Open-Doors-Chef Markus Rode:„Entscheidend ist der Kampf um die Kinder“

Die Situation von Christen weltweit hat sich laut Open Doors erneut verschlechtert. Open-Doors-Leiter Markus Rode sieht Bildung als wichtigsten Schlüssel im Kampf gegen diese Entwicklung. Im Hinblick auf Olympia in Peking richtet er eine klare Forderung an westliche Staaten.
Von Martin Schlorke
Markus Rode, Leiter von Open Doors

PRO: Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Weltverfolgungsindex?

Markus Rode: Im vergangenen Jahr hat die Intensität der Verfolgung nochmals zugenommen. Open Doors steht verfolgten Christen seit mehr als 65 Jahren in rund 70 Ländern mit Hilfsprojekten zur Seite. Aus diesem Netzwerk an Kirchen erfahren wir zusätzlich zu offiziellen Zahlen über die Anzahl der Christen im Land – inklusive Konvertiten – und auch, in welchem Ausmaß aktuell Christen verfolgt und diskriminiert werden. Dies geschieht außerdem mittels eines Fragebogens zu den verschiedenen Lebensbereichen: Privatleben, Familienleben, Leben in der Gesellschaft und im Staat und kirchliches Leben. Auch werden alle gemeldeten gewaltsamen Übergriffe dokumentiert. Jeder Lebensbereich wird dann entsprechend mit einer Punktzahl bewertet, die Gesamtpunktezahl ergibt den Platz auf dem Weltverfolgungsindex.

Wie haben sich die Zahlen im vergangenen Jahr entwickelt?

Die aktuelle Index-Punktezahl ist im Vergleich zu 2014 um 20 Prozent gestiegen. Insgesamt sind heute schätzungsweise 360 Millionen Christen mindestens einem hohen Maß an Verfolgung ausgesetzt – das sind 20 Millionen mehr als im Vorjahr. Außerdem stellen wir fest, dass dschihadistische Gruppierungen, vom Erfolg der Taliban beflügelt, Rückenwind haben. Eine weitere Erkenntnis ist, dass sich das chinesische Modell weltweit verbreitet.

Was meinen Sie mit dem „chinesischen Modell“?

Gemeint ist eine zentralisierte Kontrolle der Religion. China hat das in den vergangenen Jahren perfektioniert und versucht nun, das Internet für Kirchen und für Christen insgesamt zu sperren. Mittlerweile gibt es eine Genehmigungspflicht für religiöse Inhalte im Internet. Dafür muss man sich registrieren. Mit einer so engmaschigen Kontrolle soll der Glaube erstickt werden.

Was bedeutet das für die Christen im Land?

Für Christen gibt es im Moment nur eine einzige Option: Sich in kleine Gruppen aufspalten und sich im Untergrund treffen. Das ist die Zukunft der chinesischen Kirche. Auf der anderen Seite kann genau das zu noch mehr Multiplikation führen. Denn je kleinteiliger die Kirche wird, desto missionarischer wird sie. Das lernen wir schon in der Apostelgeschichte.

In wenigen Tagen beginnen die Olympischen Winterspiele in China. Wie sollten sich die westlichen Staaten im Hinblick auf die Christenverfolgung verhalten?

Die Weltöffentlichkeit ist der ideale Kanal, das Thema Religionsfreiheit und Menschenrechte anzusprechen. Das wird China überhaupt nicht gefallen, weil die Staatsführung genau das unterbinden will. Zudem würde diese Öffentlichkeit den Christen vor Ort helfen und sie ermutigen. Die Botschaft ist: „Wir haben euch nicht vergessen.“

Haben Sie den Eindruck, dass diese Öffentlichkeit in einem ausreichenden Maß vorherrscht?

Das ist bei weitem nicht der Fall. Und leider ist genau das eine Ermutigung für Staaten wie China. Sie merken, dass die sogenannten christlich orientierten Staaten sich für das Thema Christenverfolgung gar nicht so sehr interessieren.

Erstmals seit 20 Jahren ist Chinas Nachbarstaat Nordkorea nicht mehr auf Platz 1 des Weltverfolgungsindex’. Hat sich die Situation im Land verbessert?

Das Ranking erstellt Open Doors aufgrund eines Punkte-Index, der die Intensität der Verfolgung abbildet. Diese ist in Nordkorea weiter gestiegen. Die Situation im Land ist also noch schlechter als vor einem Jahr. Die scheinbare Verbesserung kommt nur durch die extrem schlechte Situation in Afghanistan zustande. In Nordkorea sollen Christen weiterhin ausgerottet werden. Im Vergleich zum Vorjahr gab es mehr Verhaftungen. Durch immer ausgeklügeltere technische Möglichkeiten werden zudem auch immer mehr Hausgemeinden entdeckt. Der Druck auf Christen wächst also weiter.

Was sind die Gründe für die „extrem schlechte“ Situation in Afghanistan?

Das liegt ganz klar an der Machtübernahme der Taliban. Als das westliche Militär im Land war, gab es eine gewisse, wenngleich nur sehr eingeschränkte Freiheit. In dieser Zeit gab es eine wachsende Kirche von Konvertiten in Afghanistan. Diese haben sich in kleinen Gruppen getroffen. Das ist heute nicht mehr möglich. Die Taliban machen gezielt Jagd auf Christen im Land. Ihnen droht als „Abgefallenen vom Islam“ die Todesstrafe. Deswegen sind viele in die Nachbarländer geflohen. Diese stehen allerdings auch auf dem Weltverfolgungsindex. Die Christen kommen also vom Regen in die Traufe, wenngleich die Taliban das größere Übel sind.

Was machen Christen, die nicht fliehen können?

Sie müssen sich anpassen, um nicht aufzufallen. Christliche Frauen verschleiern sich beispielsweise wieder. Männer lassen sich Bärte wachsen und besuchen wieder Moscheen. Sie müssen im Prinzip so tun, als ob sie absolut auf der Linie der Taliban wären. Viele Christen haben aus Angst ihre Handys weggeworfen, um jegliche Spuren zu vernichten.

Auch in anderen Ländern gibt es zum Teil umstrittene westliche Militärpräsenz. Droht bei Abzug ein ähnliches Szenario?

Leider ja. Die Erfahrung zeigt, dass ein Abzug von Schutzmächten ein Vakuum erzeugt. Islamisten versuchen das immer zu füllen. Das beste Beispiel dafür ist der Irak. Nach Abzug der US-Truppen hat sich die Terrorgruppe Islamischer Staat in der Region ausgebreitet und sein Kalifat ausgerufen. Das kann in anderen Regionen auch passieren.

Bereits seit Jahren fliehen Menschen aus Ländern wie Syrien, Afghanistan oder auch aus Afrika nach Europa. Rechnen Sie mit einer wachsenden Zahl christlicher Flüchtlinge?

Das ist bereits im vollen Gang. Vielen ist gar nicht bekannt, dass bereits zehntausende Christen auf der Flucht sind. Die Zahl wird wegen des zunehmenden Einflusses von Dschihadisten in Afrika weiter steigen. Die Frage ist allerdings, wohin die Christen fliehen sollen. Denn auch in Flüchtlingslagern, wie zum Beispiel in Libyen, erfahren Christen Gewalt; Frauen und Mädchen werden vergewaltigt. Da muss vor Ort mehr getan werden.

Wie könnte Hilfe konkret aussehen?

Entscheidend ist der Kampf um die Kinder. In den Ländern gibt es oftmals im Bildungsbereich viel nachzuholen. Die Frage ist also, welche Bildung, Ausbildung oder Beeinflussung die Kinder mitbekommen. Das ist uns ein großes Anliegen. Wir wollen christliche Schulen aufbauen und stärker unterstützen. Kinder sollen nicht im Sinne eines radikalen Islam, sondern mit christlichen Werten wie der Nächstenliebe erzogen werden.

Was kann der einzelne Christ in Deutschland tun?

Interessanterweise bitten verfolgte Christen nicht primär um humanitäre Hilfe. Vielmehr wünschen sie sich Gebet. Für sie ist das Wichtigste, im Glauben standhaft zu bleiben. Es ist wichtig, dass wir uns als Christen in Europa mit unseren verfolgten Geschwistern identifizieren. Wir alle sind Glieder des Leibes Christi.

Seit nunmehr zwei Jahren hält das Coronavirus die Welt in Atem. Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf die Christenverfolgung?

Zum einen können wir beobachten, dass Christen in Ländern, in denen sie verfolgt werden, von staatlichen Hilfen ausgeschlossen werden. In den Ländern der Subsahara wurden Christen in Dörfern durch Dschihadisten gezielt aufgesucht und getötet. Wegen der Lockdowns gab es kaum polizeiliche oder militärische Präsenz. Das hat es den Dschihadisten ziemlich leicht gemacht. Eine dritte Auswirkung der Pandemie können wir beispielsweise in Katar beobachten. Dort dürfen sich Christen auch nach Beendigung des Lockdowns nicht in Hauskirchen treffen.

Katar steht seit Jahren wegen der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit. Dennoch hat sich der Wüstenstaat im Weltverfolgungsindex um elf Plätze verschlechtert.

Ursache für diese Verschlechterung ist vor allem die Situation rund um die Hauskirchen. Davon gibt es über hundert im Land, die hauptsächlich von ausländischen Christen, die als Gastarbeiter im Land sind, besucht werden. Wegen der Pandemie werden Treffen in Hauskirchen weiterhin untersagt. Gleichzeitig sind Moscheen wieder für Gläubige geöffnet.

Gibt es auch Länder, in denen sich die Situation für Christen gebessert hat?

Wenn man sich die Platzierungen im Weltverfolgungsindex anschaut, dann hat sich die Türkei um 17 Plätze verbessert. Hinsichtlich des Drucks auf Christen hat sich aber grundsätzlich nichts verändert. Einzig ein Rückgang der dokumentierten Gewalttaten gegenüber Christen ist zu verzeichnen. Diese Entwicklung liegt aber daran, dass während der Lockdowns ein Versammlungsverbot herrschte – auch für Christen. Da Christen dadurch nicht mehr so sichtbar waren wie vor der Pandemie, gab es auch weniger Gewalttaten.

Vielen Dank für das Gespräch!

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4 Antworten

  1. „Wir wollen christliche Schulen aufbauen und stärker unterstützen“

    Ausgenommen ist doch hoffentlich Israel. Dort es nämlich verboten, Kinder zu einem anderem als dem einzig wahren jüdischen Glauben überreden zu wollen.

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  2. „Kampf um die Kinder“
    ist es nicht egoistisch von den Eltern, die Kinder Gefahren auszusetzen, indem sie ihnen vorzeitig eine religiöse Minderheitsideologie eintrichtern, bevor diese alt genug sind, dies selbst zu entscheiden?
    Religionsfreiheit gilt auch für Kinder!

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  3. Lieber Herr Salzburg, „Eine religiöse Minderheitsideologie eintrichtern“? Es geht in der Religionsfreiheit nicht um Ideologie, sondern um Glauben. Glauben heißt Vertrauen und Vertrauen lässt sich nicht „eintrichtern“. Es wäre gut, wenn Sie ihren Kampf gegen Ideologien gegen diese und nicht den christlichen Glauben richten.

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