Kinder tragen Hauptlast der Corona-Maßnahmen

Kinder tragen laut einer aktuellen Studie die Hauptlast der Corona-Pandemie. Schulschließungen dürften nur letztes Mittel sein, mahnt das Hilfswerk World Vision.
Von Johannes Blöcher-Weil
Trauriges Kind vor Fenster

Der Lebensalltag von Kindern und Jugendlichen hat sich durch die Schließung von Kitas und Schulen sowie Kontaktverbote stark verändert. Dieser Ausnahmezustand schränkt die Kinderrechte massiv ein. Die 5. World Vision Kinderstudie hat 2020 erforscht, welche Belastungen durch Lockdowns und das Homeschooling für Kinder entstehen. Dabei zeigt sich: Die bereits bestehenden Ungleichheiten verschärften sich durch die Krise.

Für die World Vision-Studie wurden in Ghana und Deutschland jeweils 15 Kinder in Tiefeninterviews nach ihren Erfahrungen mit der Pandemie befragt. Vor allem im Bereich Homeschooling stimmten die Aussagen überein. So kritisierten die Schüler mangelnde technische Ausstattung und nicht bedarfsorientierte Angebote.

„Vor allem das gemeinsame Lernen fehlt“

Forschungsleiterin Caterina Rohde-Abuba betonte, dass den Kindern „vor allem das gemeinsame Lernen“ fehlt. Die Interaktion mit anderen Schülern trage im Wesentlichen zum Lernerfolg bei: „Die Kinder lernen voneinander. Und dieser Aspekt geht während der Pandemie verloren.“ In Zeiten des Homeschoolings könnten es viele Familien nicht leisten, Zeit und Raum für die Kinder zu bieten und als Lehrer Ansprechpartner zu sein.

Die Studie habe gezeigt, dass Schule als Ort des Lernens unterschätzt werde. Wenn beide Elternteile stark beruflich eingebunden seien, fühlten sich die Kinder oft alleingelassen. Einige Kinder müssten zudem noch jüngere Geschwister mit betreuen. Kritisch werde es auch, wenn Mitglieder des eigenen Haushalts ein hohes Risiko hätten, zu erkranken oder zu sterben. Häufig hätten sich Schüler über WhatsApp-Gruppen vernetzt, um sich gegenseitig zu helfen, wenn sie nicht von Lehrkräften betreut wurden: „Die Schüler unterrichteten sich selbst und motivierten sich so zum Weiterlernen.“

World Vision leitet aus den Ergebnissen der Studie die Forderung ab, dass der Präsenzunterricht äußerste Priorität haben muss. Schulschließungen könnten nur die letztmögliche Maßnahme sein: „Wir brauchen bundesweit sicheren Schulunterricht mit verlässlichen und praxisnahen Konzepten.“ Zudem müssten auch die Folgen des Homeschoolings bekämpft werden, in Form von Lernstands-Erhebungen sowie kleinen und dauerhaften Lerngruppen. Außerdem dürften Klassenwiederholungen keine negativen Konsequenzen haben.

Dorfgemeinschaft finanziert kostenlosen Unterricht

In Ghana – das Land war für die Studie als wichtiges Partnerland von World Vision und aufgrund seiner religiösen Diversität ausgesucht worden – sei der Zugang zum Internet zwar möglich, aber das nötige Datenvolumen teuer. Hier hätten Lehrkräfte kostenlosen Privatunterricht angeboten. Um an diesem teilnehmen zu können, legten Dorfgemeinschaften zusammen und finanzierten gemeinsam das nötige Datenvolumen für die Kinder.

„Unsere Forschung macht deutlich, dass viele Eindämmungsmaßnahmen der Pandemie nur unter der disziplinierten Mitwirkung von Kindern umgesetzt werden können. Kinder sind Gestalter in der Pandemie! Sie müssen aber aktiv einbezogen und unterstützt werden“, bilanzierte Rohde-Abuba. In beiden Ländern seien die Lebensbereiche der Kinder wesentlich stärker eingeschränkt worden als die der Erwachsenen.

Alex Lehmann, Landesschülervertreter in Hessen, bemängelte, dass in der Politik starke Stereotype über die junge Generation vorherrschten: „Häufig gelten wir als Störfaktor in der Bekämpfung der Pandemie.“ Dabei werde das Recht auf Spiel und Freizeit eingeschränkt, das eigene Schlafzimmer in der Pandemie zum Arbeitszimmer und der Leistungsdruck sei enorm: „Wir werden in dieser Situation überhört und alleine gelassen, obwohl wir versuchen laut zu sein.“

„Aufholen und Durchstarten ermöglichen“

Sein Pendant in Nordrhein-Westfalen, Julius van der Burg, machte deutlich, welch radikale Veränderungen die Pandemie für die junge Generation mit sich gebracht habe: „Viele junge Menschen wünschen sich, dass sie in die Schule gehen können, um wieder Freunde zu treffen und mit anderen Menschen zu kommunizieren.“ Er nehme wahr, dass die Interessen der Wirtschaft höher gesichtet würden als die Belange der jungen Generation.

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Bettina M. Wiesmann forderte, dass Deutschland die Weichen so stelle, dass auch die junge Generation zu ihrem Recht kommen. „Es sind die Menschen, die Deutschland in die Zukunft führen.“ Es sei die beste Prävention, sie nicht so lange zu isolieren, sondern deren seelische Gesundheit zu schützen, um ihnen ein „Aufholen und Durchstarten zu ermöglichen“. Sie plädiere auch dafür, Kinder und Jugendliche in der Impfreihenfolge nach vorne zu schieben. Ihre SPD-Kollegin Susanne Rüthrich machte deutlich, wie lange sich die zuständigen Gremien ausschließlich mit Kindern in Corona-Zeiten auseinandergesetzt hätten. Sie sprach sich dafür aus, Kinderrechte endlich im Grundgesetz zu verankern.

Christoph Waffenschmidt, Vorstand von World Vision Deutschland, betonte, dass es World Vision wichtig sei, nicht nur über Kinder zu forschen, sondern sie selbst zu Wort kommen zu lassen. In der gesellschaftlichen Herausforderung einer Pandemie sei es unabdingbar, Kinder zu fragen: „Sie sind vielleicht nicht so stark durch die Krankheit betroffen, aber von den Eindämmungsmaßnahmen“, sagte der Vater einer 13-jährigen Tochter.

Die Interviews der Studie wurden mit Kindern aus unterschiedlichen sozialen Milieus geführt. Die Tiefeninterviews dienen der Vorbereitung von repräsentativen Umfragen unter je 2.000 Kindern in Ghana und Deutschland. Deren Ergebnisse werden 2023 veröffentlicht.

World Vision ist eine unabhängige christliche Kinderhilfsorganisation und engagiert sich nach eigenen Angaben in etwa 100 Ländern in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Nothilfe. Aktuell führt der Verein 280 Projekte in 48 Ländern durch und erreicht damit rund 16 Millionen Menschen.

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3 Antworten

  1. Ja, es ist ein Problem und das wird und noch einige Zeit fordern. Betrachten wir nur einmal Deutschland, dann erkennen wir, daß wir noch keinen zugelassenen Impfstoff für Jugendliche, geschweige denn für Kinder haben. Das sind in Summe in unserem Land rund 13.000.000 Menschen von rund 83.000.000. Aufgrund der problematischen Demographie in unserem Land sind es prozentual wenige, in anderen Ländern sieht es ganz anders aus, hinzu kommt, daß auch dort kein zugelassener Impfstoff verfügbar ist. Wenn wir also in Europa, ich schätze mal im September, allen Erwachsenen ein Impfangebot machen können, im Herbst dann jeder und jede die will, geimpft ist, dann sind die unter 18-jährigen noch völlig ungeschützt – und das bei vielen Aktivitäten in vollen Räumen mit dichtem Kontakt, also in Schulen und Kinderverwahreinrichtungen. Das ist ein Problempunkt.
    Dann hat sich die Politik immer wieder krampfhaft versucht, eben diese Einrichtungen schnellstmöglich zu öffnen. Selbst wenn das gelänge, wird etwas anderes völlig verdrängt: Selbst, wenn nun auf Krampf ein „Corona“-Abschluß gemacht wird, was dann? Nun wachen die ersten auf und stellen fest, daß die wirtschaftlich ums nackte Überleben kämpfenden Betriebe kaum in der Lage sein werden, weitere Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, man muß schon dankbar sein, wenn alle die, die in einer Ausbildung sind, diese zuende bringen können. Da sind komplette Bereiche betroffen, vor allem in Bereichen, die Schülerinnen und Schülern mit niedrigen Bildungsabschlüssen Ausbildungsplätze anbieten, z.B. Gastronomie und Einzelhandel. Wieder trifft es diese Gruppe am härtesten, es sind die, die nicht selten aus prekären Verhältnissen kommen, geschiedene Eltern, arbeitslose Eltern oder aus dem Bereich der Geringverdiener, beengte Wohnvehältnisse, niedriger Bildungsstand der Eltern. Armut verfestigt sind.
    Aber auch diejenige, die studieren wollen, sind sich offenbar nicht bewußt, daß ja auch in den Hochschulen der Betrieb ausgebremst wird, Abschlüsse und damit Abgänge verzögert werden. Manch einer wird ein weiteres Studium dranhängen, nach dem Bachelor nun doch den Master machen, weil eben in den Betrieben weniger eingestellt wird. Damit sind die Hochschulen dann auch voll, können Erstsemester nicht oder in geringerem Umfang aufnehmen.
    Es wäre immer noch möglich, das Schuljahr bundesweit abzubrechen, einfach ein Jahr länger und dafür vernünftig zu beschulen. Vor Jahren gab es die Wehrpflicht, die hat auch mindestens ein „verlorenes Jahr“ bedeutet, viele jungen Menschen machen FSJ, BFD oder Auslandsjahre, darauf muß dann vielleicht verzichtet werden, dann wäre man karrieremäßig wieder im Plan. Dieser Streß von Schließungen, Distanzunterricht, Teilunterricht und das Ganze im Wechsel wegen schwankender Inzidenzen, das zermürbst. Da wäre es sicher in vielen Fällen eine Entspannung, wenn man den Kindern und Jugendlichen sagen könnte, daß sie sich keinen Druck machen sollen, eben ein Jahr länger Schule ist. Aber das geht gerade linken Ideologen, die eine Fremdbestimmung wollen sicher „gegen die Bürste“. Von der Ideologie zur Idiotie ist es eben nur ein kleiner Schritt.

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  2. Eine erfreuliche Nachricht habe ich gerade bei GMX gelesen, der Mitbegründer von Biontech stellt in Aussicht, daß im Juni Schülerinnen und Schüler geimpft werden können, eine Zulassung für alle Altersklassen für September geplant sei. Das ist so wichtig und elementar, nun muß daraufhin gearbeitet werden, möglichst schnell die Voraussetzungen zu schaffen, daß Eltern einfach und ohne große Bürokratie zustimmen können und, daß die Impfungen in den Schulen stattfinden können, um auch wirklich die zu erreichen, die eher schwierig anzusprechen sind.

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  3. Wunderbarer Kommentar, den ich vollständig unterstützen kann! Ich suche nach einem Forum, in dem wir Eltern (im oben genannten Sinne) endlich unseren Kindern eine deutlich vernehmbare Stimme geben können.

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