Meinung

Kritik an Anne Spiegel: Der schwierige Spagat zwischen Spitzenamt und Familie

Anne Spiegel (Grüne) fuhr Tage nach der Ahrtal-Flut als zuständige Ministerin in den Urlaub, weil ihre Familie ihn unbedingt brauchte. Das zeigt: Spitzenpolitik und eine kriselnde Familie sind nur schwer miteinander zu vereinbaren.
Von Nicolai Franz
Bundesfamilienministerin Anne Spiegel

Eine Bundesministerin tritt vor die Kameras, gibt tiefe Einblicke in ihr Privatleben, spricht von Überforderung und ihrer Verantwortung für ihre Familie. Das verdient Anerkennung und Mitleid. Aber was die Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) gestern getan hat, offenbart auch, dass sie ihrem wichtigen Amt nicht gewachsen ist – zumindest im Moment.

Sie wirkt irritiert, ringt um jedes Wort, ihr Statement hatte sie offenbar nicht vorformuliert. „Ich werde Ihnen jetzt einige private Details nennen“, sagt sie und muss sich räuspern, als versage ihr die Stimme. Sie spricht von ihrem Mann, der 2019 einen Schlaganfall erlitten habe. Seither habe er „ganz unbedingt“ Stress vermeiden müssen, sagt sie im Statement, das unter anderem von der Tagesschau live gestreamt wurde.

Anne Spiegel im Kabinett von Malu Dreyer Foto: Staatskanzlei RLP / Pulkowski - Staatskanzlei RLP / Pulkowski | CC BY-SA 3.0 Unported
Anne Spiegel (zweite Reihe von oben, zweite von links) als Familienministerin im Kabinett von Malu Dreyer (SPD, untere Reihe links)

Vier Kinder hat die Bundesfamilienministerin, drei in der Grundschule, eines in der Kita. Die Pandemie sei eine „wahnsinnige Herausforderung“ für die Kinder gewesen. Spiegel ging als Spitzenkandidatin der Grünen in Rheinland-Pfalz in den Landtagswahlkampf 2021. Neben ihrem Amt als Familienministerin übernahm sie auch noch geschäftsführend das Umweltministerium des Landes. Ein Fehler, wie sie heute sagt.

Irgendwann habe die Familie unbedingt Urlaub gebraucht. Spiegel spricht von einer „sehr schweren Abwägung, die ich mir auch nicht leicht gemacht hatte, zwischen meiner Verantwortung als Ministerin und der Verantwortung als Mutter mit vier Kindern, die noch klein sind und in der Corona-Pandemie nicht gut durch diese Pandemie gekommen sind“.

Anne Spiegel wollte für die Familie da sein

Deshalb sei die Familie am 25. Juli, zehn Tage nach der verheerenden Flutkatastrophe, in den Urlaub gefahren. „Das war ein Fehler, dass wir auch so lange in Urlaub gefahren sind und dass wir in Urlaub gefahren sind“, sagt Spiegel sichtlich verunsichert. „Ich bitte für diesen Fehler um Entschuldigung.“

Als Umweltministerin war Spiegel auch für das Management der Flutkatastrophe im Ahrtal zuständig. Nach der Flutnacht habe sie sofort einen Krisenstab einberufen, ein Soforthilfeprogramm auf den Weg gebracht. Den Urlaub habe sie angetreten, weil sie für ihre Familie habe da sein müssen.

Es ist ungewöhnlich, dass eine Ministerin sich so verletzlich zeigt und ihre schwierige familiäre Situation als Erklärung für ein Versagen im Amt nennt. Zu einem solchen Schritt gehört Mut. Er muss auch nicht bedeuten, wie jetzt manche in fast boshafter Absicht meinen, sie würde das Leid ihrer Familie instrumentalisieren, um sich im Amt halten zu können.

Auch taugt es nicht zum Skandal, dass sie eine falsche Angabe zu ihrer Teilnahme an Kabinettssitzungen gemacht hat. Sie hat aus dem Urlaub heraus offenbar viel telefoniert. Da kann es passieren, dass man sich an eine bestimmte Sitzung, wenn auch eine wichtige, anders erinnert, als es die Protokolle nachher angeben. Auch Spitzenpolitiker müssen Fehler machen dürfen.

Aber der Fehler der Bundesfamilienministerin liegt viel tiefer. Sie hat ihre eigenen Ressourcen offenbar hoffnungslos überschätzt – und tut es womöglich weiterhin. Statt eines um Mitleid und Verständnis werbenden Presseauftritts hätte sie einen Schritt der Verantwortung gehen müssen: „Meine Familie braucht mich. Deswegen kann ich im Moment kein politisches Spitzenamt bekleiden.“ Spiegel ist 41, ihre Karriere noch potenziell lang, auch dann noch, wenn sich ihre familiäre Situation entspannt hat.

Stattdessen zeichnete sie ein Bild von ihrer familiären Situation, ihren überforderten Kindern und ihrem überlasteten Mann, das eigentlich nur einen Schluss zulässt: Wer privat so herausgefordert ist, kann keinen Job ausfüllen, der 150 Prozent Einsatz fordert.

Müntefering trat wegen seiner Frau zurück

Das hat nichts damit zu tun, dass Anne Spiegel eine Frau ist. Spitzenämter brauchen Menschen, die ihnen voll gewachsen sind, was Zeit und Fähigkeiten angeht. Auch Männer müssen in so einer belastenden privaten Situation eine Entscheidung treffen. Dafür gibt es Vorbilder. Franz Müntefering (SPD) trat 2007 als Arbeitsminister zurück, weil er sich um seine krebskranke Frau kümmern wollte. EKD-Chef Nikolaus Schneider tat 2014 dasselbe, als seine Frau krank wurde.

Im Sommer 2021 wäre es kontraproduktiv gewesen, wenn Spiegel mitten in einer Krise von ihren Ämtern zurückgetreten wäre. Dass sie mit der leidenden Familie in den Urlaub fuhr und die Krise per Smartphone managete, ist daher durchaus nachvollziehbar. Ihre Entscheidung, für ihre Familie da sein zu wollen, verdient auch aus christlicher Sicht hohe Anerkennung.

Doch danach hätte sie die Notbremse ziehen müssen. Stattdessen entschied sie sich für die nächste Stufe auf der Karriereleiter: das Bundesfamilienministerium. Es ist kein Geheimnis, dass es genügend Grüne gab, die das Amt ebenfalls gerne übernommen hätten.

Kaum vorstellbar, dass Spiegel nach ihrem irritierenden Auftritt ihr Amt noch retten kann. Sie sollte nun die Konsequenzen ziehen, bevor andere ihr die Entscheidung abnehmen.

Update: Inzwischen ist Anne Spiegel als Familienministerin zurückgetreten.

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7 Antworten

  1. Sehr guter Kommentar! Dieser (familiäre) Aspekt fehlte mir in allen anderen Medienkommentaren zu diesem Thema.
    Ergänzen könnte man noch, dass Frau Spiegel – wenn man den bisherigen Informationen Glauben schenken darf – einen schon fast krankhaften Ehrgeiz besitzt, ebenso wie eine diese Eigenschaft begleitende Sturheit und Arroganz. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stößt schon bei normalen Berufen an ihre Grenzen, und dann natürlich erst Recht bei stark geforderten Politikern im Ministeramt. Wer dann noch einen dermaßen übersteigerten Ehrgeiz wie Frau Spiegel besitzt, hat nicht selten auch gewisse soziale Defizite und kann dann auch im eigenen familiären Umfeld nicht mehr richtig einschätzen und abwägen. Das wäre jedoch gerade für eine Familienministerin ein Nogo. Vielleicht haben hier aber auch ideologische Gründe eine Rolle gespielt, um krampfhaft die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu demonstrieren.

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  2. Sie verdient alle Sympathie und Unterstützung für ihre familiäre Situation.

    Der Kommentar hat aber mit Sicherheit recht, dass sie ihren Aufgaben (zumindest momentan) nicht gewachsen ist. Dazu kommt auch, dass sie nach Ansicht vieler Beobachter nicht in der Lage war, die Prioritäten richtig zu sortieren, sondern Ideologie vor Sacharbeit gesetzt hat:

    „Bitte noch gendern“:
    „Anne Spiegel soll ihrem Team vor Veröffentlichung der fraglichen Mitteilung geschrieben haben: „Konnte nur kurz draufschauen“. Und weiter: „Bitte noch gendern: CampingplatzbetreiberInnen. Ansonsten Freigabe.“
    Die Mitteilung wurde am 14. Juli um 16.43 Uhr verschickt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Leitstelle der zuständigen Feuerwehr Koblenz bereits 50 Unwetterbedingte Einsätze im System. Straßen standen unter Wasser, Sandsäcke wurden gefüllt.
    Am Morgen des 15. Juli, als das Ausmaß der Katastrophe sichtbar wurde, hieß es in einer internen Nachricht des Presseteams an Anne Spiegel dann:
    „Das Blame Game könnte sofort losgehen, wir brauchen ein Wording, dass wir rechtzeitig gewarnt haben, wir alle Daten immer transparent gemacht haben, ich im Kabinett gewarnt habe, was ohne unsere Präventionsmaßnahmen und Vorsorgemaßnahmen alles noch schlimmer geworden wäre etc.“.
    https://www.berliner-zeitung.de/news/flutkatastrophe-bitte-noch-gendern-campingplatzbetreiberinnen-li.216167

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  3. Wieso konnte sie nicht einfach sagen: Es war ein Fehler, nicht rechtzeitig bemerkt zu haben, daß ich wegen meiner schwierigen Familiensituation den Job als Ministerin nicht ordentlich ausführen konnte. Es tut mir leid. Ich trete zurück und kümmere mich um meine Familie.

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  4. Wenn sie unbedingt Karriere machen wollte, warum hat sie dann kein oder genügend Personal eingestellt? Anders hätte von der Layen ihren Beruf als Ärztin auch nicht ausüben können.

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  5. Warum ist sie überhaupt zurück getreten? Wenn sie tatsächlich so viel gearbeitet hat und die Belastung groß war? Jeder Mensch hat das Recht auf Erholung und Urlaub mit Familie, egal ob Ministerin oder wer anders.
    Hier wäre mehr Durchhaltevermögen angebracht. Der Rücktritt war nicht nötig. Eine Auszeit zum Kraft schöpfen ist wichtig um mit voller Kraft und vollem Einsatz wieder an den Arbeitsplatz zurück zu kehren!
    Gruß,
    Peter

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    1. Sie ist zurückgetreten, weil ihre Partei sie fallen gelassen hat. Weder Parteiführung noch Fraktionsführung noch die beiden großen grünen MinisterInnen, Habeck und Baerbock, haben sie gehalten. Denn alle sechs wollten in den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen keinen Stress mit einer Ministerin, die bei der Ahr-Katastrofe im Amt versagt und dann auf Nachfragen zu ihrer Teilnahme an Kabinettssitzungen die Unwahrheit gesagt hat. Mareike hat das in ihrem Kommentar sehr gut zusammengefasst.
      Der Rücktritt war auch überfällig. Sie nur im Amt zu belassen, weil sie vier Kinder und einen kranken Mann hat, und deshalb die Arbeit nicht schafft, ist den Menschen in Deutschland nicht zuzumuten. Das kann Menschenleben kosten, wie es an der Ahr schon passiert ist.

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  6. Ein wichtiger Aspekt, der zum Rücktritt führte, ist, dass sie dreist gelogen hat. Natürlich weiß ich auch noch lange später, ob ich mich aus meinem Urlaub heraus an Sitzungen beteiligt habe oder nicht. Sie hat sich an keiner einzigen (!) beteiligt und trotzdem das Gegenteil behauptet. Eine klare Lüge. Statt sich dafür wenigstens zu entschuldigen, schiebt sie das auf irgendwelche Protokolle. Also ja, das taugt zum Skandal, anders als im Bericht dargestellt.
    Außerdem hat sie ihrem Staatssekretär angelastet, dass er ihr abgeraten habe, ins Ahrtal zu reisen, da Katastrophenschutz nicht zu ihren Aufgaben gehöre. Sie ist die Umweltministerin, Auswirkungen des Klimawandels sind natürlich ihre Sache; sie hat die Letztentscheidung. Untergebenen den schwarzen Peter zuzuschieben, gehört sich auch nicht. Allein die Dramatik der Situation vor Ort hätte sie dazu bewegen müssen, wenn es ihr um die Menschen gegangen wäre. Statt dessen: Tricksen, Tarnen, Täuschen.
    Natürlich liegt es auch an der Partei. Es musste ja unbedingt eine Frau sein und von einem bestimmten Flügel. Die Qualifikation und persönliche Möglichkeit, das Amt auch auszufüllen, scheint da keine große Rolle gespielt zu haben. Da haben viele versagt, aber hauptsächlich Anne Spiegel selbst. In Zukunft wird sie hoffentlich kein wichtiges öffentliches Amt mehr bekleiden.

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