Kaum Regen, dafür Heuschrecken und Hunger

In Ostafrika sind derzeit rund 34 Millionen Menschen von Hunger bedroht. Besonders betroffen ist Somaliland, weil die autonome Region als Staat nicht anerkannt ist und deshalb kaum Hilfsgelder in das Land fließen, erklärt Martin Knispel von der christlichen Hilfsorganisation Tearfund.
Von Norbert Schäfer
Somaliland

In Ostafrika leiden fast 34 Millionen Menschen an Hunger. In Somalia droht laut UN eine Hungersnot, da 80 Prozent des Landes derzeit von einer Dürre betroffen sind. Dazu kommt, dass eine große Heuschreckenplage am Horn von Afrika große Teile der Ernte vernichtet hat. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland stellte unlängst eine Soforthilfe von 10.000 Euro für Ostafrika bereit. Der Leiter von Tearfund Deutschland, Martin Knipsel, hat sich Mitte Juni ein Bild von der Lage in Somaliland verschafft, wo das christliche Hilfswerk landwirtschaftliche Projekte fördert.

PRO: Wie ist die aktuelle Situation in Somaliland, Herr Knispel?

Martin Knispel: Somaliland ist eines der ärmsten Länder dieser Welt und besonders betroffen durch die anhaltende Dürre in der Region am Horn von Afrika.
Die Menschen in der Region haben fast nichts zu essen. Ein bis zwei dürftige Mahlzeiten, die gerade zum Überleben reichen. Mangelernährung und Krankheiten sind die Folge, besonders bei Kindern. Das wenige Wasser ist zudem verunreinigt und sorgt ebenfalls für Krankheiten. Es ist ein Teufelskreis, der durchbrochen werden muss.

Die Trockenheit betrifft nicht nur Somaliland, sondern auch Somalia, den Norden Kenias, Teile Äthiopiens und des Sudans. Die klimatischen Veränderungen haben hier besonders dramatische Auswirkungen. Das Grundwasser ist ohnehin sehr niedrig und in der Folge des Klimawandels fallen jetzt auch die regelmäßigen Monsun-Regen immer öfter einfach aus. Es gibt teilweise nur noch eine statt sonst zwei Regenzeiten. Das war in den vergangenen zehn Jahren viermal der Fall. Dazu kamen verheerende Stürme und vor einem halben Jahr eine fürchterliche Heuschreckenplage. Die Insekten fressen innerhalb kürzester Zeit alles weg, was an dem ohnehin wenigen Grün da ist. Aktuell bilden sich bereits neue Schwärme. Dazu kommt, dass kaum internationale Hilfsgelder, etwa von der UN, trotz der bitteren Armut nach Somaliland fließen.

Wie kommt das?

Das hängt mit dem völkerrechtlichen Status Somalilands zusammen. Vor 30 Jahren haben sich Rebellen von Somalia getrennt, das damals von der autoritären Regierung unter Siad Barre beherrscht wurde. Seitdem ist Somaliland eine völkerrechtlich zu Somalia gehörende, aber autonome Region, die von der Völkergemeinschaft offiziell nicht als Staat anerkannt ist. Die Weltgemeinschaft möchte nicht, dass sich in Afrika Länder abspalten und eigene Staaten gründen, wie jetzt im Süd-Sudan oder in Äthiopien. Man muss aber wissen, dass Somalia und Somaliland bereits in der Kolonialzeit getrennte Regionen waren. Das heutige Somaliland ist eine ehemalige britische Kolonie, Somalia war eine italienische. Nur relativ kurz waren beide Gebiete in der Republik Somalia vereint. Somaliland ist – im Gegensatz zu seinem Nachbarn, wo Bürgerkrieg herrscht – ein relativ friedliches Land. Beide Länder haben eine völlig andere Entwicklung genommen.

In Somalia sind die verschiedenen Clans eine Ursache für die permanenten Streitigkeiten und den Bürgerkrieg. Wie sieht das in Somaliland aus?

Auch in Somaliland definiert sich die Bevölkerung vorwiegend über die Clans, die bis zur Abspaltung von Somalia überwiegend als Hirten im Land lebten, also eigentlich Nomaden sind. Seit der Ausrufung der Eigenständigkeit vor 30 Jahren hat die Gesellschaft einen massiven Wandel durchlebt. Heute lebt etwa die Hälfte der Bevölkerung noch als Nomaden, während die andere Hälfte in Dörfern oder Städten lebt.
Im Mai waren Parlamentswahlen, die absolut friedlich verlaufen sind. Kandidaten wurden abgewählt und völlig unbekannte neue dazu gewählt. Die Herrschaft im Lande teilen sich im Grunde der Präsident und die gewählten Abgeordneten, die wiederum aus bestimmten Clans kommen. Die Demokratie ist in dem Land sehr durch Palaver und Gespräche der Clans geprägt. Sie bemühen sich aber nach meiner Beobachtung um gemeinsame Lösungen und Konsens. Im Gegensatz zu Somalia, das mittlerweile nur noch als gescheiterter Staat bezeichnet werden kann.

Der Islam ist in dem Land mit rund 3,5 Millionen Einwohnern Staatsreligion. Gibt es Christen in dem Land?

Sehr wenige. Das Land war immer schon islamisch, aber nicht islamistisch geprägt. Man kann dort relativ offen mit den Menschen über den Glauben sprechen. Es gibt offiziell keine Kirche, aber doch Christen im Land. Das sind im Kern Überbleibsel der britischen und italienischen Kolonialzeit. Christen leben mehr oder weniger verdeckt und zeigen ihren Glauben nicht öffentlich – gerade, wenn sie konvertiert sind. Konversion zum Christentum ist im Islam verboten.

Tearfund unterstützt als christliche Organisation in einem muslimisch geprägten Land die Entwicklungshilfe. Wie funktioniert das?

Tearfund ist in Somaliland offiziell registriert als christliche Organisation und die Regierung weiß natürlich, wer wir sind. Das ist kein Problem. Denn Christen und Muslime können sich beim Thema Nächstenliebe treffen. Als christliche Organisation können wir immer auch sagen: Wir sind Christen, wir wollen als ein Zeichen der Nächstenliebe helfen mit den Mitteln, die wir haben. Schwierig würde es, wenn wir über diese Schnittstelle hinausgehen in Richtung missionarische Aktivitäten. Das dürfen wir nicht und tun wir auch nicht.

Wie hilft Tearfund in dem Land?

Die Hilfe von Tearfund konzentriert sich auf Projekte im Bereich der Landwirtschaft. Der Übergang von einer pastoralen – als von einer Hirtenkultur – hin zu einer sesshaften Kultur mit Ackerbau und Landwirtschaft ist die Vorbedingung, dass in der Fläche Schulen gebaut werden können, dass Krankenstationen entstehen. Unsere Landwirtschaftsprojekte haben immer zu tun mit dem Anbau von Früchten. Auf Feldern mittels Bewässerungssystemen und Regenspeicherbecken, aber auch in Gewächshäusern. Parallel dazu bilden sich kleine Dorfgemeinschaften. Oft sind es die Frauen, die Verantwortung übernehmen und kleine Felder bewirtschaften oder Gemüsebeete, um ihren privaten Bedarf zu decken. Frauen sind oft Träger der Entwicklungshilfe. Frauen sind Mütter und denken an die Zukunft der Kinder. Sie haben daher einen anderen Blick auf die Zukunft. Deshalb arbeiten wir viel mit Müttern. Es braucht zudem eine intensive, lange Begleitung, weil die Menschen – geprägt durch ihre Nomadenkultur – nicht wissen, wie Landwirtschaft funktioniert.

Wenn so viel an den Müttern hängt, wie ist es um die Rechte der Frauen in dem Land bestellt?

Es ist eine patriarchale Gesellschaft, die durch Tradition und Islam geprägt ist. Die Männer können sich eine zweite oder eine dritte Frau nehmen, wenn sie sie sich leisten können. Die älteren Frauen in der Familie, auch die Mütter und Schwiegermütter, die Großeltern haben einen relativ starken Stand innerhalb der Familie. Das ist von außen oft nicht zu sehen. Die Beschneidung der Mädchen im Alter von 12 bis 14 Jahren ist allerdings ein riesiges Problem. Und erschreckender Weise sind es vor allem die alten Frauen, die auf die Beibehaltung drängen wegen der Tradition. Es ist enorm schwer, dagegen anzugehen. Gerade bei dem Thema wollen wir aktiv werden und den jungen Mädchen helfen, ohne diesen schlimmen Brauch ins Leben starten zu können.

Vielen Dank für das Gespräch!


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Eine Antwort

  1. Hintergründe zu Somaliland findet man auch hier: https://www.nzz.ch/international/somaliland-eine-sezessionistische-republik-als-vorzeigeland-ld.1625161

    Als Somaliland am 18. Mai 1991 einseitig die Unabhängigkeit ausrief, sprach kaum etwas dafür, dass dieses Projekt Erfolg haben würde: Der nordwestliche Teil Somalias war vom Krieg schwer gezeichnet, ein Grossteil der Bewohner war ins angrenzende Äthiopien geflüchtet, wer geblieben war, war oft schwer bewaffnet und traumatisiert.

    Heute ist Somaliland de facto ein stabiles Staatsgebilde, es besitzt ein abgegrenztes Territorium, eine permanente Bevölkerung und eine gewählte Regierung. Dennoch wird es bis jetzt von keinem Land als unabhängiger Staat anerkannt.

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