Die Leuchtbuchstaben, die das Wort „Bethlehem“ bilden, funktionieren schon „fast“ alle. Und über dieses „fast“ ist Dieter Falk schon erfreut, sagt er ironisch zum riesigen Chor. „Nur das E ist noch dunkel. Aber das kriegen wir auch noch zum Leuchten.“
Der bekannte Komponist aus Düsseldorf hat gemeinsam mit seinem Sohn Paul die Musik für das Musical „Bethlehem“ geschrieben. Am 16. Dezember wird es zwei Mal hintereinander im PSD Bank Dome in Düsseldorf aufgeführt. Eine Besonderheit: Der Chor besteht aus 3.000 Sängerinnen und Sängern. Heute findet die große Probe statt; nach zehn Monaten intensivem Üben für die Sänger kommen nun zum ersten Mal wieder alle zusammen, und der Komponist höchstselbst stimmt die große Menge auf die Aufführung ein.
Nicht nur Leuchtbuchstaben will er zum Leuchten bringen, sondern auch die Herzen der vielen Sänger, und am Ende hoffentlich die der Zuschauer. Dann wird wohl jeder Hirte seine richtige Schrittfolge finden, der Engel wird mit seinem umfangreichen weißen Kleid zurecht kommen, auch wenn er von einer hohen Bühne aus seinen Verkündigungspart singen muss, und der Chor der Tausend Stimmen wird auch die unkonventionellen Zeichen der beiden (!) Dirigenten zu deuten lernen. Wenn die zum Beispiel mit ihrem Handy winken, heißt das für alle: das Smartphone zücken und mit der eingebauten Taschenlampe im Rhythmus wedeln. Im Text ist ja schließlich von Sternen die Rede.
Anspannung trotz jahrelanger Erfahrung
Etwas angespannt ist Falk an diesem Sonntag, wenige Tage vor der Uraufführung, trotz jahrelanger Erfahrung dann doch noch etwas. Denn nicht alle Mitglieder des rekordverdächtig großen Chores haben so viel Bühnenerfahrung wie der Produzent und Pianist, der vor wenigen Tagen 64 geworden ist. In Siegen geboren, machte sich Falk durch Arbeiten mit Künstlern wie PUR, Patricia Kaas oder Pe Werner einen Namen; er gewann mehrmals den Echo und über 50 Platin- und Goldene Schallplatten.
Bekannt wurde er zudem als Juror in der Pro7-Sendung „Popstars“. Seit 2013 ist Falk Professor für Musikproduktion an der Düsseldorfer Robert-Schumann-Hochschule und seit 2019 für Popchor-Leitung und Musikproduktion an der Hochschule für katholische Kirchenmusik, Regensburg. Sein Alter sieht man ihm nicht an, er hüpft wie ein Gummiball vor der großen Bühne herum, ist in Windeseile zum Tontechniker an den Rand gelaufen, um ihm letzte Anmerkungen zu geben, und schon steht er auf einem Stuhl, um den Chor besser überblicken und für sich selbst ein kurzes Handy-Video machen zu können.
In der Essener Grugahalle sind alle Chorsänger und die Solisten zusammengekommen, um am Auftritt in wenigen Tagen zu feilen. Noch sind nicht alle Betonungen des Textes klar, und die vielen Sänger müssen lernen, im Wort „Schmerz“ den Vokal „e“ zu dehnen, und nicht etwa das „r“ – alles andere klänge seltsam. Und mit den Händen klatschen ist erlaubt, aber bitte nur angedeutet, ohne Geräusch, um die Musik nicht zu übertönen. Bei 3.000 Sängern kein unwichtiger Hinweis.
Deutschland fand den Superstar
Die Texte zu „Bethlehem“ stammen vom Schriftsteller und Musikproduzenten Michael Kunze, der bereits für zahlreiche Popmusik-Hits die Texte schrieb und mit den Grammy und ECHO Lifetime Awards, dem GEMA-Musikautorenpreis sowie 79 Goldenen und Platin-Schallplatten ausgezeichnet wurde. Er ist der Verfasser mehrerer Bücher und entwickelte eine Reihe von Fernsehshows. Zudem übersetzte er die Gesangstexte vieler englischsprachiger Musicals ins Deutsche. Von ihm stammen unter anderem die Texte für Musicals wie „Elisabeth“ (1992), „Tanz der Vampire“ (1996), „Die 10 Gebote“ (2010) und „Luther“ (2016).
Musikalisch spielt sich das Werk zwischen Gospel und Klassik ab. Auch viele Bach-Stücke und bekannte Weihnachtschoräle hat der Komponist verarbeitet. Aber wie von Falk gewohnt, swingt es hier immer ein wenig. Und spätestens wenn der riesige Chor einsetzt, versteht man die Faszination für die christlichen Epochalwerke, die Falk seit einigen Jahren komponiert.
Mit seinem Sohn Paul Falk und und Michael Kunze schrieb der Düsseldorfer bereits 2016 die Musik für das Musical „Luther“, ebenfalls mit einem 3.000-stimmigen Laienchor. Zuvor brachte das Team „Die Zehn Gebote“ in ähnlichem Umfang auf die Bühne.
Ein Stück voller aktueller Bezüge
Inhaltlich führt „Bethlehem“ die Zuschauer zunächst in das heutige Bethlehem, das von Hass und Gewalt geprägt ist. Das Jesuskind muss vorzeitig in einem Einkaufswagen abgelegt werden; ein Kinderwagen ist nicht zur Hand. Das Stück sei voller aktueller Bezüge, sagen die Produzenten. Da sind die Fremden ohne Unterkunft, denen die Bewohner die Türen verschließen; die junge Frau, die ihre Schwangerschaft nicht erklären kann; Sterndeuter, sozusagen Forscher, die intelligente, aber unsinnige Prognosen abgeben und sich gegenseitig widersprechen. Und ein Herodes, der seine Macht mit Lüge und Mord verteidigt.
Die Hauptrollen werden von professionellen Solisten gesungen. Den Part der Maria etwa übernimmt Marie Wegener, die in der 15. Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“ siegte. Der ausgebildete Musical-Darsteller Benjamin Oeser spielt Josef. Als Dirigent tritt der ausgebildeter Kirchenmusiker Danny Neumann neben Miriam Schäfer auf. Schäfer ist studierte Singer-Songwriterin, die als Sängerin und Gospelcoach international arbeitet und eigene Songs schreibt.
Hinter dem Event steht wieder einmal die „Stiftung Creative Kirche“ mit Sitz in Witten. Die ehrenamtliche Initiative ging 1993 Jahren aus einem Jugendchorprojekt des Evangelischen Kirchenkreises Hattingen-Witten hervor. Ziel ist es nach eigener Aussage, „Menschen mit der besten Nachricht der Welt in Verbindung zu bringen, die gute Nachricht von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus lebendig unter uns ist“.
2016 gründete die Stiftung gemeinsam mit der Ev. Kirche von Westfalen die Evangelische Pop-Akademie. Seit 2002 führt die Stiftung regelmäßig den Internationalen Gospelkirchentag durch. Seit 2015 führt die Organisation das Pop-Oratorium „Luther“ auf, seit 2019 das Musical „Martin Luther King – Ein Traum verändert die Welt“.
In der Essener Grugahalle müssen noch spontan von der Bühne herab die allerletzten Statistenrollen verteilt werden. „Wer möchte ein Soldat sein?“ ruft der Moderator von der Bühne in die Menge. Sofort gehen mehrere Arme in die Höhne. „Wer möchte mit den Palmzweigen wedeln?“ Mehrere Frauen melden sich. Mit einigen Zweigen wird dann auch der Einkaufswagen gefüllt. Damit das Jesuskind darin wenigstens etwas weicher liegt.