Meinung

EKD in der Sterbehilfedebatte: Warum so vage?

Zu einer der wichtigsten ethischen Fragen der vergangenen Jahre, der Suizidassistenz, äußert die EKD keine klare Haltung. Ganz anders ihre katholischen Geschwister.
Von Nicolai Franz
Das Bundesverfassungsgericht leite aus dem Recht, Suizidbeihilfe in Anspruch zu nehmen, keine Verpflichtung für Ärzte ab, diese Suizidhilfe auch zu leisten

Der Deutsche Bundestag steht am Donnerstag vor einer Entscheidung von historischer Bedeutung: Er muss regeln, wer sich unter welchen Umständen das Leben nehmen und wer ihm wie dabei helfen darf. 

Eine Entscheidung von zutiefst ethischer Tragweite also. Und damit ein Thema für die Kirchen.

Denn von wem darf man eher Orientierung erwarten, wenn es um Fragen nach Leben und Tod geht, als von den Institutionen, die sich wie keine andere um Kranke und Sterbende kümmern? 

Umso mehr irritiert es, wie vage der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sich Ende Juni positioniert hat – wenn man überhaupt von einer Positionierung sprechen kann.

Nötig geworden ist die Neuregelung, weil das Bundesverfassungsgericht 2020 erklärt hatte, dass das „selbstbestimmte Sterben“ zum „Ausdruck persönlicher Autonomie“ gehöre. Zu dem Recht gehöre auch, sich das Leben zu nehmen – oder es sich von anderen nehmen zu lassen. 

Das bedeutete, dass das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe, das damals noch nicht alt war, teilweise verfassungswidrig ist. Eine Neuregelung musste her.

Ein liberaler und ein strikterer Entwurf

Der Gesetzgeber muss assistierten Suizid also erlauben. Er muss aber dafür sorgen, dass der Betroffene die Entscheidung wirklich frei getroffen hat.

Zwei Gesetzesentwürfe liegen nun vor. Sie stammen jeweils von Politikern verschiedener Parteien. Einer ist strenger, der andere liberaler. 

  • Der strengere Entwurf von Lars Castellucci (SPD) und anderen Abgeordneten will die Suizidassistenz im Strafrecht verankern. Demnach müssen Menschen, die sterben wollen, zweimal innerhalb von drei Monaten einen Facharzt für Psychiatrie oder für Psychotherapie aufsuchen. Dieser muss bestätigen, dass der Sterbewillige nicht durch psychische Erkrankungen beeinflusst ist. Danach kann er ein todbringendes Mittel erhalten.
  • Der liberalere Entwurf von Renate Künast (Grüne), Katrin Helling-Plahr (FDP) und anderen will ein Beratungsnetzwerk etablieren. Auch hier gilt eine Beratungspflicht. Die kann man aber umgehen, wenn ein „Härtefall“ vorliegt, bei dem eine Landesbehörde das Mittel zum Suizid sofort verschreiben kann. Und selbst im Normalfalle müssen nach dem Beratungsgespräch lediglich drei Wochen vergehen, bis der Sterbewillige das todbringende Mittel erhält. 
    Anfang des Monats Beratung, am Ende des Monats bereits gestorben – das wäre die Realität, die der liberale Entwurf vorsieht. 

Es kann nur verwundern, dass sich der Rat der EKD noch nicht einmal dazu durchringen kann, den liberaleren Entwurf explizit abzulehnen. Denn würde der Plan von Künast und Helling-Plahr umgesetzt, droht die Gefahr, dass Suizid immer mehr zur Normalität wird. Allein die Drei-Wochen-Frist, die der Entwurf setzt, ist viel zu gering angesetzt. Er stellt die Selbstbestimmung des Suizidwilligen in den Vordergrund, während der Castellucci-Entwurf den Schutz des Lebens betont.

Die Kirche wäre dazu aufgerufen, alles dafür zu tun, dass ein Mensch sich nicht das Leben nimmt, wenn auch nur der geringste Verdacht besteht, dass er das nicht aus freien Stücken tut: Zum Beispiel Alte und Kranke. Menschen, die sich wertlos fühlen. Menschen in einer Psychose, die mit Medikamenten womöglich gar keinen Todeswunsch mehr hätten. Sie drohen, im Stich gelassen zu werden, weil der Zugang zur Suizidassistenz viel zu leicht wäre.

Der Rat der EKD forderte in seiner Stellungnahme von Ende Juni, es dürfe „nicht zur gesellschaftlichen ‚Normalität‘ werden, sich das Leben zu nehmen oder anderen dabei zu helfen“. Das wird wahrscheinlich kaum jemand wollen. Die Abgeordneten des Bundestages stehen aber vor der konkreten Frage, wofür sie stimmen sollen: Für einen der beiden Anträge – oder für keinen. Bei der EKD finden sie dazu wenig bis keine Orientierung.

Hilfe bei Suizidgedanken

Denken Sie darüber nach, sich das Leben zu nehmen? Holen Sie sich Hilfe, zum Beispiel bei der Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.

Zwar nennen die Protestanten einige grundsätzliche Werte, die bei dieser Debatte eine Rolle spielen. Es fällt jedoch schwer, herauszulesen, welchen konkreten Entwurf sie nun befürworten. Oder ob sie beide ablehnen.

Über die Gründe kann man nur spekulieren: Vielleicht wollte der EKD-Rat nicht zu direkt in die politische Willensbildung eingreifen. Vielleicht er ist in dieser Frage auch uneins, oder, wie es in der evangelischen Kirche in solchen Fällen oft heißt: „vielstimmig“. Eine Entscheidungshilfe ist die EKD-Stellungnahme für den aktuellen Fall jedenfalls kaum.

Katholiken äußern sich klar

Da hilft auch nicht der Hinweis in der EKD-Stellungnahme, dass „weder Personen noch Institutionen zur Suizidbeihilfe verpflichtet werden dürfen“ – genau das sagt nämlich bereits das Karlsruher Urteil.

Ganz anders positionierte sich der katholische Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz: In einem längeren Text vom 2. Juli wägt er sehr sorgsam ab, was aus christlicher und gesellschaftlicher Sicht wichtig ist für die Neuregelung der Suizidassistenz. 

Sein Kriterium: „Wir müssen als Gesellschaft darauf achten, dass keine Situation entsteht, in der ein älterer oder kranker Mensch oder ein Mensch in einer existenziellen Krise eher eine gute Infrastruktur der Suizidassistenz vorfindet als ausreichende und angemessene Rahmenbedingungen, um sich vertrauensvoll in Pflege zu begeben, Hilfe zu erhalten und Hilfe anzunehmen.“

Katholiken und Protestanten uneins

Im liberalen Entwurf bemängelt Bätzing unter anderem, es gebe keine Vorgaben für die fachliche Qualifikation der Ärzte, die das tödliche Mittel verschreiben, und keine verpflichtende Einbindung von Psychotherapeuten oder Psychiater. Und: „Die Bewertung, ob ein freiverantwortlicher Wille vorliegt, soll der ärztlichen Einschätzung, unterstützt durch die Beratungsbescheinigung im konkreten Einzelfall, vorbehalten bleiben. Dies gilt auch für Fälle der Demenz oder psychischen Störung.“

Es komme darauf an, „welche Signale der Gesetzgeber mit der Neuregelung des assistierten Suizids an die Gesellschaft sendet“. Daher lehnt er im Namen der Bischofskonferenz den Entwurf von Künast und Helling-Plahr ab und befürwortet den Vorschlag des Sozialdemokraten Castellucci und weiterer Abgeordneter, die dem Schutz des menschlichen Lebens eine wesentlich höhere Bedeutung beimessen.

Die EKD will eine Rolle in der gesellschaftlichen Debatte spielen. Gut so. Aber wenn sie sich weiterhin so unklar äußert, muss sie sich nicht wundern, wenn sie aus der medialen Öffentlichkeit immer weiter verschwindet.

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen