Verzeihung, bitte!

Kann eine Holocaust-Überlebende ihren Peinigern vergeben, oder ein gehörnter Ehemann der untreuen Frau? Das Wochenmagazin stern widmet sich in seiner aktuellen Ausgabe dem Verzeihen.
Von Norbert Schäfer
Wer einem anderen Menschen verzeihen kann, lebt gesünder. Das haben Studien gezeigt.

In der Titelgeschichte der aktuellen Ausgabe des Wochenmagazins stern geht es um das Verzeihen. Autor Tobias Schmitz geht in einem Artikel der Frage nach, warum Verzeihen wichtig für die Seele eines Menschen ist. Auch Bezüge zum christlichen Glauben werden darin deutlich.

In dem stern-Artikel berichtet unter anderem ein heute 39 Jahre alter Ehemann, dass er vor vielen Jahren in der jungen Ehe von seiner Frau betrogen worden sei – und das gleich zweimal. „Aber ich bin ein gläubiger Mensch und fand Halt in meiner Kirchengemeinde“, berichtet er. „Ich erinnerte mich daran, dass Verzeihung und Vergebung ein wichtiger Teil meiner Beziehung zu Gott ist.“ Das habe es ihm möglich gemacht, sich seiner Frau wieder anzunähern. Dass er heute mit seiner Frau glücklich ist und sie zusammen sechs Kinder haben, ist für den ihn „ein kleines Wunder.“ Der Christ sagt rückblickend: „Gott war mein Anker.“

Reaktion auf „Urdrama der Schuld“

Von „Vergebung“ ist dem Artikel zufolge „oft in einem christlichen Kontext die Rede“. Im Wort stecke der Begriff der „Gabe“ – eine Art Geschenk, „das der vergebende Gott dem Sünder macht“. Für die Philosophieprofessorin Maria-Sibylla Lotter von der Ruhr-Universität Bochum ist Verzeihen „eine der möglichen Reaktionen auf das Urdrama der Schuld“. Wer verzeihe, könne „die Gegenwart von dem entlasten, was Menschen in der Vergangenheit anderen Menschen absichtlich oder unabsichtlich“ angetan hätten. Das funktioniere jedoch nur auf freiwilliger Basis.

Je enger Menschen in einer Beziehung miteinander stehen, desto schwerer fällt dem Bericht zufolge der Prozess des Verzeihens. Auch die Qualität einer Bindung ist demzufolge wichtig. Je mehr Vertrauen und Gefühl von Sicherheit in einer Beziehung herrschten, desto einfacher sei es, zu verzeihen. Das habe eine Studie gezeigt. Misstrauen und Angst vor Beziehungen erschwerten hingegen den Prozess. Unterschiede gibt es demnach auch zwischen Mann und Frau, sowie Jung und Alt. Untersuchungen hätten ergeben, dass Männer eher zur Vergebung neigten als Frauen und ältere Menschen eher als jüngere.

Vergeben ja, vergessen nein

In dem Bericht schildert auch ein heute 70 Jahre alter Rentner, wie er jahrelang unter dem schwierigen Verhältnis zu seiner Mutter gelitten habe. Er sei von der eigenen Mutter nie wirklich anerkannt worden. Letztlich konnte der Mann vergeben – aber nicht vergessen. Das konnte auch Eva Mozes Kor nicht. Zwei Schwestern und die Eltern der Frau wurden dem stern-Bericht von Nazi-Schergen im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Kor wurde von Lagerarzt Mengele bei Menschenversuchen gequält. 50 Jahre habe es gedauert, bis Kor den Mördern und Peinigern ihrer Familie verzeihen konnte. Vergessen habe auch sie nie können.

Vergessen funktioniere ohnehin schlechter, erklärt die Psychologin Alexandra Bielecke in dem Bericht. Dadurch würden Konflikte oft nur verdrängt, Erinnerungen und Emotionen später dann häufig reaktiviert. Besser sei es, Dinge zu klären. Verzeihen sei aber auch ohne Versöhnung möglich, sagt der Philosophieprofessor Oliver Hallich in dem Bericht. Oft sei die Wiederherstellung eines ursprünglichen Zustandes durch eine Versöhnung auch nicht erwünscht. Beispielsweise könne einem Freund nach einer Lüge verziehen werden, ohne dass man an dem Fortbestehen der Freundschaft länger interessiert sei.

Wer verzeiht, hat weniger Stress

Wer verzeihen kann, lebt gesünder, lautet eine weitere Einsicht des Artikels. Studien hätten beispielsweise gezeigt, dass Körper und Psyche „vom inneren Großreinemachen“ profitierten, etwa durch besseren Schlaf. „Die verzeihende Haltung scheint wie ein Schutzschild vor negativen Gefühlen wie Wut, Groll und Reue zu wirken, die uns mitunter wachhalten“, lautet es in dem Artikel. Das deckt sich mit Erkenntnissen des Psychologen Robert Enright von der Universität Wisconsin. Der hat herausgefunden: Wer Nachsicht übt mit einem Menschen, der einem Unrecht getan hat, hat weniger Stresshormone im Blut und eine bessere Blutversorgung des Herzens. „Je mehr der Mensch verzeiht, desto gesünder ist er generell“, erklärt der Forscher.

Aber wie kommt ein Mensch dazu, einem anderen zu vergeben? Der Entscheidung zum Verzeihen gehe zunächst eine „schmerzhafte Bestandsaufnahme“ voran. Danach gelinge es, sich aus den „Verstrickungen der Vergangenheit“ zu lösen und zu einem Perspektivwechsel zu gelangen. „Wenn ich fühle, dass der Verletzer ein prinzipiell wertvoller Mensch wie du und ich ist, kann ich mich selbst in meinem eigenen Wert erkennen“, heißt es in dem Artikel.

Zum Schluss gibt der Autor noch eine Empfehlung: „Vielleicht erleichtert uns Menschen das Verzeihen ein ganz schlichter Gedanke: Wer von uns ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein“, schreibt Schmitz in Anlehnung an ein Jesus-Zitat, und weiter: „Akzeptiere dein Menschsein. Zu dem gehören Irrungen, Fehler, das Verletzen und Verletztwerden.“

Von: Norbert Schäfer

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