Nordkorea: „Es gibt keine Veränderung zum Guten“

Seit nunmehr zehn Jahren herrscht Diktatur Kim Jong-un über Nordkorea. Im Interview mit PRO zieht der Vorstandsprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), Martin Lessenthin, Bilanz. Für die Zukunft des Landes sieht der Menschenrechtler wenig Hoffnung.
Von Martin Schlorke
Nordkorea

PRO: Vor zehn Jahren übernahm Kim Jong-un von seinem verstorbenen Vater die Herrschaft in Nordkorea. Wie fest sitzt er heute im Sattel?

Martin Lessenthin: Leider muss man sagen, dass er im negativen Sinne fest im Sattel sitzt. Er weiß nach wie vor um die Rückendeckung aus China und Russland. Diese beiden Länder sind die wichtigsten Schutzschilde für seine Herrschaft. Kim Jong-un ist ungefährdet.

Welches Interesse haben China und Russland am Status Quo in Nordkorea?

Bei beiden Ländern spielen geostrategische Überlegungen eine entscheidende Rolle. Wirtschaftliche Vorteile verspricht eine Partnerschaft mit Nordkorea dagegen kaum. Für China geht es beispielsweise darum, eine Wiedervereinigung Koreas und damit eine stärkere Mittelmacht zu verhindern. Also einen Staat mit Einfluss, der eine freie gesellschaftliche Ordnung mit demokratischen Spielregeln hat. Einen solchen Staat kann China in seiner unmittelbaren Nähe natürlich nicht gebrauchen.

Was sind weitere Gründe, für den Machterhalt von Kim Jong-un?

Er hat sich über die Jahre aller Rivalen entledigt. Er ist mit großer Brutalität vorgegangen, auch in der eigenen Familie. In Nordkorea sind Partei und Armee gleichgeschaltet und Kim Jong-un ist der oberste Führer.

Im Rahmen seiner Neujahrsansprache nannte Kim Jong-un die Belebung der Wirtschaft und die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen als Ziel. Ist das ein Eingeständnis von Schwäche?

Ja, und zeitgleich ist das ein geschickter Weg, mit der Not kommunikativ umzugehen. Das heißt allerdings für die Praxis gar nichts und wird selbstverständlich seine Priorisierung auf Atompolitik, militärische Stärke und Bedrohung der Region nicht mindern. Die Drohungen Nordkoreas richten sich übrigens nicht ausschließlich gegen Südkorea, sondern auch gegen andere Staaten, die mit den USA befreundet sind, wie Japan oder Taiwan.

Zehn Jahre Herrschaft von Kim Jong-un: Wie hat sich in dieser Zeit die Menschenrechtssituation im Land verändert?

Es gibt keine Veränderung zum Guten. Das Land ist nach wie vor extrem abgeschottet und wird totalitär geführt. Weiterhin gibt es Zwangsarbeitslager. Die Überwachung der Bevölkerung und die Grenzüberwachung wurden weiter perfektioniert.

Gibt es Zahlen zu den Fluchtversuchen aus Nordkorea?

Fakt ist, dass der Flüchtlingsstrom geringer wird. Das ist das einzige verlässliche Indiz. Das bedeutet aber nicht, dass weniger Menschen entkommen wollen. Vielmehr werden mehr Menschen beim Fluchtversuch aufgegriffen. Was mit den Flüchtigen passiert, ist auch klar: Sie verschwinden oder landen im Arbeitslager.

Liegen Ihnen gesicherte Zahlen vor, wie viele Menschen aktuell in solchen Lagern inhaftiert sind?

Es sind Millionen. Die IGFM schätzt die Zahl auf bis zu zwei Millionen Nordkoreaner, die unter Zwangsarbeit in Lagern und bewachten Einrichtungen leiden. Nicht zu vergessen das Heer, der unter totaler Kontrolle stehenden Arbeitsbrigaden, die Nordkorea an das Ausland verleiht.

Open Doors führt Nordkorea seit Jahren auf dem ersten Platz des Weltverfolgungsindexes. Wie schätzen Sie die Lage von Christen ein?

Auch für Christen liegen keine gesicherten Zahlen vor. Durch die Herrschaft der Kims ist deren Zahl aber natürlich deutlich zurückgegangen. Insbesondere Pjöngjang war vor der Machtergreifung ein blühendes Zentrum des Christentums. Davon ist allerdings wenig übrig geblieben – jedenfalls öffentlich. Christen, die als solche leben und praktizieren, können das nur noch im Untergrund.

Wie kann man sich das Praktizieren im Untergrund vorstellen?

Informationen darüber gibt es ausschließlich von Nordkoreanern, denen die Flucht gelungen ist. Diese berichten, dass es so gut wie keine Christen mehr im Land gibt, beziehungsweise als solche ausgemacht werden können. Selbst das Treffen in Hauskirchen, bei denen nur ein paar Menschen zusammenkommen, ist unrealistisch. Es herrscht zu viel Angst vor Denunziation. Sie müssen sich das so vorstellen: Wenn ein Nordkoreaner auf dem Feld einen Auszug aus der Bibel findet, der vielleicht in einem Ballon abgeworfen wurde und er wird damit erwischt, dann kann das für ihn den Tod, mindestens aber Zwangsarbeitslager bedeuten. Aus diesem Grund können sich nordkoreanische Christen niemandem, nicht einmal der eigenen Familie, anvertrauen. 

Solche Bibelschmuggelaktionen mit Ballons gab es schon häufiger. Sie raten also davon ab?

Als Menschenrechtler kann ich Dinge, die der Freiheit dienen, nicht ablehnen. Auf der anderen Seite muss man sich der Konsequenzen bewusst sein. Wenn ich also beispielsweise Bibeltexte blind streue, kann das für den Finder, egal ob Christ oder kein Christ, gefährlich werden. Es müssen vielmehr diskrete Wege gefunden werden, die einzelne ansprechen.

Lassen Sie uns einen Blick in die Zukunft werfen. Gibt es Gründe, die Sie bezüglich der Entwicklungen in Nordkorea positiv stimmen?

Es gibt immer Hoffnung. Aus meiner Sicht liegt der Schlüssel zur Besserung bei China. Ein Ansatz könnte zum Beispiel sein, wenn China die Flüchtlinge aus Nordkorea nicht mehr zurückschickt. China nimmt aber aktuell systematisch und billigend in Kauf, dass zurückgewiesene Menschen inhaftiert oder ermordet werden.

2018 gab es ein Treffen zwischen dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump und Kim Jong-un. Geändert hat dieses Treffen aber offensichtlich nichts. Wäre ein Gespräch mit Peking sinnvoller gewesen?

Kurzfristig erscheint ein solches Gespräch mit China leider nicht sehr aussichtsreich. Das Gespräch von Trump war ein historischer Fehler. Dieser Fehler darf nicht wiederholt werden. Es darf also keine Aufwertung der Person von Kim Jong-un mehr geben. Dieser Fehler ist vergleichbar mit einem freundschaftlichen Auf-die-Schulter-Klopfen bei Josef Stalin oder Adolf Hitler.

Welche Rolle kommt dem Nachbarn Südkorea zu?

Südkorea muss zu einem Kurs zurückkehren, bei dem die Menschenrechte der Nordkoreaner geachtet werden. Von Trump bestärkt, hat Präsident Moon Jae-in einen Weg des Appeasements eingeschlagen. Es dürfen aber, unabhängig der Bedrohung durch Nordkorea, die Menschenrechte nicht aufgeweicht oder preisgegeben werden.

Die Corona-Pandemie hat die Welt seit nunmehr zwei Jahren im Griff. Wie stellt sich die Corona-Situation in Nordkorea dar?

Nordkorea hat lange Zeit geleugnet, dass es die Pandemie im Lande überhaupt gebe. Später wurde das Virus genutzt, um eine Begründung für die Repressionen und die Versorgungskrise zu haben. Corona dient als willkommene Ausrede für das eigene Versagen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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