Nach der Bundestagswahl wissen die Deutschen noch wenig und doch schon viel. Wenig, weil sie weder wissen, ob Olaf Scholz (SPD) oder Armin Laschet (CDU) ihr nächster Kanzler wird noch welche Koalition sie anführen werden. Und viel, weil schon jetzt sehr klar ist: In der Bundesrepublik regiert höchstwahrscheinlich ein neues Farbenspiel. Ob Jamaika, Ampel oder Deutschlandkoalition, alles ist drin, rechnerisch sogar eine Neuauflage von Schwarz-Rot. Die Grünen haben ihr Wahlergebnis deutlich gesteigert, sind jedoch unter ihren Erwartungen geblieben. Die FDP hat ein gutes Ergebnis davongetragen, die Linke zittert um den Wiedereinzug in den Bundestag, die AfD stagniert.
Eine zweite Zäsur: Das erschütternd schlechte Ergebnis der Union. Nie seit 1949 haben CDU und CSU weniger Stimmen bekommen als 2021. Das zweitschlechteste Ergebnis, die 31,0 Prozent unter Konrad Adenauer in der ersten Wahl nach dem Zweiten Weltkrieg, wirkt im Vergleich zum heutigen Desaster wie ein schöner Traum.
Das verheerende Ergebnis des Unionswahlkampfes kann kaum überraschen, nachdem die Umfragen der vergangenen Wochen genau in diese Richtung gezeigt hatten. Zwar hat sich der Wind gegen Ende noch einmal zugunsten Laschets gedreht. Doch offenbar kam das zu spät, um eine wirkliche Wende einzuleiten. Seit dem zerreibenden Machtkampf zwischen Armin Laschet und seinem CSU-Kollegen Markus Söder hat sich die Union nicht beruhigt.
Anders als in den Vorjahren sorgten nicht inhaltliche Differenzen wie in der Flüchtlingspolitik für Knatsch. Diesmal ging es um Köpfe, oder besser gesagt: Um den Kopf von Armin Laschet. CDU und CSU sind eigentlich disziplinierte Parteien, und das bedeutet in Wahlkampfzeiten: kein friendly fire, keinen innerparteilichen Streit riskieren. Spannungen offenbaren Schwäche, und die wird vom Wähler bestraft. Trotzdem hagelte es Dauerfeuer aus München an Armin Laschet, mal offen, mal subtil. Markus Söder und seine Vertrauten haben ihre Niederlage gegen den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten nie wirklich akzeptiert.
Am Ende könnte Laschet doch Kanzler werden
Zurecht wird die CDU die Schwesterpartei dafür lautstark kritisieren. Das ist aber maximal die Hälfte der Wahrheit. Denn auch in der CDU-Basis brodelt es seit Langem. Sie wollte Laschet nie, weder vor seiner Wahl zum Parteivorsitzenden noch danach, weder vor seiner Kür zum Kanzlerkandidaten noch danach. Während andere Parteien wie die Grünen und die SPD längst basisdemokratisch entscheiden, regieren in der Union noch die Hinterzimmer. Wie der Welt-Journalist Robin Alexander enthüllte, war es CDU-Grande Wolfgang Schäuble, der die Kanzlerkandidatur fast im Alleingang pro Laschet entschied.
Nur haben Schäuble und andere Laschet-Befürworter die Rechnung ohne die gemacht, die Plakate kleben, Flyer verteilen, auf Social Media werben und Menschen ansprechen müssen: die einfachen Mitglieder. Die fanden häufig eher Spott als Bewunderung für ihren Kandidaten. Unglückliche Auftritte, ein unangebrachter Lacher und zum krönenden Abschluss Laschets Unfähigkeit, den Stimmzettel vorschriftsgemäß in die Urne zu stecken. Er hatte das Papier so gefaltet, dass deutlich sichtbar war, wo er seine beiden Kreuzchen gemacht hatte. Wenigstens hat er CDU gewählt, dürften sich einige CDU-Wahlkämpfer gedacht haben.
Das Verrückte ist, dass es für Laschet – wie so oft in seiner Karriere – am Ende doch noch klappen könnte mit der Kanzlerschaft, wenn Grüne und FDP sich auf eine Jamaika-Koalition einlassen.
Die Union steht nun vor zwei Riesenherausforderungen. Erstens: Sie wird mit aller Kraft versuchen müssen, das Kanzleramt zu behalten. Zweitens: Sie steht vor einer harten Zeit der Aufarbeitung, sie muss nicht nur das Land, sondern vor allem zuerst sich selbst modernisieren. Personal, Inhalte, Habitus: All das wird zur Debatte stehen.
Und auch dem Rest der Republik stehen lange Wochen bevor, denn kein Lager hat einen klaren Sieg davontragen. Es wird Sondierungen geben, Annäherungen, Rückschritte, neue Sondierungen, Annäherungen, Rückschritte. Grüne und FDP werden durch ihr Verhandlungsgeschick entscheiden, ob sie eher mit der Union oder mit der SPD koalieren werden. Keine Partei wird vorschnell auf Forderungen potenzieller Koalitionspartner eingehen. Dadurch, dass es so viele verschiedene Koalitionsmöglichkeiten gibt, droht eine Hängepartie wie 2017, als die neue Regierung auch Monate nach der Wahl noch nicht stand.
Gut möglich, dass die diesjährige Neujahrsansprache wieder von derselben Frau kommt, die sie auch die vergangenen 16 Jahre gehalten hat: Angela Merkel.
Eine Antwort
Wolfgang Schäuble und andere Laschet-Befürworter, wie Bouffier sollten nun schleunigst ihre Parteiämter niederlegen. Sie sind die wahren Verursacher und Verlierer des Wahldebakels der CDU.