei Universitäten in Argentinien Professuren inne. Bekannt wurde Milei durch provokante Auftritte im Radio und im Fernsehen. Die „Neue Zürcher Zeitung“ beschrieb Milei als eine „Mischung aus Rumpelstilzchen und einem Rock’n’Roller“.

Milei ist Anhänger eines „Anarchokapitalismus“, demzufolge sich die Politik weitestgehend aus dem freien Mark heraushalten müsse für eine Prosperität aller. Der Politiker gründete 2021 die libertäre, konservative und ultrarechte Parteienkoalition „La Libertad Avanza“ (LLA). Zu den wichtigsten Zielen gehören ein möglichst minimalistischer Staat, der nur die allernötigsten Funktionen ausübt. Milei will umfassende Privatisierungen durchsetzen, den Peso durch den US-Dollar ersetzen, eine Liberalisierung des Waffenrechts und die Legalisierung von Marihuana-Konsum.

Versöhnung mit dem Papst

Der designierte Präsident spricht sich für die gleichgeschlechtliche Ehe aus und ist Anhänger der freien Liebe. Er lehne die Ehe ab, sagte er in einer Fernsehsendung, er wolle da „keine Vorschriften!“ Gleichzeitig befürwortet er ein striktes Abtreibungsverbot, selbst in Fällen von Vergewaltigungen. „Das Leben beginnt im Moment der Empfängnis und endet mit dem Tod“, sagte Milei. „Abtreibung ist Mord. Ich bin gegen Mord.“ In Argentinien ist ein freiwilliger Schwangerschaftsabbruch verboten, seit 1921 jedoch nach einer Vergewaltigung oder bei Lebensgefahr der Mutter erlaubt. Milei kündigte zudem an, das Frauenministerium und das Nationale Institut gegen Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus abzuschaffen. Acht von 18 Ministerien sollen aufgelöst werden, ebenso die Zentralbank des Landes.

Milei bezeichnet sich als Katholik, er lehnt allerdings die Autorität der römisch-katholischen Kirche ab. Im Wahlkampf bezog er immer wieder auch biblische Motive mit ein. Häufig lässt er ein Schofar-Horn blasen, das Symbol seiner Bewegung ist ein Löwenkopf, einer seiner Schlachtrufe lautete: „Ich bin nicht gekommen, um Lämmer zu führen, sondern um Löwen zu wecken.“ Wie der
„Spiegel“ berichtet, nennen sich die jugendlichen Aktivisten, die Milei unterstützen „Fuerzas del cielo“, zu Deutsch: „Kräfte des Himmels“. Ihr Name gehe auf einen von Milei gern verwendeten Bibelvers zurück, erklärt die Zeitschrift: „Denn der Sieg im Kampf liegt nicht an der Größe des Heeres, sondern an der Kraft, die vom Himmel kommt“ (1.Makkabäer 3,19).

In einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ kritisierte Milei 2022, dass sein Landsmann Papst Franziskus den Liberalismus ablehne und damit Armut fördere. Wenn jemand das Privateigentum in Frage stelle, könne die Wirtschaft eines Landes nicht wachsen. Der Wirtschaftswissenschaftler Jan Schnellenbach sagte in einem Interview mit CNA, Milei wolle zwar den Sozialstaat herunterfahren, er habe aber nichts gegen karitatives Engagement, da stehe er mit dem Papst auf einer Linie. „Der Unterschied ist aber, dass der Papst dies in Ergänzung zum Sozialstaat fordert, während Milei möchte, dass die private Initiative das staatliche Handeln ersetzt.“

Umgekehrt sprach Papst Franziskus in einem Fernsehinterview wenige Tage vor der Stichwahl – ohne Milei beim Namen zu nennen – von „messianischen Clowns“, die ihn an den Rattenfänger von Hameln erinnerten. Die argentinische Kirche hatte sich im Wahlkampf eindeutig gegen Milei positioniert.

Inzwischen scheint sich das Verhältnis zwischen Milei und dem Papst aber zu verbessern. Nach seiner Wahl zum Präsidenten kam es zu einem versöhnlichen Telefongespräch zwischen beiden. Franziskus gratulierte Milei zum Wahlsieg, der wiederum lud den Papst zu einem baldigen Besuch in seinem Heimatland ein. „Der Papst ist der wichtigste Argentinier der Geschichte“, sagte Milei im Interview der Zeitung „La Nacion“. Franziskus hat Argentinien nach seiner Wahl zum Papst im März 2013 nicht mehr besucht. Papst Franziskus hatte zudem kurz nach der Wahl einen Rosenkranz an den neuen argentinischen Präsidenten geschickt, wie das Büro Mileis über „X“ (ehemals Twitter) mitteilte.

Fan des Judentums

Milei sagte in einem Interview, er glaube an Gott. Der sei wie er selbst mit Sicherheit ein „Libertärer“, zeigt er sich überzeugt. Als er 2021 als Mitglied des argentinischen Parlaments vereidigt wurde, sprach Milei den Amtseid wie alle argentinischen Politiker und berief sich auf „Gott, das Land und die Evangelien“. Milei besuchte eine katholische Schule und behauptet, er habe immer an Gott geglaubt, sagte aber, dass er als Kind kein Interesse am Religionsunterricht hatte und diesen als „Belastung“ ansah.

Seit einigen Jahren befasst sich Milei intensiv mit dem orthodoxen Judentum. Wie die israelische Tageszeitung „Haaretz“ berichtet, erklärte der argentinische Rabbiner Fabián Skornik einmal, wie es dazu gekommen sein mag: Als Milei an der Universität Wirtschaftswissenschaften lehrte, sei ihm ein Student aufgefallen, der besonders intelligente Fragen stellte. Als er mehr über den Studenten wissen wollte, stellte sich heraus, dass er den Talmud studierte, was Milei offenbar so beeindruckte, dass er selbst mit dem Lesen jüdischer Schriften begann.

Der neue Präsident Argentiniens besucht regelmäßig den Leiter einer argentinisch-marokkanischen jüdischen Gemeinde mit Sitz in Buenos Aires, Axel Wahnish. Der Geistliche helfe ihm, die Welt ein bisschen besser zu verstehen, sagte Milei. Die jüdische Gemeinde des Landes ist mit 250.000 Mitgliedern eine der größten in Lateinamerika. Im September sagte Milei dem Fernsehsender „La Nacion“: „Ich gehe nicht in die Kirche, sondern in den Tempel. Ich spreche nicht mit einem Priester, ich habe einen Rabbiner. Ich studiere die Thora. Ich werde international als Freund Israels und als Thora-Schüler gesehen.“

Als Milei im November seine erste Auslandsreise nach seiner Wahl zum Präsidenten nach New York antrat, besuchte Milei das Grab von Menachem Mendel Schneerson, dem 1994 verstorbenen Führer der Lubawitsch-Bewegung. Vor der Wahl hatte Milei gesagt, dass dies ein Ort sei, den er als erstes nach seiner Wahl besuchen wolle, neben dem Land Israel. Auf die Frage, ob er zum Judentum konvertieren wolle, sagte Milei: „Ich bin ganz nah dran.“ Vor der Wahl hatte Milei in einem Interview mit der „Times of Israel“ gesagt, er werde „selbstverständlich“ die Botschaft nach Jerusalem verlegen. Er bewundere Israel, weil das Land es schaffe, „die geistliche Welt mit der wirklichen Welt zu kombinieren“.

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