Haiti-Missionar: „Es braucht Geduld“

In Haiti herrscht Ausnahmezustand. Die politische Situation ist instabil, Bandenkriege und wirtschaftliche Not beherrschen das Land. Mittendrin ist das Missionarsehepaar Schaller. Sie wollen bleiben, solange es die Kirchenleitung erlaubt.
Von Johannes Blöcher-Weil
Einblick in ein Armenviertel Haitis

„Die Lage in Haiti ist schwierig und verfahren“, beschreibt Reinhard Schaller die aktuelle Situation in Haiti. Er und seine Frau sind seit etlichen Jahren als Missionare in dem Karibikstaat, der immer wieder wegen der Gewalt in dem Land in den Schlagzeilen auftaucht. „Niemand kann sagen, was in den nächsten Wochen oder Monaten passiert. Weite Teile der Hauptstadt werden von Banden kontrolliert.“

Von den Ereignissen berichten zahlreiche Medien. Am vergangenen Montag versuchten schwer bewaffnete Personen vergeblich, die Bank der Republik Haiti zu stürmen. Immer wieder werden Tankstellen, Banken, Geschäfte oder Wohnungen in wohlhabenderen Gegenden überfallen. An manchen Orten richten die Banden auf der Straße ein Blutbad an.

Mittlerweile ist von mehr als 300.000 Binnenflüchtlingen die Rede. Die Zahl der Toten ist unklar. Manche Medien berichten von Leichen auf offener Straße, die wegen der Sicherheitslage nicht bestattet werden konnten. Die Schallers selbst leben im Südwesten des Landes, auf den sich die Bandenkriminalität noch nicht ausgeweitet und das öffentliche Leben lahmgelegt hat.

„Banden nutzen Schwäche der Regierung aus“

Für Schaller ist die Situation nichts Neues. Eine Besserung scheint nicht in Sicht: „Die Banden nutzen die schwache Regierung aus und nehmen immer größere Teile der Hauptstadt in Besitz. Das lähmt alle wirtschaftlichen Aktivitäten sehr stark.“ Die wenigen Firmen, die produzieren, würden angegriffen, geplündert und teilweise zerstört. Wer die Hauptstadt passiere, müsse Schutzgelder für die Durchfahrten bezahlen.

Die Bandengewalt habe die bestehenden Probleme nur verstärkt: „In Haiti ist alles zentralistisch auf Port-au-Prince ausgerichtet.“ Weil alles über den Hafen dort importiert werde, seien die Einfuhren gefährdet, erklärt Schaller. Seit Wochen gebe es keinen Flugverkehr mehr. Damit seien auch keine Evakuierungen mehr möglich.

Wenn sich die Banden auch im Südwesten etablieren, sähe Schaller die eigene Arbeit als Missionar gefährdet: „Bisher hat die örtliche Polizei noch Oberhand und unsere Arbeit ist nur bedingt beeinträchtigt.“ Dazu gehören die fehlenden Importe, die das Leben teurer machen. Durch das Flugverbot kommen natürlich auch keine Missionare oder Organisationen mehr ins Land.

Kaum Nachhaltigkeit gewährleistet

Kritisch sieht Schaller die geleistete Entwicklungshilfe der letzten Jahre. Manches sei sinnvoll, anderes eher schädlich gewesen: „Häufig wälzt es die Eigenverantwortlichkeit ab und führt dann zur Bequemlichkeit und Abhängigkeiten vom Ausland.“ Das Land und seine Einwohner sollten lernen, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. Falls Gelder nicht mehr fließen, höre das Entwicklungshilfeprojekt auf und die Ausländer gingen weg. So gebe es kaum Nachhaltigkeit.

Schaller blickt mit großer Ungewissheit in die Zukunft. Nicht einmal die Haitianer seien sich einig und hätten eine klare gemeinsame Linie für die Zukunft ihres Landes: „Auf keinen Fall möchten sie zu viel Einmischung von außen.“ Das Ehepaar Schaller möchte in dem Land bleiben, solange sie ihre Arbeit weiter fortführen kann: „Letztendlich folgen wir dem Rat unserer Kirchenleitung. Wir würden erst auf deren Vorschlag hin das Land verlassen.“

Dabei ist Geduld gefragt: „Es bleibt uns eigentlich nichts anderes übrig als abzuwarten, wie sich die Lage entwickelt. Selbst ein neuer Präsident kann nicht einfach tausende kriminelle Bandenmitglieder entwaffnen.“

Haiti

Die aktuelle Situation hat große Teile des Karibikstaates lahmgelegt. Die Banden wollen den Rücktritt des nicht demokratisch gewählten Interimspremierministers Ariel Henry erzwingen. Eigentlich hätte dieser Anfang Februar sein Amt aufgeben sollen. Am 12. März hat er seinen Rücktritt zumindest angekündigt.

Die Banden haben während eines Auslandsbesuchs Henrys in Kenia die Macht über die Straßen übernommen. Sie haben Gefängnissen gestürmt und über 3.000 Insassen befreit. In der Hauptstadt Port-au-Prince wurde der Notstand ausgerufen. Der deutsche Botschafter sowie der Ständige Vertreter Haiti haben das Land verlassen und sind in die Dominikanische Republik ausgereist. Ähnlich reagierten die USA und die EU für Teile ihres Personals vor Ort.

Der Evangelische Pressedienst meldete, dass „große, gut bewaffnete Banden“ das Staatswesen herausforderten. Zusätzlich zum Notstand hatte die Regierung nächtliche Ausgangssperren ausgerufen. Auch das Gesundheitssystem des Landes stehe vor dem Kollaps. Laut den Vereinten Nationen gebe doppelt so viele Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, wie vor fünf Jahren.

Tausende Familien müssten um zu überleben aus den Gebieten fliehen, die von den Banden kontrolliert werden. Diese blockierten auch Lebensmitteltransporte und sorgten für Hungersnöte. Die Krise in Haiti, das seit 2021 an den Folgen eines schweren Erdbebens leidet, wirkt sich auch auf die übrigen Länder der Region aus.

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