Kaum noch Gläubige im Lande Luthers

Kirchen gibt es in Sachsen-Anhalt viel. Gläubige kaum. Warum ist das so? Und was hält Gläubige in der Kirche? Darauf sucht die MDR-Reporterin Marie Landes in ihrer Reportage „Jung, gläubig, ostdeutsch“ Antworten.
Von Jörn Schumacher
Aufgrund seiner Einstellung zu Minderheiten ist Martin Luther für eine Berliner Initiative kein erinnerungswürdiger Name

„Wenn Sachsen-Anhalt eines hat, dann sind es Kirchen“, beginnt die Reporterin Marie Landes in der Dokumentation „Jung, gläubig, ostdeutsch“ ihre Suche nach der Religion in Ostdeutschland. Der halbstündige Film erschien in der MDR-Reihe „exactly“. „Auf eine Kirche kommen weniger als 50 Gläubige. Ausgerechnet im Lande von Martin Luther leben die wenigsten Kirchenmitglieder“, stellt die Journalistin fest.

Statistisch gesehen hat Sachsen-Anhalt, aber auch der Osten Deutschlands insgesamt die niedrigste Anzahl von Menschen, die einen Glauben ausüben. Die Reporterin geht der Frage nach, warum das so ist und besuchte dafür in dem Bundesland Gläubige aus Christentum, Judentum und Islam.

Im Gesamtdurchschnitt gehören 51 Prozent der Deutschen einer der beiden großen Kirchen an. In Sachsen-Anhalt sind es nur 14,7 Prozent. Der Pfarrer der evangelischen Gemeinde in Landsberg im Saalekreis, Werner Meyknecht, sieht einen Grund dafür in der damaligen antikirchlichen Politik der DDR.

Viele jüngere Menschen seien heute der Kirche neutral gegenüber eingestellt, sie hätten kaum Kontakt zu ihr, sagt der 34-jährige Geistliche, dem 20 Kirchen unterstehen. Ältere Menschen hingegen bedauerten oftmals, keinen Kontakt mehr zur Kirche zu haben. Meyknecht ist dennoch überzeugt: „Ich erlebe ein großes spirituelles Bedürfnis, gerade in meiner Generation. Aber es gibt da keine Anknüpfungspunkte bei der Kirche.“

Die MDR-Reporterin traf auch Mara Klein, eine Teilnehmerin der Initiative „Out in church“, bei der im Januar 2022 über 100 Mitarbeiter der Katholischen Kirche öffentlich erklärten, schwul, lesbisch oder queer zu sein. Klein ist trans und will trotz der Schwierigkeiten nicht aus der Kirche austreten. Sie hat ein Buch mit dem Titel „Katholisch und queer“ herausgegeben und hält auf Instagram Input-Vorträge. Auf die Frage, ob sie noch Vertrauen in die Institution Kirche hätten, antworteten 80 Prozent einer Befragung in Sachsen-Anhalt mit Nein, klärt der Film auf.

In Merseburg traf die Reporterin den Muslim Daniel Stahnke, der das Islamische Kulturzentrum mit aufbaute. Das wuchs innerhalb von zehn Jahren von 30 auf mittlerweile 300 Mitglieder an. Schätzungen zufolge gehören 25.000 Menschen in Sachsen-Anhalt dem Islam an.

Mit dem Judentum in Sachsen-Anhalt kommt die Journalistin in Magdeburg in Berührung. Hier spricht Jan Laiter über sein Jüdischsein. Er stellt fest: Rund 95 Prozent der heutigen Juden im Osten seien russischsprachig. „Im Osten wurden viele Gemeinden erst nach der Wende aufgebaut“, klärt der Film auf. „Nur wenige Holocaust-Überlebende kamen zurück. Die DDR beobachtete jüdische Gemeinden kritisch.“ Heute gebe es in Sachsen-Anhalt fünf jüdische Gemeinden.

Bezeichnend ist, dass Laiter unter seiner Baseball-Mütze eine Kippa trägt, die er aber in Magdeburg nicht offen zeigen mag. „Ich habe zwar keine Angst, aber wo ich aufpassen muss, sind S-Bahnen in Berlin.“ Das Schild in Magdeburg, das auf den Neubau einer Synagoge in Magdeburg hinweist, sei schon „sehr, sehr oft demoliert“ worden, sagt Laiter.

Die Reportage „Jung, gläubig, ostdeutsch – im Land der Atheisten“ ist seit dem 30. Mai in der ARD-Mediathek zu sehen sowie ab 17 Uhr auf dem YouTube-Kanal „MDR Investigativ“.

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2 Antworten

  1. „Der Pfarrer der evangelischen Gemeinde in Landsberg im Saalekreis, Werner Meyknecht, sieht einen Grund dafür in der damaligen antikirchlichen Politik der DDR. “

    Es ist doch immer schön einen einfachen Sündenbock zu haben. Als ob vor Gründung der DDR dort alle tief religiös gewesen wären und dann mit Gewalt vom Gottesdienst abgehalten wurden. Das stimmt so einfach nicht.
    Das sich wahre Gläubige auch von einem atheistischen Staat nicht beirren lassen, sieht man ja wenige Kilometer weiter östlich in Polen sehr gut. Dort sind die Menschen auch nach jahrzehntelanger „antikirchlicher“ Politik immer noch sehr religiös.

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  2. Polen ist nicht vergleichbar. Wenn jemand das Studium verweigert wird, aufgrund einer Konfirmation, oder wie mir Christen aus der DDR erzählt haben die Neubauwohnung dann ist das schon antikirchlich.
    Ich war schon auf einer Reise auf Luthers Spuren und in Madgeburg sagte die Stadtführerin, wir müssen ökumenisch arbeiten um als Christen überhaupt registriert zu werden. In der Taufkirche Luthers sagte der Stadtführer in Eisleben die erste Generation nach der DDR fragt wieder nach der Kirche, gerade wenn sie kleine Kinder haben. Die Kirche wird als reine Taufkirche genutzt und ein Becken zum Untertauchen gibt es auch. Eisleben benötigt für den Gottesdienst nicht so viele Kirche wie vorhanden sind.

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