Gesetze für Sterbehilfe fallen durch

Die Neuregelung der Suizidhilfe ist gescheitert. Am Donnerstag fielen zwei Entwürfe, die Sterbehilfe legalisieren sollten, im Deutschen Bundestag durch. Vorangegangen war harte Kritik aus Fachverbänden.
Von Anna Lutz

Deutschland bekommt vorerst kein Sterbehilfegesetz. Zur Abstimmung kamen am Donnerstag zwei Gesetzesvorlagen, an denen jeweils Politiker aller Parteien mit Ausnahme der AfD beteiligt waren. Beide standen – wie durch ein Bundesverfassungsgerichtsurteil aus dem Jahr 2020 vorgegeben – für eine breitere Akzeptanz von Suizidhilfe in Deutschland. Die Aussprache fand ohne Zwischenfragen und Interventionen statt. Die Abstimmung selbst sah wie bei anderen bioethischen Themen auch keinen Fraktionszwang vor. 

Ein Antrag von unter anderem verschiedenen kirchenpolitisch engagierten Abgeordneten wie Lars Castellucci (SPD) oder Benjamin Strasser (FDP) stellte den Lebensschutz in den Mittelpunkt, indem er ein breites Schutzkonzept für Suizidwillige mit Verankerung im Strafrecht formulierte. Dafür stimmten insgesamt 304 Abgeordnete, 363 dagegen. Ein zweiter Vorschlag von Katrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne) betonte das Selbstbestimmungsrecht zentral und galt deshalb als der liberalere beider Entwürfe. Diesen befürworteten 287 Abgeordnete. 375 stimmten mit Nein.

Beide Vorlagen setzten Grenzen der Selbstbestimmung beim Sterben, der Castellucci-Vorschlag etwa, indem er eine mehrstufige Beratungspflicht mit einer Dauer von mindestens drei Monaten durch Experten aus der Psychologie mit Verankerung im Strafrecht vorsah. Der Helling-Plahr-Vorschlag setzte die Grenzen niedriger. Er sah etwa eine einmalige Beratung frühestens drei Wochen vor dem Suizid vor – ähnlich wie beim Schwangerschaftsabbruch. Der Vorschlag forderte keine strafrechtliche Ahndung bei Verstößen.

Beide Entwürfe hätten es ermöglicht, dass todbringende Medikamente durch Ärzte verschrieben werden können. Und beide Entwürfe hätten die Arbeit von sogenannten Sterbehilfevereinen ermöglicht – im Gegensatz zum Vorgängergesetz, das im Jahr 2020 von den Verfassungsrichtern gekippt wurde. Ohne Gesetz bleibt es nun beim Status Quo: Rechtlicher Unsicherheit und der weitgehend unregulierten Arbeit von Sterbehilfevereinen.

Lebensschutz oder Selbstbestimmung

Vor der Abstimmung warben beide Gruppen für ihre Positionen. Helling-Plahr sagte im Deutschen Bundestag: „Einen gegen die Autonomie gerichteten Lebensschutz kann und darf es nicht geben.“ Die Politik dürfe nicht mit dem Strafrecht drohen und leidenden Menschen monatelange Wartezeiten auf Facharzttermine zumuten. 

Foto: Katrin Helling-Plahr MdB
Katrin Helling-Plahr

„Einen gegen die Autonomie gerichteten Lebensschutz kann und darf es nicht geben.“

Katrin Helling-Plahr (FDP)

Castellucci: entgegnete: „Niemand in diesem Land soll sich gedrängt fühlen in einen assistierten Suizid hinein.“ Suizidwünsche seien oft nicht dauerhaft, daher missachte eine einmalige Beratung nach dem Vorschlag von Helling-Plahr das Verfassungsgerichtsurteil, das einen freien Willen fordere. „Ich mache mir Sorgen um die Einsamen, die Zurückgelassenen, die, die denken, sie fallen anderen nur noch zur Last“, sagte Castellucci, und weiter: „Wir als Gesellschaft sollten ihnen zurufen: Dein Leben ist etwas wert.“

Lars Castellucci Foto: SPD Presse
Lars Castellucci

„Ich mache mir Sorgen um die Einsamen, die Zurückgelassenen, die, die denken, sie fallen anderen nur noch zur Last.“

Lars Castellucci (SPD)

Künast nannte den Vorschlag Castelluccis eine Konstruktion, die bei potenziellen Helfern Angst vor strafrechtlichen Verfahren schüre. Auch der Schutz des Lebens habe da Grenzen, wo die Selbstbestimmung beginne.

Strasser sagte, es gehe bei der Neuregelung der Suizidhilfe eben nicht nur um Selbstbestimmung beim Sterben, sondern auch beim Leben. „Deshalb ist ein Schutzkonzept so entscheidend.“ Denn es rücke auch Suchtkranke oder sozial Benachteiligte in den Fokus und verhindere, dass sie unter Druck eine Entscheidung zum Suizid träfen.

Abgeordnete der AfD lehnten offenbar beide Entwürfe ab. Thomas Seitz aus der Fraktion erklärte: „Besser, der Bundestag bestimmt heute keine Regelung, als eine schlechte.“ Zugleich beklagte er einen Ausschluss von Politikern seiner Fraktion von der Beteiligung an den vorliegenden Gesetzesentwürfen. Beatrix von Storch wandte sich ebenfalls gegen beide Entwürfe: „Gegen sozialen Druck hilft keine Beratungspflicht.“ Und: „Anfang und Ende des Lebens liegen allein in Gottes Hand, daran glaube ich.“

Änderungen bis kurz vor der Abstimmung

Bis kurz vor der Beratung gab es noch Änderungen an den Anträgen. So standen ursprünglich drei Vorschläge zur Abstimmung, zuletzt entschieden sich Renate Künast und Katrin Helling-Plahr, ihre beiden Vorschläge zusammenzulegen, um mehr Zustimmung für ihre Entwürfe zu generieren. 

Auch beim Castellucci-Entwurf wurden auf den letzten Metern noch Änderungen vorgenommen. So ruderte die Gruppe beim Werbeverbot für Suizidhilfe zurück. Ein solches soll es zwar weiterhin geben, es wird aber nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Zudem formulierte der Antrag zuletzt eine Schutzraumklausel. Die bedeutete konkret, dass zum Beispiel kirchliche Einrichtungen nach eigenem Ermessen Werbung in den eigenen Räumen zulassen kann oder eben nicht. 

Am Ende wurde zumindest ein Antrag angenommen: Geschlossen forderten die an den Gesetzesvorlagen beteiligten Fraktionen des Deutschen Bundestages die Bundesregierung dazu auf, ein Suizidpräventionsgesetz zu verantworten. Zuletzt hatten Bundesärztekammer und andere Fachverbände einen Mangel an Suizidprävention in beiden Gesetzesentwürfen beklagt. 

Protest gegen übereilte Abstimmung

Vor den Türen des Bundestages demonstrierten während der Aussprache Lebensschützer. Im Vorfeld teilte der Bundesverband Lebensrecht mit: „Ein humaner Staat wird alles dafür tun, um den Suizid durch die Unterstützung engagierter Angehöriger, durch lebensbejahende Angebote und individuelle Hilfe zu verhindern. Er wird niemals etwas tun, um die Tötung von Menschen zu billigen und zu fördern.“

Auch die Fachverbände kritisierten zuletzt vor allem den Entwurf von Helling-Plahr, aber auch jenen der Gruppe Castellucci. Die Vorschläge seien unausgereift und entsprächen nicht psychiatrischer Expertise. Bundesärztekammer und Palliativmediziner hatten deshalb gefordert, die Abstimmung zu vertagen. Auch die Unionsfraktion hatte zuletzt versucht, den Tagesordnungspunkt zu verschieben. Nun geht die Suche nach einer neuen Regelung der Sterbehilfe in Deutschland wohl in eine weitere Runde. Oder die Politik verzichtet langfristig auf ein Gesetz.

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