Meinung

Hörenswert, bei aller Kritik: Radiofeature zu den „Ekstatikern Gottes“

Der ORF-Bildungssender Ö1 hat sich in einem dreiteiligen Radiokolleg den „Ekstatikern Gottes“ gewidmet. Gemeint sind damit Freikirchen, Evangelikale und Pfingstler, zwischen denen aber nicht wirklich differenziert wird. Trotz mancher weiterer Kritikpunkte: informativ und interessant gestaltet ist es dennoch. Von Raffael Reithofer
Von PRO
Moderne Lobpreismusik gehört bei vielen Evangelikalen zum Gottesdienst dazu

Im Radiokolleg des österreichischen Bildungssenders Ö1 widmet sich der ORF wieder einmal einem Thema, das sich immer wieder dafür eignet, journalistisch zugespitzt zu werden: den Freikirchen. Die Reihe beschäftigt sich Woche für Woche ausführlich mit ganz unterschiedlichen Sachthemen beschäftigt und möchte sie umfassend erklären. Nun also in drei Folgen die „Ekstatiker Gottes“. Um eine Meuchelreportage handelt es sich trotz des eher unglücklichen Titels – bei dem man vor allem an radikale Pfingstler denkt – nicht, um eine durchgehend faire Einordnung des Themas aber auch nicht.

Denn obwohl im Laufe des Radiofeatures eine Expertin zu Wort kommt, die betont, man dürfe die verschiedenen Untergruppierungen der Freikirchen aufgrund ihrer Verschiedenheit nicht in einen Topf werfen, macht der Gestalter der Sendung, der österreichische Journalist Günter Kaindlsdorfer, stellenweise genau das. Etwa dann, wenn ein offenbar pfingstlerischer Prediger bei seiner geradezu geschrienen Predigt im „Maschinengewehr Gottes“-Stil zu hören ist und der Journalist anschließend von „den Evangelikalen“ spricht. Hier hätte eine begriffliche Einordnung gut getan – sonst wirkt es so, als wären geschriene Predigten bei den Evangelikalen insgesamt Usus.

Dasselbe gilt etwa auch für Zungenrede. Auch dazu gibt es nämlich einen als Einspieler: „Jata! Jata! Jata! Engja! Enigja queti sata!“ Aus der Medienlogik heraus ist es natürlich verständlich, gerade die abseitigen, die schrägen Facetten einer heterogenen Gruppe wie der Freikirchen zu betonen. Denn aus eher langweiligen Phänomenen lässt sich nur schwer eine gute Story machen, wie der Autor dieser Zeilen aus seiner eigenen journalistischen Arbeit weiß. Gleichzeitig sollte aber nicht so getan werden, als sei das Abseitige und Schräge für die Freikirchen repräsentativ, wie es der Autor des Features zumindest implizit teilweise tut.

Zwischen informativ und tendenziös

Der erste Teil des Radiokollegs von Ö1 führt in das Phänomen Freikirchen, Evangelikale und Pfingstler allgemein ein – dazwischen aber nicht wirklich differenzierend – und wirft die Frage auf, wieso die Freikirchen weltweit so schnell wachsen. Eine inhaltlich erschöpfende Antwort gibt es hier abgesehen von einigen in der Sache sicher richtigen Bemerkungen zu der engen, herzlichen Gemeinschaft, nach der sich viele Leute sehnen würden, nicht. Der zweite Teil des Radiodreiteilers ist am informativsten: Hier wird ausgehend von der Reformation die Geschichte der verschiedenen freikirchlichen Bewegungen und ihrer Vorläufer wie etwa der Pietisten und der Puritaner erzählt.

Auch fällt dabei der Blick darauf, dass es die Freikirchen im dank der Gegenreformation stark katholisch geprägten Österreich traditionell sehr schwer hatten, seit Mitte des 20. Jahrhunderts aber deutlich wachsen. Laut Schätzung des Pfarrers und Freikirchen-Experten Frank Hinkelmann – der sich im Übrigen selbst als Teil des evangelikalen Lagers sieht und somit als einziger Insider als Experte im Radiokolleg zu Wort kommt – machen sie mittlerweile rund 60.000 Menschen aus. Abgesehen von Hinkelmann wird noch ein Pastor einer Pfingstgemeinde kurz zitiert – diese Interviewsequenz kam jedoch aus der Retorte des ORF-Fernseharchivs. Von der offiziellen Religionsgemeinschaft „Freikirchen in Österreich“ kommt hingegen gar kein Vertreter zu Wort.

Der dritte Teil des Radiokollegs ist hingegen zwar interessant, aber eher tendenziös. Hier stehen vor allem drei Aussteigerinnen und Aussteiger im Mittelpunkt, die innerhalb verschiedener freikirchlicher Gemeinschaften groß geworden sind: ein pensionierter deutscher Verwaltungsbeamter, der in einer Pfingstkirche aufgewachsen ist und ein Buch darüber geschrieben hat, wie er seine Kindheit und Jugend in dem streng gläubigen Umfeld als psychisches Martyrium erlebt hat; eine österreichische Kulturjournalistin, die mit ihrem bulgarischen Elternhaus in einer Gemeinde der Siebenten-Tages-Adventisten aufgewachsen ist; und eine österreichische Musikerin, die ebenfalls zu einer Pfingstkirche gehörte. Letztere ist auch die einzige der drei Aussteiger, die für die Freikirche, die sie besucht hatte, versöhnliche Worte übrig hat. Trotzdem: Das, was der pensionierte Beamte über sein psychisches Martyrium in der strengen Pfingstkirche erzählt, wie etwa die Angst vor der Hölle seine kindliche Persönlichkeitsentwicklung behindert hat, ist ein authentisches Lebenszeugnis. Davon sollten auch Christen selbstkritisch lernen. Aus seiner Sicht ist es daher verständlich, dass er sich nach einem langen inneren Kampf heute „als wirklich glücklich und religionsfrei“ bezeichnet.

Nicht alle Evangelikale leben in Naherwartung der Wiederkunft Christi und wollen möglichst viele Kinder

Eine ausgewogene journalistische Darstellung hätte hier aber freilich auch betonen sollen, dass es diese negativen Erfahrungen gerade im freikirchlichen Bereich zwar gibt und man diese niemals schönreden sollte, dass es gleichzeitig aber natürlich auch das Gegenteil gibt: Menschen, denen ihr Glaube dabei geholfen hat, ein besseres, erfüllteres Leben zu führen. Jemanden mit einer solchen Erfahrung zu Wort kommen zu lassen, hätte den dritten und letzten Teil des Features daher differenzierter gemacht, wenn der Hörer davon einen Eindruck von „den Evangelikalen“ bekommen soll. Dass die Sendung als einen der drei Aussteiger zudem ausgerechnet ein ehemaliges Mitglied der Siebenten-Tages-Adventisten zu Wort kommen lässt, die mit einigen Sonderlehren für die Freikirchen als solche kaum repräsentativ ist, ist ebenfalls problematisch. Eine weitere Unschärfe, die sich durch das Feature durchzieht, sind falsche Generalisierungen über Theologie und Werte der evangelikalen Christen: Etwa, dass „viele, wenn nicht alle“ Evangelikale in der Naherwartung der Wiederkunft Christi lebten oder dass „Vater, Mutter und möglichst viele Kinder“ das Familienbild der Evangelikalen sei.

Ganz am Ende verweist das Feature auf eine private Initiative von Freikirchen-Aussteigern. Das hat einen eher fahlen Beigeschmack: Es suggeriert, dass Freikirchen per se problematisch sind und man wissen sollte, wie man da wieder rauskommt. Was die Freikirchen in einem positiven Sinne auszeichnet, findet im Feature kaum Erwähnung. Insgesamt ist das Radiokolleg von Ö1 über die „Ekstatiker Gottes“ trotz allem eine interessante Sendung, in der man einerseits viel über die Geschichte der Freikirchen lernen kann. Und auch so einiges darüber, wie es manchen Aussteigerinnen und Aussteigern psychisch geht. Über diese beiden Aspekte mehr zu erfahren, ist gerade auch für Christen wert- und sinnvoll.

Aufgrund der gesetzlichen 7-Tage-Download-Beschränkung für ORF-Inhalte ist das Radiokolleg „Die Ekstatiker Gottes“ in der ORF-Radiothek nicht mehr gratis verfügbar. Von der Ö1-Website lässt sich die gesamte Radiosendung jedoch noch gegen eine Jahresgebühr von 39 € (die insgesamt zu 360 Downloads berechtigt) innerhalb der nächsten drei Wochen herunterladen:

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Eine Antwort

  1. Die „Freikirchen in Österreich“ präsentieren jetzt auf ihrer Webseite meine ausführliche Stellungnahme zu jenem Radiokolleg: über die Evangelikalen: https://freikirchen.at/news.php?news=MTU=

    Darin bringe ich viele Zitate aus dem Radiokolleg und überprüfe sie auf ihren Wahrheitsgehalt. Daraus ergibt sich vermutlich ein noch vernichtenderes Urteil über das Radiokolleg als bei Reithofer, dem ich im Wesentlichen zustimme – er versucht differenziert zu bewerten.

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