Meinung

Hat Benedikt XVI. gelogen?

Benedikt XVI. hat eine Stellungnahme zu den Missbrauchsfällen im Erzbistum München korrigiert. Hat der Ex-Papst vorher gelogen?
Von Nicolai Franz
Benedikt XVI.

Ist der emeritierte Papst Benedikt XVI. ein Lügner? Das könnte man meinen, wenn man nach einigen Medien geht. Die Bild-Zeitung titelte online: „Du sollst nicht lügen.“ Sat.1 („Papst Benedikt räumt Lüge ein“), der Tagesspiegel („Die Lüge des ehemaligen Papstes“) und andere stimmten mit ein.

Was war passiert?

Am 20. Januar wurde ein Gutachten über Missbrauchsfälle im Erzbistum München und Freising präsentiert. Die zuständige Anwaltskanzlei hatte dafür auch den emeritierten Papst um eine Stellungnahme zu vier Missbrauchsfällen gebeten. Denn die fielen in seinen Zuständigkeitsbereich, als er dort als Erzbischof Joseph Kardinal Ratzinger verantwortlich war.

Der Ex-Papst gab eine 82-seitige Stellungnahme ab. Er verurteilte darin den Missbrauch und gab an, dass sich die Beteiligten damals entsprechend dem damaligen „Zeitgeist“ verhalten hätten. Will meinen: Opfer wurden nicht so ernst genommen wie heute, nötige Konsequenzen blieben oft aus.

Außerdem gab Benedikt XVI. an, an einer wichtigen Sitzung am 15. Januar 1980 nicht teilgenommen zu haben. Das kann aber nicht stimmen, Ratzinger muss dabei gewesen sein. Er war laut Protokollen nicht als abwesend notiert, außerdem ging es bei dem Gespräch um Inhalte, die nur er zuvor gekannt haben kann.

Nicht jede Unwahrheit ist eine Lüge

Benedikt bekam das 1.900 Seiten starke Gutachten per PDF geschickt, seither ackert der Hochbetagte es durch. Irgendwann muss er gestutzt haben: An der Sitzung hatte er doch teilgenommen. Sofort ließ er seinen Privatsekretär Georg Gänswein den Fehler verkünden, die Aussage in seiner Stellungnahme sei falsch. Dies sei keine „böse Absicht“ gewesen, sondern „Folge eines Versehens bei der redaktionellen Bearbeitung seiner Stellungnahme“.

Hat der Papst also gelogen? Das ist eher unwahrscheinlich. Dass er die Unwahrheit verbreiten ließ, ist zwar richtig. Ein Irrtum ist aber noch keine Lüge. Erst wenn man „wissentlich die Unwahrheit“ sagt, lügt man. Gut möglich, dass sich der 94-jährige Benedikt XVI. schlicht geirrt hat – oder dass seine Mitarbeiter einen Fehler gemacht haben. Wenn er gelogen hätte, hätte dem immer noch scharfgeistigen Kirchenmann klar sein müssen, dass sich das durch Protokolle widerlegen lässt. Die Posse um seine Sitzungsteilnahme jedenfalls taugt nicht zum Skandal.

Viel schwerer wiegt, was die Gutachter über Ratzingers Darstellungen insgesamt sagen. Zum Beispiel, dass es kaum vorstellbar sei, dass er über die Missbrauchsfälle wenig informiert gewesen sei. Oder dass es so etwas wie einen „Zeitgeist“, der Missbrauchsfälle als Bagatellen abtue, in den 1970ern und 1980ern überhaupt gegeben habe.

Benedikt XVI. will sich später noch umfassend äußern. Die Indizien sprechen dafür, dass eine Entschuldigung fällig ist. Das liegt für den tieffrommen Mann allerdings in seiner Verantwortung. Und zwar auch vor Gott.

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

6 Antworten

  1. Tolle Aufarbeitung der eigenen Schuld. Die Missbrausfälle sind vermutlich auch irgendwie aus Versehen passiert…

    0
    0
    1. Was ist Ratzingers eigene Schuld?
      Ihr Beitrag klingt so, als seien Sie überzeugt, Ratzinger habe auch Jungs missbraucht.

      0
      0
  2. Leider war (und ist) der Zeitgeist viel schlimmer als wir uns das vorstellen wollen.

    Den damaligen „Vordenkern“ des Zeitgeistes fehlte jedes Schuldbewusstsein, jedes Mitgefühl mit den Opfern von Pädophilie:
    „Die Berliner Grünen haben bis Mitte der neunziger Jahre pädophile Mitglieder in ihren Reihen geduldet. Frauke Homann, einstige Sozialarbeiterin in Berlin-Kreuzberg, spricht über das Netzwerk der Pädophilen, über Vertuschung und die Fehler der Grünen.“
    „Der Prozess war öffentlich, mit vielen Zuschauern. Da trat eine Unterstützergruppe auf – und zwar nicht für die Opfer, sondern für die Angeklagten. Es waren Männer, die T-Shirts mit dem Aufdruck „AG Pädophilie“ trugen. Ich war baff. Neben mir saß ein Mann, der sich höflich als ehrenamtlicher Richter am Sozialgericht vorstellte und sich ebenfalls zu der pädosexuellen AG bekannte. So viel Dreistigkeit hatte ich nicht erwartet. Auf dem Gang vor dem Gerichtssaal saßen die minderjährigen Zeugen zeitweise mitten unter den Pädophilie-Aktivisten. Die betroffenen Jungen wirkten eingeschüchtert – ein absurdes Schauspiel.“
    https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/paedophilie-vorwuerfe-die-gruenen-muessen-den-taetern-ein-gesicht-geben-13603508.html

    0
    0
  3. Der Umgang mit Pädophilie bei den Grünen fiel mir in diesem Zusammenhang auch gleich ein. Allerdings fällt es mir dann doch recht schwer, den katholischen und den grünen Zeitgeist der 70er und 80er Jahre irgendwie zusammen zu denken. Da sind die beiden Organisationen „Die Grünen“ und „die RKK“ dann insgesamt viel zu unterschiedlich – bis heute.

    0
    0
  4. Es ist natürlich nicht nachweisbar, dass er gelogen hat. Wir können Gott sei dank nicht seine Gedanken lesen. So eindeutig die Unwahrheit zu sagen ist aber ein großes Problem. Er hatte Zeit seine Antwort zu durchdenken. Nach ca 40 Jahren hätte man durchaus fehlende Erinnerung reklamieren können oder auf die Unterlagen zurückgreifen. In einer konkreten Frage und in diesem Gesamtzusammenhang die Unwahrheit zu sagen erscheint einem so gelehrten Mann nicht geschehen zu können. Hier drängt sich der Verdacht auf, sich für Unantastbar zu halten. Die alten Fälle könnte man evtl. mit der damaligen Situation erklären, aber man kann sie damit nicht verteidigen. Bei den Altfällen fehlt es klar an dem Versuch die Wahrheit zu sagen. Bei neueren Fällen ab ca 1990 ist aus meiner Sicht der Punkt erreicht, wo das Verhalten der Bischöfe unentschuldbar erscheint. Das Strafrecht lässt da selbst heute Vorgesetzten zuviel Handlungsspielraum. Die Bischöfe als Vorgesetzte dürfen keinen Handlungsspielraum mehr bekommen, die Taten nicht anzuzeigen.

    0
    0
  5. Ein unfairer Kommentar – der lediglich konzediert, dass Josef Ratzinger nicht gelogen habe.
    Aber „Die Indizien sprechen dafür, dass eine Entschuldigung fällig ist.“ – welche Indizien denn ?
    Das scheint heute ja üblich, nach wolkigen Spekulationen wird moralisiert, werden Entschuldigungen gefordert: Aber mal konkret, WOFÜR sollte sich der Papst denn „entschuldigen“?

    1
    0

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen