Nation und Bibel – Streit und Verwirrung um „christlichen Nationalismus“ in den USA

In den USA ist der Kulturkampf zwischen - zum Teil extremen - unterschiedlichen Weltanschauungen Teil der politischen Auseinandersetzung. Relativ neu ist, dass Kritiker links von der Mitte nun vor einem „christlichen Nationalismus“ warnen.
US-Flagge


Im US-Wahljahr 2024 ist die Debatte über „christlichen Nationalismus“ in den Vordergrund gerückt. Diese Weltanschauung hat für viele den Beigeschmack weißen Vormachtstrebens. Kritiker sehen darin eine Gefahr für die Demokratie. Sie verweisen auf Donald Trump, der als oberster Nationalist gilt. Christliche Nationalisten sind überzeugt, die USA seien als christliche Nation gegründet worden und müssten entsprechend regiert werden. Christ-Sein und Amerikaner-Sein gehören danach zusammen.

Weiße Evangelikale und Republikaner fühlen sich laut Umfragen von diesem Denken besonders angezogen. Diese Form des christlichen Glaubens hat sehr strenge Moralvorstellungen. Sie fordern von den Regierenden eine klare Ablehnung von Abtreibung und LGBTQ-Rechten sowie das Eintreten für die Sicherheit an den Grenzen. Die Bibel wird höher geschätzt als die staatliche Ordnung. Trump spielt sich zum Verteidiger der angeblich von „radikalen Linken“ und der „korrupten politischen Klasse“ verfolgten Christenheit auf.

Zehn Gebote per Gesetz durchsetzen?

Der „christliche Nationalismus“ wird sehr unterschiedlich bewertet, auch im christlichen Amerika. Einige warnen, die Anhänger wollten eine theokratische Herrschaft durchsetzen. Andere befürchten, mit dem Begriff sollen konservative Christen diffamiert werden, indem man sie in die Schublade Rechtsextremismus steckt. Letztere Kritik kommt von Jerry Newcombe, Exekutivdirektor der Organisation „Providence Forum“, die sich für die Verbreitung „judeo-christlicher Werte“ einsetzt.

Newcombe sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), geschichtlich gesehen sei die Idee, dass sich die USA auf den Glauben an einen Schöpfer stützen, „keineswegs radikal“. Linke Aktivisten hätten den Begriff „christlicher Nationalismus“ manipuliert. Die Behauptung, konservative Christen wollten die biblischen Zehn Gebote per Gesetz durchsetzen, sei unsinnig. Doch viele Linke zweifeln an dieser Versicherung. Sie verweisen auf das von Republikanern angestrebte Abtreibungsverbot.

Georgia McKee ist bei der Organisation „Christen gegen christlichen Nationalismus“ zuständig für die Kurzvideo-App TikTok und andere soziale Medien. Der christliche Nationalismus schade auch der christlichen Botschaft, sagte McKee dem epd. „Christlicher Nationalismus“ habe sich vielerorts breit gemacht und entstelle, was Jesus Christus lehre.

Das Etikett sei freilich nur begrenzt zur Einordnung von Nutzen, so McKee. Anhänger und Sympathisierende bewegen sich ihr zufolge in einem breiten Spektrum. Manche treibt die Nostalgie nach den vermeintlich guten alten Zeiten, als weiße Protestanten in den Vereinigten Staaten das Sagen hatten. Andere nahmen an dem Aufstand im US-Kapitol im Januar 2021 gegen den Wahl-Sieg von Joe Biden teil.

Bewertung ist komplex

In den US-Kinos läuft gegenwärtig der Dokumentarfilm „God & Country“ über christlichen Nationalismus. Dessen Anhänger bildeten bei Weitem keine Mehrheit in den USA, sagte Filmemacher Rob Reiner. Sie stellten eine „virulente Minderheit“ dar, die „außerordentliche Macht“ erlangt habe. Im Film kommt der Chefredakteur der Zeitschrift „Christianity Today“, Russell Moore, zu Wort. Ihm zufolge benutzt der christliche Nationalismus das Christentum als „Mittel zum Zweck“, mit dem Ziel „irgendeiner Form des Autoritarismus“.

Die Definition von christlichem Nationalismus und der Rolle christlicher Positionen in der US-Politik ist komplex. Dies zeigte sich bei einer im März dieses Jahres vorgestellten Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center. Darin erklärten 72 Prozent der befragten Protestanten und 86 Prozent der weißen Evangelikalen, die Bibel solle Einfluss auf die Gesetzgebung in den USA haben. 54 Prozent der befragten US-Amerikaner gaben an, sie hätten nichts von „christlichem Nationalismus“ gehört, am ehesten wussten Agnostiker und Atheisten darüber Bescheid.

Wenn über Religion und Politik diskutiert wird, kommt die Rede unweigerlich auf Donald Trump. Seinen Ansprachen nach zu schließen, setzt der frühere US-Präsident in seinem Wahlkampf für eine neue zweite Amtszeit auf konservative christliche Wählerinnen und Wähler. Bei einer viel beachteten Rede vor konservativen christlichen Medienunternehmern im Februar sagte Trump, er wolle „Glauben und Familie“ ins Zentrum der Nation stellen und in einer zweiten Amtsperiode eine Regierungsstelle gegen die Diskriminierung von Christen einrichten.

Mit Blick auf die wegen des Ansturms auf das Kapitol Inhaftierten sagte Trump, er werde umgehend die Anklagen gegen „politische Gefangene“ des „Biden-Regimes“ prüfen. Er sei ein „sehr stolzer Christ“ und zum Sieg bei der Wahl am 5. November brauchten Christen „die Hand unseres Herrn“.

epd
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